VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 28.11.2007 - AN 1 K 06.30930 - asyl.net: M12471
https://www.asyl.net/rsdb/M12471
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Asylanerkennung, Änderung der Sachlage, Verfolgungssicherheit, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Reformen, Menschenrechtslage, Meinungsfreiheit, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Wehrdienst
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter sowie der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG lagen zum gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht vor.

Das Bundesamt hat zu Recht angenommen, dass die im rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29. Dezember 1992 festgestellte Verfolgungsbetroffenheit des Klägers infolge der nach Erlass des Verpflichtungsurteils zwischenzeitlich eingetretenen grundlegenden Änderungen der (politischen) Verhältnisse in der Türkei weggefallen ist.

Eine Wiederholung der damals dem Kläger drohenden Verfolgungsmaßnahmen kann wegen der seit November 2002 in der Türkei umgesetzten Reformvorhaben mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

Nach alledem ist eine politische Verfolgung des Klägers wegen der von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Teilnahme am Newroz-Fest in ... am 21. März 1991, mithin vor nunmehr mehr als 16 Jahren mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen, zumal der damals geltende Ausnahmezustand mittlerweile längst aufgehoben ist und der Kläger weitere politischen Aktivitäten im Herkunftsland bzw. exilpolitischer Art ausdrücklich nicht vorgetragen hat.

Sollte der Kläger tatsächlich bei einer Rückkehr in die Türkei dort seinen Wehrdienst ableisten müssen, hätte jedoch ein damit begründetes Vorgehen der türkischen Behörden gegen den Kläger einen reinen strafrechtlichen und keinen politisch motivierten Hintergrund, da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 10. September 1999, 9 B 7/99) die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst und die damit zusammenhängenden Sanktionen, selbst wenn sie von weltanschaulich totalitären Staaten ausgehen, nicht schlechthin eine politische Verfolgung darstellen. Dahin schlagen derartige Maßnahmen nur dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt werden, die dadurch gerade wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen persönlichen Merkmals getroffen werden sollen.

Dies trifft jedoch nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25. Oktober 2007 für türkische Staatsangehörige, die sich durch Aufenthalt im Ausland der Einberufung zum Wehrdienst entzogen haben, ersichtlich nicht zu.

Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr in die Türkei auch vor anderen asylerheblichen Repressionen, insbesondere vor Folter, hinreichend sicher.

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte. Besteht der Verdacht einer Straftat (z.B. Passvergehen, illegale Ausreise), werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Insoweit handelt es sich jedoch nicht um asylerhebliche Vorgänge.

Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte. Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen stets überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit fast vier Jahren kein einziger Fall bekannt, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. In den letzten beiden Jahren wurde kein Fall an das Auswärtige Amt zur Überprüfung mit der Behauptung heran getragen, dass ein abgelehnter Asylbewerber nach Rückkehr misshandelt worden sei. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Das Auswärtige Amt geht deshalb davon aus, dass bei abgeschobenen Personen die Gefahr einer Misshandlung bei Rückkehr in die Türkei nur aufgrund vor Ausreise nach Deutschland zurückliegender wirklicher oder vermeintlicher Straftaten auch angesichts der durchgeführten Reformen und der Erfahrungen der letzten Jahre in diesem Bereich äußerst unwahrscheinlich ist. Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, schließt das Auswärtige Amt aus (vgl. Lagebericht Türkei vom 25. Oktober 2007).