OVG Bremen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Bremen, Urteil vom 09.01.2008 - 2 A 176/06.A - asyl.net: M12351
https://www.asyl.net/rsdb/M12351
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, exilpolitische Betätigung, Nachfluchtgründe, Oppositionelle, Zeitschriften, Journalisten, Hauptorganisation der Bewegung der iranischen Demokraten, HBID, Talashgaran, Internet, Hambastegy, Baschariat, Überwachung im Aufnahmeland, Antragstellung als Asylgrund, Auslandsaufenthalt
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Berufung hat Erfolg.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Kläger sind nicht gegeben.

Der Kläger hat ein Vorfluchtgeschehen nicht glaubhaft dargelegt.

Dem Kläger steht auch nicht Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG wegen seiner politischen Nachfluchtaktivitäten zu.

aa) Der Senat hat in Bezug auf den Iran in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung entschieden, dass eine Rückkehrgefährdung für solche Personen besteht, die nicht lediglich als bloße Mitläufer bei Veranstaltungen einer Oppositionsgruppe in Erscheinung getreten sind, sondern durch ihr Engagement und die von Ihnen entfalteten Aktivitäten aus der Masse oppositioneller Iraner herausgetreten sind, sich also durch ihre Exilaktivitäten exponiert haben und als ernsthafte und gefährliche Regimegegner erscheinen (vgl. Urteile vom 24.11.2004 – Az.: 2 A 275/03.A und 2 A 278/03.A und Urteile vom 08.12.2004 – 2 A 276/03.A und 2 A 277/03.A jeweils mit weiteren Nachweisen zur obergerichtlichen Rechtsprechung). Dieser Maßstab ist auch im Fall des Klägers anzuwenden. Einen Anlass, davon abzuweichen sieht der Senat nicht.

bb) Zunächst ist festzustellen, dass weder die Asylantragstellung noch der mehrjährige Auslandsaufenthalt eine asylrelevante Verfolgungsgefahr für zurückkehrende Iraner begründen. Das hat der Senat bereits in den Urteilen vom 01.12.1999 (2 A 508/98.A) und 08.12.2004 (2 A 476/03.A) ausgeführt und das wird auch durch den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 04.07.2007 bestätigt (Seite 31 des Berichts).

Auch die vom Kläger entfalteten politischen Nachfluchtaktivitäten haben keine beachtliche Rückkehrgefährdung zur Folge.

Das gilt zunächst für seine Aktivitäten für die Hauptorganisation der Bewegung der iranischen Demokraten (HBID), und zwar auch, soweit er als Ordner, Organisator und für die Sicherheit von Veranstaltungen zuständige Person tätig gewesen sein mag.

Der Senat hat sich im Verfahren OVG 2 A 477/03.A ausführlich mit der HBID befasst.

Unter Berücksichtigung der Aussage von Herrn A. und der eingeholten Auskünfte sowie der sonstigen Erkenntnisquellen ist der Senat im Urteil vom 08.12.2004 (zu 2 A 277/03.A) zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei der HBID um eine Gruppe von Exiliranern handelt, "der keine ins Gewicht fallende überregionale Bedeutung zukommt." Auch aus der Mitgliedschaft im Exekutivausschuss – und damit im Vorstand der HBID – ergäbe sich keine beachtliche Rückkehrgefährdung.

In den neueren Erkenntnisquellen finden sich keine Anhaltspunkte, die die Einschätzung des Senats zur HBID im Urteil vom 08.12.2004 in Zweifel ziehen könnten.

Des weiteren hat der Kläger vorgetragen, er gehöre seit Ende 2002 zum Redaktionsausschuss der Zeitschrift "Talashgaran" und habe regimekritische Artikel für die Zeitschrift geschrieben, die zum Teil ins Internet gestellt worden seien. Sein Vor- und Familienname sei in diesem Zusammenhang wiederholt veröffentlicht worden.

Auch zur Zeitschrift "Talashgaran" hat sich der Senat im Urteil vom 08.12.2004 (Az. 2 A 477/03.A) geäußert.

Diese Ausführungen gelten auch für den vorliegenden Fall.

Ist die Zeitschrift lediglich von untergeordneter Bedeutung, führt auch die Zugehörigkeit zum Redaktionsteam nicht zu einer beachtlichen Rückkehrgefährdung.

Im Übrigen ist auffällig, dass die Namen der Mitglieder des Redaktionsteams und derjenigen, die Artikel in der Zeitschrift "Talashgaran" geschrieben haben, in auffälliger Weise auf dem Deckblatt und dessen Rückseite vermerkt sind. Das legt die Annahme nahe, dass dies bewusst geschieht, um die Position im gerichtlichen Verfahren auf Abschiebungsschutz zu stärken. Zu Recht weist das DOI (Auskunft vom 16.08.2004 an OVG Bremen zum Az.: 2 A 476/03.A) darauf hin, dass gefährdete Leute, die nicht über ein gesichertes Aufenthaltsrecht im Westen verfügen, sich nicht in so "aufdringlicher“ Art und Weise dem iranischen Regime "bieten" würden.

Aus dem Hinweis der Klägerseite, dass sämtliche Ausgaben der Zeitschrift "Talashgaran" ins Internet gestellt würden, ergibt sich ebenfalls keine beachtliche Rückkehrgefährdung. Nach Auskunft des DOI vom 03.02.2006 an das VG Wiesbaden benutzt der Iran ein amerikanisches Internet-Filterprogramm, das automatisch bestimmte Äußerungen aus dem iranischen Netz fernhält.

Es sei anzunehmen, dass im Iran sich niemand für diese Dinge interessiere und dass aus technischpolitischen Gründen im engeren Sinne des Wortes, die Verbreitung dieser Zeitschrift im Iran blockiert werde.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren vorgetragen, er gehöre zur Führung der Gruppe, die sich im Februar 2005 aus ideologischen Gründen von der HBID gelöst habe und die Zeitschrift "Hambastegy" herausgebe. Er sei Chefredakteur dieser Zeitschrift und habe in ihr viele regimekritische Artikel veröffentlicht.

Der Kläger hat den Senat nicht davon zu überzeugen vermocht, dass mit der Gründung der Zeitschrift "Hambastegy" etwas substantiell Neues geschaffen wurde, aus dem sich für den Kläger – wegen dessen Mitarbeit an maßgeblicher Stelle – eine beachtliche Rückkehrgefährdung ergibt. Seine schriftliche Begründung lässt einen nachvollziehbaren Grund für die "Abspaltung" nicht deutlich werden. Die schriftlichen Angaben, dass die Meinungslosigkeit der HBID und die Vermittlerrolle für andere Organisationen kritisiert und der Sturz des Regimes gefordert werde, sind im Wesentlichen unsubstantiiert und deshalb ohne überzeugenden Aussagewert.

Die Zeitschrift "Hambastegy" erscheint dem Senat auch deshalb als nicht etwas substantiell Neues, weil auch der Kläger inhaltliche Unterschiede zwischen der (dem Senat bekannten) Zeitschrift "Baschariat", deren Redaktionsteam der Kläger ebenfalls angehört und der Zeitschrift "Hambastegy" nicht zu benennen vermochte. Nach seiner Aussage vor dem Senat besteht der Unterschied zwischen den Zeitschriften (lediglich) darin, dass "Baschariat" dem Verein der Vereinigung der Menschenrechte und "Hambastegy" der neuen Gruppe gehört. Dementsprechend gibt es Artikel des Klägers, die (unverändert) in beiden Zeitschriften erscheinen und arbeitet der Kläger in den Redaktionsteams beider Zeitschriften mit.

Schließlich ist die Zeitschrift "Hambastegy" auch nach ihrer äußeren Aufmachung den üblichen Exilzeitschriften vergleichbar. Sie ist einfach gestaltet und macht "wenig her". Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die anfängliche Auflage von 300 Exemplaren auf inzwischen ca. 420 Exemplare angestiegen sein sollte, ist dies (noch) bescheiden, was auch an den vom Kläger angegebenen Kosten von 336,00 Euro für 420 Exemplare deutlich wird.

Für den Senat liegt die Annahme nahe, dass die "Abspaltung" von den Beteiligten insbesondere deshalb vorgenommen worden ist, um im gerichtlichen Verfahren auf Abschiebungsschutz eine bessere Position zu erlangen, nachdem der Senat eine Tätigkeit für die HBID nicht hat ausreichen lassen (vgl. U. v. 08.12.2004 - 2 A 477/03.A -).

Soweit der Kläger geltend macht, er gehöre zum Redaktionsausschuss der Zeitschrift "Baschariat" und auf die von ihm in dieser Zeitschrift geschriebenen regimekritischen Artikel verweist, ist nicht ersichtlich, dass dies anders einzustufen sein könnte, als seine Tätigkeit für die schon erwähnten Zeitschriften.

Aus einer Gesamtschau der erwähnten und sich sonst aus den Akten ergebenen Exilaktivitäten des Klägers folgt ebenfalls nicht, dass dem Kläger im Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, selbst wenn man berücksichtigt, dass iranische Stellen die im Ausland tätigen Oppositionsgruppen genau beobachten (vgl. AA, Lagebericht vom 04.07.2007, Seite 26; Senatsurteil vom 01.12.1999 – 2 A 508/98.A und Senatsurteil vom 08.12.2004 – 2 A 477/03.A -). Zwar ist der Kläger auf unterschiedliche Weise wiederholt und in nicht geringem Umfang exilpolitisch aktiv gewesen. Die politischen Aktivitäten, die nach der Überzeugung des Senats nicht schon im Iran, sondern erst nach der Einreise des Klägers in die Bundesrepublik begonnen haben, halten sich jedoch im Bereich der Aktivitäten, die von vielen mit dem iranischen System unzufriedenen Exiliranern unternommen werden oder niedrigen Profils sind. Erkennbar herausgehobene Aktivitäten die den Kläger als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner kennzeichnen könnten, haben sich für den Senat nicht ergeben. Die Ausführungen des Klägers vor dem Senat ließen nicht erkennen, dass der Kläger – wie schriftsätzlich vorgetragen – "zu den Theoretikern gehört", sich intensiver als viele andere Exiliraner mit der politischen Lage im Iran und der Situation der Exiliraner auseinandergesetzt hat und von daher eine oppositionelle Persönlichkeit sein könnte, die den Bestand des Regimes im Iran gefährdet. Auch nach dem persönlichen Eindruck, den der Senat von dem Kläger in der ausführlichen Anhörung gewonnen hat, zählt der Kläger nicht zu den herausgehobenen Aktivisten, die dem iranischen Staat als gefährlich erscheinen könnten.