VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 26.11.2007 - AN 11 K 07.30671 - asyl.net: M12483
https://www.asyl.net/rsdb/M12483
Leitsatz:

Keine extreme allgemeine Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG in Afghanistan.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Widerruf, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Sicherheitslage, Versorgungslage, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Anerkennungsrichtlinie, ernsthafter Schaden, willkürliche Gewalt
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Keine extreme allgemeine Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG in Afghanistan.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Rechtsgrundlage für den Widerruf der Feststellung des Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist auch nach Aufhebung des AuslG durch Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) § 73 Abs. 3 AsylVfG.

Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat ist abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Gefahren nach Satz 1 oder Satz 2, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Allgemeine Gefahren können daher auch dann nicht Abschiebungshindernisse begründen, wenn sie den Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Dies dürfte entsprechend dem Erwägungsgrund (26) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie – QRL) auch mit Art. 15 c) und Art. 2 e) QRL in Einklang stehen (BVerwG vom 15.5.2007, zitiert nach juris; BT-Drucksache 16/5065 S. 187 aA VG Stuttgart InfAuslR 2007,321; Hruschka/Lindner NVwZ 2007,645/648).

Die vormals angenommene extreme Gefahrenlage für jeden rückkehrenden Flüchtling nach Afghanistan war mit der damals herrschenden akuten Bürgerkriegslage begründet worden, bei der ständige Kämpfe und Schießereien an der Tagesordnung waren. Eine derartige lebensgefährliche Sicherheitslage kann aber nach allgemein- und gerichtskundiger Auskunftslage im Zeitpunkt von Widerrufs- und gerichtlicher Entscheidung nicht mehr und auch nicht erneut angenommen werden. Durch das Klagevorbringen, bei einer Rückkehr nach Afghanistan bestehe auf Grund der aktuellen Sicherheits- und Versorgungslage dort keine ausreichende Existenzgrundlage, wird im Übrigen auch das Vorliegen dieses Abschiebungshindernisses im maßgeblichen jetzigen Zeitpunkt nicht substantiiert. Denn bei solchen lagebedingten, mindestens eine ganze Bevölkerungsgruppe – wie hier alle aus dem Ausland rückkehrenden afghanischen Flüchtlinge – betreffenden Beeinträchtigungen ist wie ausgeführt der Schutzbereich des § 60 Abs. 7 AufenthG erst dann eröffnet, wenn die allgemeine Gefahrenlage derart extrem ist, dass praktisch jeder einzelne Gruppenangehörige im Falle der Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, sowie wenn diese Gefahr landesweit bestünde oder zumindest ein Ausweichen bei Rückkehr nicht möglich wäre. Das Vorliegen einer derartigen extremen Gefahrenlage mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit kann nach Überzeugung des Gerichts den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen grundsätzlich – von Ausnahmen abgesehen – aber nicht entnommen werden.

Nach dieser Auskunftslage kann auch von einer landesweiten Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts oder kriegsgleichen Zustands im Sinne der Art. 15 c) und 2 e) der Qualifikationsrichtlinie in Afghanistan derzeit nicht ausgegangen werden (HessVGH vom 26.6.2007, zitiert nach juris).