VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 21.01.2008 - 4 K 1327/07.A - asyl.net: M12383
https://www.asyl.net/rsdb/M12383
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für tamilischen Mann aus Sri Lanka mit Narben wegen Gefahr der Festnahme und Misshandlung wegen Verdachts der Unterstützung der LTTE.

 

Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, Bürgerkrieg, Sicherheitslage, Menschenrechtslage, Narben, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Grenzkontrollen, Festnahme, Inhaftierung
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für tamilischen Mann aus Sri Lanka mit Narben wegen Gefahr der Festnahme und Misshandlung wegen Verdachts der Unterstützung der LTTE.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist im Hinblick auf die begehrte Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft iSd. § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, zulässig und begründet.

1) Ein Folgeverfahren ist durchzuführen.

Die geänderte Sachlage ergibt sich aus dem Geschehensverlauf der seit 2005 zu verzeichnenden Verschlechterung der Sicherheitslage in Sri Lanka. Die Geltendmachung dieser sich über längere Zeit entwickelnden Umstände, die der Kläger rechtzeitig innerhalb der nach § 51 Abs. 3 VwVfG laufenden Dreimonatsfrist vorgetragen hat, ist auch nicht von vornherein unschlüssig.

Sie wirkt sich auf die Gefährdungssituation des Klägers insbesondere im Hinblick auf seine Narben aus, auf die er teilweise das Verwaltungsgericht Arnsberg bereits im früheren Asylklageverfahren hingewiesen hatte, die nunmehr aufgrund der geänderten allgemeinen Sachlage in Sri Lanka jedoch eine andere, erhebliche Bedeutung erlangt haben.

2) Die Erfolgsprüfung führt im Falle des Klägers zu dem Ergebnis, dass er schutzbedürftig ist, und es deshalb verboten ist, ihn nach Sri Lanka abzuschieben.

a) Die allgemeine Sicherheitslage in Sri Lanka stellt sich nach Auswertung der dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen wie folgt dar: ...

b) Der Kläger hat mehrere Narben, wie oben dargelegt wurde. Die Kammer konnte sich hiervon im Hinblick auf das deformierte Finger-Endglied in der mündlichen Verhandlung überzeugen. im Übrigen liegt ein aussagekräftiges ärztliches Attest vor. Das Auswärtige Amt hat aufgrund der Nachfrage der erkennenden Kammer im Verfahren 4 K 1500/05 mit Schreiben vom 08.02.2007 mitgeteilt, dass eine Verfolgung aufgrund des Vorhandenseins von Narben nicht auszuschließen sei, ohne eine weitere Differenzierung hinsichtlich der Art der Narben und der Stelle ihres Vorhandenseins am Körper vorzunehmen.

c) Übertragen auf den Fall des Klägers bedeutet die deutlich verschlechterte Sicherheitslage in Sri Lanka im Zusammentreffen mit seiner individuellen Lage, die gemäß Art. 4 Abs. 3 lit. c der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen ist, dass ihm als Mann tamilischer Volkszugehörigkeit, der von seinem Alter her von den Sicherheitskräften in die Nähe der kämpfenden LTTE gebracht werden könnte, weil er mehrere deutlich sichtbare Narben am Körper trägt, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht. Es kommt dabei nicht darauf an, wodurch der Kläger sich die Narben zugezogen hat.

Es ist danach beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger bei Einreise über den Flughafen Colombo den Sicherheitskräften bereits wegen seiner Narben und seiner LTTE-rekrutierungsfähigen persönlichen Eigenschaften auffällt. Er dürfte zunächst festgenommen oder zumindest einer eingehenden Überprüfung seiner Person unterzogen werden. Wie lange er festgesetzt würde bzw. eine "Überprüfung" dauern würde, ist ungewiss. Angesichts des Zusammenbruchs jeglicher Rechtsschutzmöglichkeiten stellt ein solcher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartender Eingriff in seine Freiheit und möglicherweise in sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Beeinträchtigung oder Schädigung i. S. d. Kapitel II und III der Qualifikationsrichtlinie bzw. des § 60 Abs. 1 AufenthG iVm Art. 33 GFK dar. Angesichts der ausschließlichen Möglichkeit einer Rückführung über Colombo, aber auch angesichts der im ganzen Land und auf den Ausfallstraßen von Colombo bestehenden zahlreichen Kontrollstellen mit intensiver Personenüberprüfung ergibt sich aufgrund der oben dargestellten derzeitigen Verhältnisse in Sri Lanka auch keine inländische Fluchtalternative im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.