OLG Hamm

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Zitieren als:
OLG Hamm, Beschluss vom 22.11.2007 - 3 Ss 480/07 - asyl.net: M12324
https://www.asyl.net/rsdb/M12324
Leitsatz:

Die bloße falsche Angabe des Personenstandes gegenüber der Ausländerbehörde ist regelmäßig keine nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 5, 49 Abs. 2 AufenthG strafbare unrichtige Angabe zur Identität.

 

Schlagwörter: D (A), Strafrecht, Falschangaben, Strafklageverbrauch, Identitätstäuschung, Personenstand, Eheschließung
Normen: AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 5; AufenthG § 49 Abs. 1 a.F.; AufenthG § 49 Abs. 2 n.F.; AuslG § 82 Abs. 2 Nr. 2; AuslG § 95 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

Die bloße falsche Angabe des Personenstandes gegenüber der Ausländerbehörde ist regelmäßig keine nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 5, 49 Abs. 2 AufenthG strafbare unrichtige Angabe zur Identität.

(Amtlicher Leitsatz)

 

II. Die Revisionen beider Angeklagter haben mit der Sachrüge Erfolg.

1. Ein Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs durch die (Vor-)Verurteilung des Amtsgerichts Minden vom 19.08.2005 wegen "Machens unrichtiger Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels bzw. einer Duldung" in jeweils dreizehn Fällen ist nicht eingetreten. Das Amtsgericht Minden hatte beide Angeklagten jeweils wegen Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG und 95 Abs. 2 Nr. 2 AuslG in 13 Fällen, begangen zwischen Mai 2001 und Januar 2005 zu einer Gesamtgeldstrafe von jeweils 120 Tagessätzen zu je 7 Euro verurteilt. Grundlage der Verurteilung war, dass die Angeklagten seinerzeit jeweils bei ihren Anträgen auf Duldung, Erneuerung bzw. Verlängerung der Duldung wahrheitswidrig angegeben hatte, sie seien in Weißrussland geboren, hätten die dortige Staatsangehörigkeit und seien miteinander verheiratet.

Ein Strafklageverbrauch liegt dann vor, wenn das frühere Verfahren, wegen der Tat, die Gegenstand des jetzigen Verfahrens ist, vollständig abgeschlossen ist. Die Sperrwirkung reicht so weit, wie die Sachentscheidung auf Grund der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses geboten war (Meyer-Goßner 50. Aufl. Einl Rdn. 171, 173). Die frühere Verurteilung durch das AG Minden bezog sich jeweils auf unrichtige Angaben bezüglich des Geburtsorts in Weißrussland, der weißrussischen Staatsangehörigkeit und des Familienstandes bei Anträgen auf Duldung bzw. Verlängerung oder Erneuerung der Duldung im Zeitraum von Mai 2001 bis Januar 2005. Das vorliegende Verfahren bezieht sich hingegen auf falsche Angaben im Rahmen einer Antragstellung auf Verlängerung der Duldung am 23.12.2005, also vier Monate nach der oben genannten Verurteilung. Hierbei handelt es sich um einen Lebenssachverhalt, der nicht von der früheren Verurteilung erfasst ist.

2. Die Verurteilung der beiden Angeklagten hält aber in mehrfacher Hinsicht rechtlicher Überprüfung nicht Stand.

Nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG macht sich strafbar, wer (vorsätzlich) entgegen § 49 Abs. 1 AufenthG a.F. (§ 49 Abs. 2 AufenthG n.F., Fassung durch das Gesetz vom 20.07.2007 (BGBl I S. 1566), die dort geforderten Angaben nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, wenn die Tat nicht bereits nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar ist.

Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 AufenthG hat das Amtsgericht zu Unrecht bejaht.

a) Soweit das Amtsgericht der Strafbarkeit zu Grunde legt, dass die Angeklagten wahrheitswidrig angegeben hätten, sie seien in Q (Weißrussland) geboren und hätten die weißrussische Staatsangehörigkeit, ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, da sie lückenhaft (vgl. dazu BGH NStZ 1983, 277, 278; OLG Hamm Beschl. v. 02.08.2007 – 3 Ss 319/07; OLG Hamm Beschl. v. 29.08.2001 – 2 Ss 488/01) ist.

Sofern das Amtsgericht der Auffassung sein sollte, dass in derartigen Fällen geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung zu stellen seien, worauf die unklaren Ausführungen zum "Maßstab der Überzeugungsbildung", wonach es einer wachsenden Tendenz zur Verschleierung der Identität und Staatsangehörigkeit generalpräventiv entgegenzuwirken gelte, hindeuten, gehen diese Ausführungen ersichtlich an der Sache vorbei und sind rechtlich nicht haltbar. Generalpräventive Erwägungen sind auf der Rechtsfolgenseite, nach Überzeugung von der Schuld der Angeklagten, zu berücksichtigen (vgl. § 47 Abs. 1 StGB bzw. § 45 Abs. 3 StGB). Sie können aber nicht zu einer Absenkung des erforderlichen Grades der Überzeugungsbildung des Richters führen.

b) Auch die einzig verbleibende, rechtsfehlerfrei festgestellte unrichtige Angabe hinsichtlich der Eheschließung der Angeklagten erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG iVm. § 49 Abs. 1 AufenthG a.F. (§ 49 Abs. 2 AufenthG n.F.).

Mit "Identität" ist die "nachzuweisende Echtheit einer Person" (vgl. Duden, Fremdwörterbuch, Stichwort "Identität") gemeint. Diesem Identitätsbegriff entspricht die Regelung des § 49 Abs. 3 AufenthG, denn danach können bei Bestehen von "Zweifel über die Person" des Ausländers bestimmte Maßnahmen "zur Feststellung seiner Identität" getroffen werden. Es ist nach der Gesetzesfassung nicht erforderlich, dass die Identität als solche falsch benannt wird (also jemand vorgibt ein anderer zu sein). Es reicht aus, wenn einzelne Umstände, die der Feststellung der Identität dienen, unrichtig benannt werden. In § 49 Abs. 1 AufenthG a.F. (§ 49 Abs. 2 AufenthG n.F.) sind nämlich Angaben "zur" Identität (abzugrenzen von einer Angabe "der" Identität) gefordert.

Der Personenstand dient im Regelfall nicht der Identifizierung einer Person. Das zeigt sich bereits daran, dass der Personenstand nach § 1 PersAuswG nicht in das Ausweispapier aufgenommen wird. Der Feststellung der Identität dienen regelmäßig die Angaben zu Vornamen, Familiennamen und gegebenenfalls Geburtsnamen, Ort und Zeit der Geburt sowie die Angabe der Anschrift (OLG Hamm NJW 1988, 274 – zu § 111 OWiG -). Der Personenstand ist wegen möglicher Wechsel und wegen möglicherweise unterschiedlichen Definitionen in fremden Kulturkreisen ein eher wenig geeignetes Identifizierungsmerkmal zum Nachweis der "Echtheit" einer Person. Indiziell spricht auch Nr. 49.1.4. der vorläufigen Anwendungshinweise zum AufenthG dagegen (abgedruckt bei Renner, Ausländerrecht 8. Aufl. zu § 49 AufenthG). Dort ist der Personenstand als Identitätsmerkmal nicht aufgeführt. Dass nach § 111 OWiG auch eine falsche Angabe zum Familienstand bußgeldbewehrt ist, steht dem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Geschütztes Rechtsgut dieser Vorschrift ist nicht nur das staatliche Interesse an der Identitätsfeststellung einer Person, sondern auch das staatliche Interesse an der Kenntnis weiterer Personenangaben, um staatliche Aufgaben ordnungsgemäß durchführen zu können (vgl. OLG Hamm NJW 1988, 274; KK-OWiG-Rogall, 3. Aufl. § 111 Rdn. 4). Soweit teilweise in der Literatur ausgeführt wird, dass auch das Vortäuschen einer ehelichen Lebensgemeinschaft eine unrichtige Angabe sei (vgl. Renner, 8. Aufl. § 95 AufenthG Rdn. 18), bezieht sich dies ersichtlich auf den früheren § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG, dem der heutige § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufentG entspricht. Im Rahmen des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist die Problematik aber eine andere. Er ist in objektiver Hinsicht weiter gefasst, verlangt dafür aber zusätzliche subjektive Merkmale, wobei sich diese nach der zum Tatzeitpunkt geltenden Gesetzesfassung nur auf die Erlangung eines Aufenthaltstitels, nicht aber einer Duldung bezogen.

3. a) Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler, auf denen das Urteil auch beruht, war es aufzuheben und an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

b) Der neue Tatrichter wird insbesondere auch zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht an die Wahrung des in der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Schuldprinzips in Fällen derartiger "wiederholender Verurteilungen" stellt (BVerfG, Beschl. v. 27.12.2006 – 2 BvR 1895/05), gewahrt sind. Danach muss insbesondere geprüft und begründet werden, dass der Täter "einen neuen, von dem ersten qualitativ verschiedenen, weil die vorausgegangenen Verurteilungen außer Acht lassenden Tatentschluss gefasst hat" (BVerfG, a.a.O. Rdn. 31).