VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 05.12.2007 - AN 9 K 06.30458 - asyl.net: M12442
https://www.asyl.net/rsdb/M12442
Leitsatz:

Keine nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Kurden aus dem Nordirak.

 

Schlagwörter: Irak, Nordirak, Kurden, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Machtwechsel, Baath, zwingende Gründe, Sicherheitslage, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Gruppenverfolgung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, Erlasslage, Abschiebungsstopp
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Keine nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Kurden aus dem Nordirak.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 24. August 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 VwGO).

2. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze erweist sich der angefochtene Widerruf der vorangegangenen Schutzgewährung als rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

Eine entscheidungserhebliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Irak liegt vor. Der aus den allgemein zugänglichen Medien und den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen (vgl. insbesondere den in das Verfahren eingeführten aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes) ersichtliche Sturz des Regimes von Saddam Hussein stellt einen solchen politischen Systemwechsel dar, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht in seiner vorgenannten Entscheidung angesprochen hat. Durch diesen politischen Systemwechsel im Irak ist jedenfalls die früher vom Regime Saddam Hussein ausgehende Gefahr unmittelbarer oder mittelbarer politischer Verfolgung nunmehr eindeutig landesweit entfallen (so auch etwa BVerwG, Urteil vom 25.8.2004, Az. 1 C 22/03, juris-Nr. WBRE 410011104; BayVGH, Beschluss vom 24.11.2004, Az. 13 a 04.30969). Demnach kommt es im Übrigen auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die frühere Zuerkennung des nunmehr widerrufenen Schutzes aus Nordirak-spezifischen Gründen rechtmäßig oder rechtswidrig war, zumal zum einen die völkerrechtliche Zugehörigkeit der kurdischen Gebiete im Nordirak zum Gesamtirak nicht aufgehoben war und zum andern auch stets die Gefahr von Übergriffen aus dem Zentralirak bestand.

3. Dem Widerruf steht auch nicht § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG oder Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 GK entgegen.

Anhaltspunkte für eine die Kläger auf früheren Verfolgungen beruhende erneute staatliche Verfolgung bestehen indes nicht.

4. Auch unter Berücksichtigung der – ebenfalls allgemeinkundigen, im Übrigen aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen ersichtlichen – schlechten allgemeinen Sicherheitslage im Irak ist, auch unter Berücksichtigung von § 60 AufenthG, dort insbesondere Abs. 7 Satz 1, keine anders lautende Entscheidung veranlasst. Es sind keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen und ersichtlich, dass die Kläger bzw. schlechterdings jeder in die kurdischen Autonomiegebiete Zurückkehrender geradezu zwangsläufig mit hoher Wahrscheinlichkeit Opfer von Übergriffen wird, seien diese dem Staat zurechenbar oder auch Privatpersonen oder privaten bzw. jedenfalls nichtstaatlichen Organisationen, gleichgültig, ob diese sich politisch, stammesmäßig oder familiär definieren. Hieran ändert auch nichts, dass unter den gegenwärtig herrschenden, allgemein unsicheren Verhältnissen im Irak teilweise auch wieder von alters her überkommene traditionelle Verhaltensmuster, wie etwa Stammes- und Familienfehden sowie Blutrache, ausgeübt werden. Relevant wären, auch unter der Geltung von § 60 AufenthG, allein solche Gefahren, welche den Klägern landesweit drohen würden. Hierfür ist jedoch im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung des individuellen Vorbringens nichts konkret ersichtlich.

Aus der allgemein schlechten Sicherheitslage lässt sich auch keine Verfolgung i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG herleiten. Zwar geht das Gericht inzwischen davon aus, dass sich der interkonfessionelle Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten derart qualitativ und quantitativ gesteigert hat, dass von einer jeweiligen Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure auszugehen ist (zu den Sunniten: BayVGH Urteil v. 14.11.2007 - 23 B 07.30496 www.vgh.bayern.de/BayVGH/presse/07a30496u.pdf).; dies gilt jedoch nur bzw. jedenfalls für den Zentralirak. Die Sicherheitslage des kurdisch beherrschten Nordiraks ist nach den in das Verfahren eingeführten Auskünften zwar nicht frei von Anschlägen und Übergriffen, aber relativ sicher.

5. Auch soweit das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – zusätzlich zum Widerruf der bisherigen Schutzgewährung – festgestellt hat, dass keine Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehen, somit insbesondere auch keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

Soweit sich die Kläger, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die allgemeine Situation im Irak berufen, zu der auch die Gefahr zu rechnen ist, als Rückkehrer aus dem Ausland das Opfer von kriminellen Übergriffen zu werden, vermag dies die Zuerkennung von Abschiebungsschutz ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 18. Dezember 2003 (Az. IA2-2084.2013) die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger ausgesetzt und verfügt, dass auslaufende Duldungen bis auf weiteres um sechs Monate verlängert werden. Die Konferenz der Länderinnenminister hat wiederholt die Einschätzung des Bundes geteilt, dass ein Beginn von zwangsweisen Rückführungen in den Irak nicht möglich ist (vgl. u.a. Asylmagazin 2004/12 S. 17). Dafür, dass eine grundlegende Änderung dieser Einschätzung erfolgt ist, liegen derzeit keine Anhaltspunkte vor. Pressemeldungen im Zusammenhang mit den Beschlussfassungen der letzten Innenministerkonferenz am 16. und 17. November 2006 war lediglich zu entnehmen, dass die Voraussetzungen für die Aufnahme von Rückführungen eines äußerst begrenzten Personenkreises geschaffen worden seien. Demzufolge ist (noch) davon auszugehen, dass auch in Bayern die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger weiterhin grundsätzlich ausgesetzt bleibt (vgl. u.a. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 30.4.2004). Damit liegt nach wie vor eine Erlasslage im Sinn des § 60 a AufenthG vor, welche dem betroffenen Ausländer derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass die Kläger nicht zusätzlich des Schutzes vor der Durchführung der Abschiebung, etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, bedürfen (zu § 53 Abs. 6 AuslG vgl. BVerwG vom 12.7.2001 BVerwGE 114, 379 = NVwZ 2001, 1420).