SG Aachen

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Zitieren als:
SG Aachen, Urteil vom 23.10.2007 - S 20 AY 19/06 - asyl.net: M12333
https://www.asyl.net/rsdb/M12333
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, 36-Monats-Frist, Sozialhilfebezug, Unterbrechung, Untertauchen
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da sie rechtswidrig sind, soweit der Klägerin für den allein streitbefangenen Zeitraum vom 01.03. bis 31.12.2006 Leistungen nach § 2 AsylbLG entsprechend dem SGB XII versagt worden sind.

In diesem Sinne genügt zur Erfüllung der 36-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG auch der unmittelbare oder entsprechende Bezug von Leistungen nach dem BSHG bzw. dem SGB XII. Das Integrationsbedürfnis, zu dessen Befriedigung auch ausreichende wirtschaftliche Leistungen auf der Höhe des soziokulturellen Existenzminimums (= BSGH- bzw. SGB XII-Niveau) gehören, besteht unabhängig davon, ob ein Asylbewerber seinen Lebensunterhalt über einen mindestens 36-monatigen Zeitraum durch Leistungen nach §§ 3-7 AsylbLG oder - erlaubt - anders bestritten hat (LSG NRW, Beschluss vom 26.04.2007 - L 20 B 4/07 AY ER). Wenn bereits der Bezug der (niedrigen) Leistungen nach § 3 AsylbLG nach Ablauf von 36 Kalendermonaten die von § 2 Abs. 1 AsylbLG bezweckte Besserstellung rechtfertigt, dann gilt dies erst recht, wenn der 3-Jahres-Zeitraum durch den Bezug von "höherwertigen" Sozialleistungen gedeckt ist. Der Anspruch auf diese Sozialleistungen verlangt die Erfüllung höherer Anspruchsvoraussetzungen als jene für § 3 AsylbLG. Daraus resultiert, dass bei einem Bezug dieser "höherwertigen" Sozialleistungen auch Ansprüche nach § 3 AsylbLG potenziell bestehen, welche nur deswegen nicht zum Tragen kommen, weil diese Leistungen nachrangig sind (Hessisches LSG, Beschluss vom 21.03.2007 - L 7 AY 14/06 ER; vgl. in diesem Sinn auch: SG Düsseldorf, Beschluss vom 30.10.2006 - S 29 AY 6/06 ER; SG Aachen, Beschluss vom 03.06.2005 - S 19 AY 6/05 ER; SG Aachen, Urteil vom 19.06.2007 - S 20 AY 4/07).

Etwas anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin von Dezember 2000 bis Juni 2002 (19 Monate), von Juni bis September 2004 (4 Monate) und von Januar bis August 2005 (8 Monate) keine Sozialleistungen bezogen hat. Allerdings hat das OVG Niedersachsen (Beschluss vom 27.03.2001 - 12 MA 1012/01 = FEVS 52, 367) entschieden, dass Zeiten, in denen der Ausländer vorübergehend für die Ausländerbehörde nicht erreichbar war, den Zeitraum des Fristenlaufs nach § 2 AsylbLG dergestalt unterbrechen, dass die 36-Monats-Frist neu zu laufen beginnt, wenn die Unterbrechung mindestens sechs Monate dauert und im Hinblick auf die dem § 2 Abs. 1 AsylbLG auch innewohnende Integrationskomponente beachtlich sind. In solchen Fällen - so das OVG - komme die "Integrationskomponente" , auf die auch die Begründung zum Entwurf der Vorschrift abhebe (BT-Drucksache 13/2746, S. 15) nicht mehr zum Tragen. Werde der Fristenlauf nachhaltig unterbrochen, so stehe der betreffende Leistungsberechtigte ebenso da wie ein Leistungsberechtigter, der die Leistungen noch nicht 36 Monate lang bezogen habe. Nachhaltige Unterbrechungen müssten sich deshalb auf einen längeren Zeitraum erstrecken, die Dauer der Unterbrechung müsse in gewissem Umfang mit der 36-Monats-Frist korrespondieren, weshalb eine Unterbrechung von mindestens sechs Monaten notwendig sei, um die Frist neu anlaufen zu lassen. Auch seien nur solche Unterbrechungen (über sechs Monate) bedeutsam, die es rechtfertigten, auch nach Ablauf von insgesamt 36 Monaten des Leistungsbezugs einen Integrationsbedarf verneinen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn sich der Ausländer längere Zeit in seinem Heimatland aufgehalten habe und deshalb die Vorbereitung der Integration in die deutsche Gesellschaft abgebrochen habe; entsprechendes gelte, wenn ein Ausländer längere Zeit "untergetaucht" sei und er so die Wartezeit, nach deren Ablauf ihm erst wegen des Integrationsbedarfs höhere Leistungen bewilligt werden dürfen, nicht erfülle (längere Haftzeiten als Unterbrechungstatbestand bejahend: SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 23.03.2006 - S 2 AY 16/05). Das OVG Niedersachsen hat in seinem Beschluss aber auch klargestellt, dass anderweitige Leistungsunterbrechungen - etwa wegen der Hilfe Dritter oder wegen des Bezugs von Einkommen - die Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht erneut anlaufen lassen.

Die Kammer ist der Auffassung, dass die Zeiträume, in denen die Klägerin keine Sozialleistungen bezogen hat, keine beachtlichen Unterbrechungen des Fristenlaufs nach § 2 Abs. 1 AsylbLG beinhalten. Die Klägerin ist in diesen Zeiträumen nicht in ihr Heimatland zurückgekehrt, im Gegenteil, aufgrund der bei ihr bestehenden schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen wurde trotz bestandskräftiger Ablehnung ihres Asylantrags das Vorliegen von Abschiebungshindernissen festgestellt; dementsprechend erhielt sie fortlaufend verlängerte Aufenthaltsbefugnisse bzw. Aufenthaltserlaubnisse. Die Klägerin ist in den fraglichen Zeiträumen, in denen sie keine Sozialleistungen bezogen hat, auch nicht "untergetaucht". Von Oktober bis Dezember 2004 ist sie sogar einer erlaubten geringfügigen Beschäftigung nachgegangen und hat dadurch ihren Lebensunterhalt selbst sichergestellt.