VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Beschluss vom 10.01.2008 - 1 L 1092/07.TR - asyl.net: M12390
https://www.asyl.net/rsdb/M12390
Leitsatz:
Schlagwörter: Armenien, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, offensichtlich unbegründet, ernstliche Zweifel, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Krankheit, Mittelmeerfieber, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 34; AsylVfG § 36 Abs. 4; AufenthG § 59 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 7; AufenthG § 59 Abs. 3
Auszüge:

Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, denn der Klage gegen die auf §§ 34 und 36 des Asylverfahrensgesetzes in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 – AsylVfG – (BGBl. I. S. 1950, 1989 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juli 2007 (BGBl. I. S. 1566 ff.), gestützte Verfügung kommt kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zu. Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere wurde er innerhalb der nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG zu beachtenden Wochenfrist gestellt.

Der Antrag hat jedoch in der Sache nur zum Teil Erfolg.

Es bestehen zunächst keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als offensichtlich unbegründet.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen jedoch insoweit, als die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid aufgrund § 59 Abs. 2 AufenthG Armenien ohne Einschränkungen als Zielstaat der angedrohten Abschiebung bezeichnet hat, da durchaus gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass eines der in § 60 AufenthG normierten Abschiebungsverbote vorliegt. Allerdings liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG offensichtlich nicht vor. Auch dies hat das Bundesamt in seinem Bescheid mit zutreffender Begründung, auf die das Gericht Bezug nimmt, ausgeführt.

Es sprechen jedoch gewichtige Gründe für das Bestehen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach den vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen leidet er – wovon auch die Antragsgegnerin ausgeht – an dem sogenannten Mittelmeerfieber, also einer Erkrankung, die bei unzureichender Behandlung durchaus ernsthafte Folgen haben kann (vgl. z.B. www.medicoconsult.de/wiki/Famili%C3%A4res_Mittelmeerfieber). Welches Ausmaß die Erkrankung beim Antragsteller hat, ob in absehbarer Zeit mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen ist und welche Therapie in seinem Fall zur Vermeidung solcher Folgen erforderlich ist, ist vom Bundesamt nicht hinreichend aufgeklärt worden und lässt sich aufgrund der derzeit vorhandenen Erkenntnisse nicht hinreichend zuverlässig beurteilen.

Ohne weitere, im vorliegenden Verfahren jedoch nicht zu leistende Sachverhaltsaufklärung kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die für den Antragsteller erforderliche ärztliche Versorgung im Falle seiner Rückkehr nach Armenien sichergestellt wäre. Zwar haben der Antragsteller bzw. seine Mutter gegenüber dem Bundesamt angegeben, dass der Antragsteller in Armenien ärztlich behandelt wurde, und zwar insbesondere mit Colchizin. Allein daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass der Antragsteller in Armenien Zugang zu der zur Vermeidung möglicher alsbaldiger schwerwiegender Gesundheitsschäden erforderlichen medizinischen Versorgung hätte.

Das Bundesamt stützt seine Auffassung, dass die Krankheit des Antragstellers in Armenien behandelt werden könne und die Behandlung nach Registrierung und Antragstellung an das Sozial- und Gesundheitsministerium kostenfrei sei, lediglich auf zwei Berichte der Deutschen Botschaft vom 10. März und 10. April 2003 (letztere veröffentlicht in juris). Wie jedoch aus dem Botschaftsbericht vom 10. April 2003 und dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (vgl. o.) hervorgeht, werden die Einzelheiten der kostenlosen medizinischen Behandlung jedes Jahr per Gesetz festgelegt, so dass ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nicht beurteilt werden kann, ob und in welchem Umfang der Antragsteller derzeit bzw. in naher Zukunft eine kostenlose Behandlung in Anspruch nehmen könnte.

Darüber heißt es in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes auch, dass zwar die medizinische Versorgung im Staatshaushalt für Mittel vorhanden seien, die auch kontinuierlich aufgestockt würden, dass die Beträge, die den Kliniken zur Verfügung gestellt würden, jedoch gleichwohl nicht ausreichten, so dass sie gezwungen seien, von den Patienten Geld zu nehmen. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller die für ihn erforderliche medizinische Behandlung nur gegen Bezahlung erlangen kann.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller in der Lage wäre, die für eine Behandlung gegebenenfalls erforderlichen finanziellen Mittel aufzubringen.

Da das Bundesamt es unterlassen hat, in dem erforderlichen Umfang aufzuklären, ob der Antragsteller bei seiner Rückkehr nach Armenien eine erforderliche medizinische Behandlung erhalten könnte, geht auch die insoweit bestehende Unsicherheit der Prognose zu Lasten der Antragstellerin, so dass für die vorliegende Entscheidung davon auszugehen ist, dass dem Antragsteller bei seiner Abschiebung nach Armenien möglicherweise eine konkrete erhebliche Verschlechterung seines Gesundheitszustands droht, so dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen würde (zum Umfang der Sachaufklärung vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2006 - 1 B 118/05 -, NVwZ 2007, 345).

Ein solches Abschiebungsverbot würde sich auch auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auswirken. Nach § 59 Abs. 3 AufenthG steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten dem Erlass der Androhung zwar nicht entgegen (Satz 1), jedoch ist in der Androhung der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf (Satz 2). Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt (Satz 3). Diese Regelung nimmt umfassend auf § 60 AufenthG Bezug und umfasst somit auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Regelung weicht somit von der Vorgängerregelung des § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG ab, wonach in der Androhung ist der Staat zu bezeichnen war, in den der Ausländer nach den §§ 51 und 53 Abs. 1 bis 4 nicht abgeschoben werden durfte, so dass nach dieser Regelung davon auszugehen war, dass die Bejahung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, der Vorgängerregelung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG, nicht dazu führte, dass eine Abschiebung in den betreffenden Staat in der Abschiebungsandrohung auszuschließen war.