VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 06.12.2007 - 1 E 3804/06 (V) - asyl.net: M12340
https://www.asyl.net/rsdb/M12340
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, subsidiärer Schutz, Widerrufsverfahren, Untätigkeitsklage, Bindungswirkung, Ausländerbehörde, Bundesamt, Lebensunterhalt, Freibetrag, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Passpflicht, Zumutbarkeit, Passbeschaffung, Armenier, Aserbaidschan, Berg-Karabach
Normen: VwGO § 75; AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 9 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 2 Abs. 3; SGB II § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; SGB II § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; SGB II § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 6; SGB II § 30; AufenthG § 5
Auszüge:

Die Klage ist als Untätigkeitsklage im Sinne von § 75 VwGO zulässig.

Soweit der Beklagte darauf verwiesen hat, dass eine Entscheidung über die Niederlassungserlaubnis nicht hätte ergehen können, weil das Ergebnis des Verwaltungsstreitverfahrens über das Widerrufsverfahren abzuwarten gewesen sei, vermag das Gericht dem Beklagten ebenfalls nicht zu folgen. Dieser Gesichtspunkt ist nicht geeignet, einen zureichenden Grund für die Verzögerung aufzuzeigen. Ein solcher zureichender Grund könnte nur angenommen werden, wenn der Ausgang dieses Verfahrens vorgreiflich wäre. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Der Beklagte verkennt insoweit, dass sie bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des ausgesprochenen Widerrufs noch an die Entscheidung des Bundesamtes vom 29.01.1997 gebunden ist und ihren Entscheidungen zugrunde zu legen hat. Bei dieser Sachlage lag jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kein zureichender Grund mehr für das Unterlassen der Entscheidung über den Antrag auf Niederlassungserlaubnis vor. Der Beklagte ist demgemäß gehalten, über die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach der einzig in Betracht kommenden Vorschrift des § 26 Abs. 4 AufenthG zu entscheiden. Die Tatsache, dass ein Widerrufsverfahren eingeleitet wurde, kann in diesem Rahmen im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung berücksichtigt werden, wobei die zu § 52 Abs. 1 AufenthG entwickelten Grundsätze zu berücksichtigen sind, die besagen, dass in den Fällen, in denen ein anerkannter Flüchtling nach Durchführung eines Widerrufsverfahrens seinen Schutz verliert, unter Abwägung des privaten Interesses des Ausländers an einem weiteren Verbleiben in der Bundesrepublik Deutschland mit den öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts abzuwägen sind, wobei der Frage der erbrachten Integrationsleitung des Ausländers eine gewichtige Bedeutung zukommt. Da somit der Ausgang des Widerrufsverfahrens die von dem Beklagten zu treffende Ermessensentscheidung nicht indiziert, lagen jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine zureichenden Gründe mehr für eine Nichtbescheidung der Anträge der Kläger vor. Die erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage in der Form der sogenannten Bescheidungsklage statthaft.

Die Klage ist auch begründet. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 26 Abs. 4 AufenthG die das Ermessen des Beklagten eröffnen, liegen vor.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Lebensunterhalt der Kläger gesichert.

Für die Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens ist ebenfalls das SGB II maßgebend, dass in § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II bestimmt, welches Einkommen bei der Prüfung der Hilfsbedürftigkeit im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II zu berücksichtigen ist. Von dem jeweiligen Bruttoeinkommen sind zunächst die in § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 genannten Beträge abzuziehen, dass heißt es ist vom Nettoeinkommen auszugehen.

Von dem Nettoeinkommen der Kläger zu 1) bis 3) ist entsprechend § 11 Abs. 2 S. 2 ein Abzug von insgesamt 100,00 Euro monatlich vorzunehmen, so dass das maßgebliche Einkommen 2069,76 Euro monatlich beträgt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist von diesem Betrag keine weitere Einkommensreduzierung um die nach § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 i. V. m. § 30 SGB II abzusetzende Freibeträge vorzunehmen. Das Gericht folgt insoweit der Auffassung des Hess. VGH in seinem Beschluss vom 14.03.2006 (Az.: 6 TG 512/06), ZAR 2006 Seite 145.

Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der Erteilung der Niederlassungserlaubnis auch nicht die Nichterfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 S. 1 AufenthG entgegen. Danach setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird. Vorliegend erfüllen die Kläger zu 1) und 2) unstreitig die Passpflicht nicht. Gründe, die ausnahmsweise eine Abweichung von der Passpflicht rechtfertigen sind außerdem in § 5 Abs. 3 genannten Fällen insbesondere die im frühren § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG ausdrücklich geregelten Fälle, hierzu gehört auch der Fall, dass sich der Ausländer rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und einen Pass in einem anderen Staat in zumutbarer Weise nicht erlangen kann. Aus den vorliegenden Behördenvorgängen ergibt sich, dass sich die Kläger zu 1) und 2) erfolglos um die Ausstellung eines armenischen und eines aserbaidschanischen Passes bemüht haben. Da die Kläger aus der Region Berg-Karabach stammen, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört und die aserbaidschanische Botschaft auch bestätigt hat, dass die Kläger in der früheren Sowjetrepublik Aserbaidschan geboren wurden und dort wohnhaft waren, liegt es nahe, von den Klägern die Vorlage eines aserbaidschanischen Reisepasses zu verlangen. Wie sich aus den vom Gericht in das Verfahren eingeführten Unterlagen jedoch ergibt, ist es armenischen Volkszugehörigen, die auf dem Gebiet von Aserbaidschan geboren wurden oder dort gelebt haben, nicht möglich, einen aserbaidschanischen Reisepass zu erhalten.

Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis steht daher, weil die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen und die Erteilungsvoraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG zu bejahen sind, im Ermessen des Beklagten.