VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Beschluss vom 18.01.2008 - 6 V 3542/07.A - asyl.net: M12337
https://www.asyl.net/rsdb/M12337
Leitsatz:

Die Klage gegen die nachträgliche Änderung der Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandrohung hat aufschiebende Wirkung, wenn im ursprünglichen Bescheid der Asylantrag als einfach unbegründet abgelehnt worden ist.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Änderung, Bundesamt, Ablehnungsbescheid, Anfechtungsklage, isolierte Anfechtungsklage, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 75; AsylVfG § 38 Abs. 1; AsylVfG § 31 Abs. 3; AsylVfG § 34
Auszüge:

Die Klage gegen die nachträgliche Änderung der Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandrohung hat aufschiebende Wirkung, wenn im ursprünglichen Bescheid der Asylantrag als einfach unbegründet abgelehnt worden ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ist zulässig.

Zwar ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im vorliegenden Fall unstatthaft, weil die vom Antragsteller gegen den hier angefochtenen Bescheid erhobene Klage bereits von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hat (dazu unten 2.). Dies führt jedoch nicht zu einer Unzulässigkeit des Rechtsschutzgesuches, denn die Antragsgegnerin führt in dem angefochtenen Bescheid aus, dass und warum sie hier einer Klage keine aufschiebende Wirkung beimisst. Nachdem die Antragsgegnerin den Bescheid auch der Ausländerbehörde Bremen zuleitet hat, muss der Antragsteller befürchten, dass die Ausländerbehörde, der Rechtsansicht der Antragsgegnerin folgend, seine Abschiebung in den neu benannten Zielstaat kurzfristig durchführen wird.

In den Fällen sog. faktischer Vollziehung, d.h. wenn die Behörde - wie hier das Bundesamt - einem Rechtsbehelf rechtsfehlerhaft keine aufschiebende Wirkung beimisst und Vollzugsmaßnahmen bereits eingeleitet sind oder drohen, kann das Gericht in analoger Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO feststellen, dass der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 80 Rdnr 181 - m.w.N).

2. Das Rechtsschutzgesuch ist auch begründet, die Voraussetzungen für eine solche Feststellung der aufschiebenden Wirkung liegen vor, denn die Klage gegen den Bescheid vom 19.11.2007 hat entgegen der von der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsauffassung aufschiebende Wirkung.

Gemäß § 75 AsylVfG hat die Klage gegen Entscheidungen nach dem Asylverfahrensgesetz nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 AsylVfG und in den - hier nicht einschlägigen - Fällen des § 73 AsylVfG aufschiebende Wirkung. Die Vorschrift des § 38 Abs. 1 AsylVfG sieht vor, dass die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist in den "sonstigen Fällen", in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, einen Monat beträgt. Diese "sonstigen Fälle", an die die Regelung in § 75 AsylVfG anknüpft, betreffen Ablehnungsentscheidungen des Bundesamtes, die als einfach unbegründet ergehen. In Fällen, in denen die Abschiebungsandrohung, abweichend vom gesetzlich vorgesehenen Regelfall, nicht bereits mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden ist (s. § 34 Abs. 2 AsylVfG), tritt der Suspensiveffekt auch bei einer isolierten Klage gegen die Abschiebungsandrohung ein (vgl. Roth in: Hailbronner, Ausländerrecht, § 34 AsylVfG Rdnr. 80).

Wird vom Bundesamt eine nachträgliche Konkretisierung oder Änderung des Zielstaates vorgenommen, hat es sich nicht lediglich auf die bloße Zielstaatsbezeichnung zu beschränken, sondern muss gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG eine ausdrückliche Feststellungsentscheidung treffen, dass im Hinblick auf den jetzt konkretisierten oder neu benannten Zielstaat keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen (vgl. Roth in: Hailbronner, Ausländerrecht, § 34 AsylVfG Rdnr. 71). Wird in einem solchen Fall nachträglich durch das Bundesamt ein Bescheid erlassen, der eine vollständig neue Abschiebungsandrohung enthält und damit eine Änderung des Zielstaates verbindet, so hat die dagegen gerichtete Klage - vorausgesetzt, das Asylbegehren ist als einfach unbegründet abgelehnt worden - gemäß § 75 Satz 1 i. V. m. § 38 Abs. 1 AsylVfG aufschiebende Wirkung (VG Bremen, Beschl. v. 26.11.2007 - 4 V 3388107 -:VG Karlsruhe, Beschl. vom 17.12.2004, Az. A 9 K 12103/04, juris; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 34 Rn. 92). Gleiches muss dann gelten, wenn die Antragsgegnerin bei gleicher Sachlage in Bezug auf den neuen Zielstaat zwar ebenfalls erstmals Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG prüft, sich dann aber - offenbar lediglich einer uneinheitlichen Entscheidungspraxis geschuldet - darauf beschränkt die Abschiebungsandrohung in dem Erstbescheid lediglich um die Angabe des neuen Zielstaates zu ergänzen. wie es im vorliegenden Fall geschehen ist (im Ergebnis ebenso: VG Bremen, Beschl. v. 11.10.2007 - 2 V 2570/07.A; VG Stuttgart, Beschl. v. 27.10.2005 - A 4 K 13055/05 -, AuAS 2006, 23f.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 34 Rn. 92). Beide Fallgruppen unterscheiden sich von der Interessenlage her nicht von jener, in der das Bundesamt bereits eine erste Abschiebungsregelung gesondert von der Entscheidung über den Asylantrag trifft und bei der eine Klage gegen die Abschiebungsregelung ebenfalls aufschiebende Wirkung hätte (s.o.).