VG Ansbach

Merkliste
Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 26.11.2007 - AN 11 K 07.30632 - asyl.net: M12480
https://www.asyl.net/rsdb/M12480
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Hindus, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Gebietsgewalt, Verfolgung durch Dritte, mittelbare Verfolgung, nichtstaatliche Verfolgung, nichtstaatliche Akteure
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Das Bundesamt hat nämlich den Bescheid vom 11.Oktober 2000 zu Recht hinsichtlich der positiven Feststellung der Voraussetzungen des früheren § 51 Abs. 1 AuslG widerrufen (1) und weiter zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen des nunmehrigen § 60 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG (Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) nicht vorliegen (2); die entsprechende Anfechtungsklage ist daher ebenso abzuweisen wie die Verpflichtungsklage hinsichtlich der Feststellung auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

b) Ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der positiven Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG besteht auch derzeit unter dem Gesichtspunkt einer unmittelbar oder mittelbar staatlichen Gruppenverfolgung auf Grund der Volks- und/oder Religionszugehörigkeit zu den Hindus in Afghanistan nicht. Eine diesbezügliche Verfolgung in der erforderlichen Art und Weise droht derzeit weder unmittelbar noch ist sie beachtlich wahrscheinlich.

Nach Würdigung und Bewertung dieser Erkenntnismittel im Wege einer Gesamtschau der maßgeblichen Kriterien ist das Gericht bei Anwendung der vorgenannten Maßstäbe der Überzeugung, dass Hindu in Afghanistan keiner an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen unmittelbaren oder mittelbar staatlichen Verfolgung ausgesetzt sind, wobei das Vorliegen einer religiösen Verfolgung unabhängig davon zu verneinen ist, ob nach bisheriger nationaler Rechtsprechung weiterhin (nur) auf die Einhaltung des religiösen Existenzminimums abgestellt wird oder weitergehend bereits Art. 10 Abs. 1 b) QRL unmittelbar oder über die Verweisung in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG angewendet wird und welche Konsequenzen sich daraus ergeben (BVerwG vom 17.1. und 23.5.2006, zitiert nach juris; Strieder InfAuslR 2007,360; Duchrow, Asylmagazin 4/2007 S.15; Anwendungshinweise des BMI vom 13.10.2006). Es erreichen nämlich die vorgenannten Referenzfälle von der Anzahl der Rechtsverletzungen im Verhältnis zur Gesamtzahl dieser Gruppe und ihrer staatlichen Behandlung weder die Schwelle, ab der eine Verfolgungsdichte anzunehmen wäre noch belegen sie in ausreichendem Maß eine staatliche Untätigkeit im Vorgehen gegen solche Übergriffe mit dem Ziel der Vernichtung dieser Minderheit. Im Übrigen ist die Feier der religiösen Riten den Hindus nicht verboten und solche finden auch statt, wobei die Öffentlichkeitswirksamkeit wie in islamischen Ländern üblich ohnehin gering ist.

Diese Auffassung wird auch in der Rechtsprechung vertreten (VG Sigmaringen vom 16.3.2006, VG Göttingen vom 10.5.2006 und VG Schwerin vom 15.5.2007; aA VG Köln vom 10.1.2006, VG Wiesbaden vom 17.2.2006, VG Karlsruhe vom 17.5.2006, VG Minden vom 8.6.2006, VG München vom 30.1.2007, VG Leipzig vom 21.3.2007 und VG Giessen vom 25.4.2007; zu weiteren Rechtsprechungsnachweisen Hollmann in: Informationsverbund Asyl e.V. 2006, Seite 17).

Soweit eine politische Verfolgung durch die aktuelle Interimsregierung in Afghanistan befürchtet wird, hält das Gericht nach den vorliegenden Erkenntnissen ohnehin bereits das Tatbestandsmerkmal der Staatlichkeit bzw. Quasistaatlichkeit im Sinne der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts für nicht gegeben, weil auch derzeit eine effektive Staatsgewalt als Subjekt der Verfolgung in Afghanistan (noch) nicht vorliegt.

2. Es ergibt sich aber auch kein Anspruch auf Feststellung des Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 1 AufenthG, soweit dessen Voraussetzungen wie nach Satz 1 nicht bloß als inhaltlich entsprechende Regelung wie bisher § 51 Abs. 1 AuslG (BT-Drks. 15/420 Seite 91) bezüglich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts sowie des politischen Charakters der Verfolgung mit denen des Art. 16a Abs. 1 GG deckungsgleich sind (BVerwG NVwZ 1992, 676 und 1994, 697), sondern als nichtstaatliche Verfolgung nunmehr weitergehenden Schutz gewähren. Danach darf in Anwendung der GK ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach dem hier maßgeblichen § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG kann eine (politische) Verfolgung (auch) ausgehen von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den vorstehenden Buchstaben a und b genannten Akteure, insbesondere der Staat selbst, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Dabei setzt der Begriff des nichtstaatlichen Akteurs im vorgenannten Sinn aber den Bestand einer festumrissenen Gruppe voraus; es ist daher ein gewisser Mindestgrad an Organisation vorauszusetzen (Storr § 60 AufenthG RdNr. 4; VG Sigmaringen vom 16.3.2006, zitiert nach juris).