VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 26.11.2007 - 7 K 1582/06 - asyl.net: M12323
https://www.asyl.net/rsdb/M12323
Leitsatz:

Eine Abschiebung ist rechtswidrig, wenn sie in einer Weise durchgeführt wird, die die Inanspruchnahme von Rechtsschutz bewusst verhindert.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebung, Verfahrensrecht, ladungsfähige Anschrift, Zumutbarkeit, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Ausländerbehörde, Folgenbeseitigungsanspruch, Wirkungen der Abschiebung, Sperrwirkung, Feststellungsklage, Feststellungsinteresse, Rechtsweggarantie, Suizidgefahr, Mitteilung, Prozessbevollmächtigte
Normen: VwGO § 82 Abs. 1; AufenthG § 71 Abs. 2; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1; GG Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

Eine Abschiebung ist rechtswidrig, wenn sie in einer Weise durchgeführt wird, die die Inanspruchnahme von Rechtsschutz bewusst verhindert.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage hat nur in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg.

Trotz nicht unerheblicher Bedenken hält das erkennende Gericht die Klage für zulässig. Hiergegen steht auch nicht, dass der gegenwärtige Aufenthaltsort der Kläger und ihre ladungsfähige Anschrift nicht bekanntgegeben wird.

Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur dann, wenn ihre Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Ein solcher Ausnahmefall ist etwa dann gegeben, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Ebenso ist das Fehlen der ladungsfähigen Anschrift dann unschädlich, wenn ein Kläger oder Antragsteller glaubhaft über eine solche nicht verfügt. Auch bei Beachtung dieser Vorgaben, die auch das erkennende Gericht in ständiger Rechtsprechung teilt, ist es hier noch vertretbar zu sein, auf die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift der Kläger zu verzichten, da bei Berücksichtigung des Vortrags ihres Prozessbevollmächtigten in den mündlichen Verhandlungen vom 23.08.2007 und vom 26.11.2007 über die persönliche Situation der Kläger manches dafür spricht, hier ausnahmsweise auf die Angabe der Anschrift der Kläger zu verzichten.

Die Klage ist zunächst hinsichtlich ihres Hauptantrages unbegründet. Soweit die Kläger dort verlangen, den Beklagten zu verpflichten, den Klägern ein Rückreisevisum für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen, scheitert dieser Anspruch bereits daran, dass der Beklagte für die Erteilung eines Rückreisevisums für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr zuständig ist, da sowohl nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten der Kläger als auch nach den Erkenntnissen des Beklagten davon auszugehen ist, dass sich die Kläger nicht - mehr - im Kreis H. aufhalten, nachdem sie am 14.01.2006 nach Georgien abgeschoben worden sind. Abgesehen von der damit fehlenden sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Beklagten steht auch die materielle Rechtslage gegen eine Einreise der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland. Insoweit bestimmt nämlich § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, dass ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Auch nach den Angaben der Prozessbevollmächtigten der Kläger liegt eine Befristung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht vor, ein derartiger Antrag ist nicht einmal gestellt worden, so das es derzeit bei dem sich aus Satz 1 ergebenden Verbot verbleibt.

Entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Kläger kann die Verschaffung eines Einreisevisums auch nicht etwa unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung beansprucht werden: Dies scheitert zum einen bereits daran, dass die Kläger im Falle der Verschaffung eines Rückreisevisums sich rechtmäßig in die Bundesrepublik Deutschland begeben könnten und auch ihr Aufenthalt dort dann - jedenfalls für die Dauer des Visums - rechtmäßig wäre. Dies jedoch ist unter dem Gesichtspunkt einer Folgenbeseitigung nicht zulässig, da die Kläger vor ihrer Abschiebung aufgrund der bestandsfähigen Bescheide des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zur Ausreise verpflichtet waren und ihnen auch die erteilten Duldungen kein Recht zum Aufenthalt gegeben haben.

Nichts anderes folgt auch aus dem Beschluss des OVG NRW vom 09.03.2007 - 18 B 2533/06 -, in dem auch ausgeführt wird, dass materiell ein Folgenbeseitigungsanspruch ausgeschlossen ist, wenn und soweit die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einer Wiedereinreise entgegensteht. Dies gilt jedenfalls nach der Ansicht des OVG NRW dann, wenn die Ausreisepflicht, die durch die im Streit stehende Abschiebung vollzogen worden ist, nicht durch eine gleichfalls im Wege des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO angegriffene Maßnahme, die die zuvor gegebene Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des betreffenden Ausländers beendet hat, begründet worden ist. Auch in dem hier zu entscheidenden Fall der Kläger waren diese seit Abschluss ihrer erfolglos gebliebenen Asylverfahren ausreisepflichtig und sie verfügten nie über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. In derartigen Fällen bleibt es nach der Ansicht des OVG NRW, der sich das erkennende Gericht anschließt, dabei, dass die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gegebene Sperrwirkung dem geltend gemachten Folgenbeseitigungsanspruch entgegensteht.

Erweist sich der Hauptantrag damit als unbegründet, gilt dies auch für den ersten Hilfsantrag, den Klägern die Einreise in das Bundesgebiet zu gestatten. Auch insoweit wird auf den Beschluss des OVG NRW vom 09.03.2007 verwiesen, in dem ausgeführt wird, dass auch Anträge auf Rückholung bzw. auf Ermöglichung der Wiedereinreise in das Bundesgebiet unbegründet seien, da die begehrte Folgenbeseitigung rechtlich nicht möglich sei und der entsprechende Anspruch mithin ausgeschlossen sei, weil und solange dieser Folgenbeseitigung die Sperrwirkung der Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entgegenstehe. Dieser Ansicht des OVG NRW schließt sich das erkennende Gericht auch für den vorliegenden Fall ausdrücklich an.

Soweit die Kläger jedoch mit ihrem zweiten Hilfsantrag die Feststellung beantragen, dass ihre zwangsweise erfolgte Abschiebung am 14.01.2006 rechtswidrig erfolgt sei, ist dieser Antrag zulässig und auch begründet. Hierbei folgt das für die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags erforderliche Feststellungsinteresse der Kläger bereits daraus, dass nach der Rechtsprechung des OVG NRW (vgl. auch insoweit den Beschluss vom 09.03.2007, a.a.O.) die Frage der Rechtswidrigkeit einer durchgeführten Abschiebung regelmäßig auch im Hinblick auf eine zu treffende Befristungsentscheidung oder eine zu erteilende Betretenserlaubnis ein gewichtiger Gesichtspunkt ist, der von der zuständigen Behörde im Rahmen einer Entscheidung nach § 11 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG zu berücksichtigen ist.

In der Sache selbst zeigt sich, dass die Abschiebung der Kläger am 16.01.2006 in rechtswidriger Weise durchgeführt worden ist. Hierbei kann jedoch offenbleiben, ob die Rechtswidrigkeit der Abschiebung bereits daraus folgt, dass die Kläger - so jedenfalls der Vortrag ihres Prozessbevollmächtigten - am 14.01.2006 nicht reisefähig gewesen sind.

In diesem Zusammenhang bedarf dann auch keiner abschließenden Entscheidung in dem vorliegenden Verfahren, ob die von den vom Beklagten beigezogenen Ärzten L. und Dr. B. abgegebenen Stellungnahmen zur Reisefähigkeit der Kläger inhaltlich richtig gewesen sind.

Diese Fragen bedurften hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da sich die Rechtswidrigkeit der Abschiebung der Kläger, wie sie am 14.01.2006 durchgeführt worden ist, bereits schon daraus ergibt, dass der Beklagte zumindest in Kauf genommen hat, dass die Kläger vor ihrer Abschiebung nicht mehr in der Lage waren, ausreichenden und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Hierzu ist anerkannt, dass Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht gewährt, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Insbesondere vorläufiger Rechtsschutz ist dann durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geboten, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Auch ist der Rechtsschutz umso stärker, je gewichtiger die Belastung ist und je mehr die Verwaltungsmaßnahme Unabänderliches bewirkt (vgl. dazu etwa Antoni in: Hömig u.a., Grundgesetz, 8. Aufl. 2007, Art. 19, Rdnr. 16 m.w.N. auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

Hier zeigt sich dann jedoch, dass der Beklagte den Anforderungen, die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergeben, nicht in ausreichendem Maße gerecht geworden ist. So ist bereits in dem Beschluss des erkennenden Gerichts vom 18.08.2004 (7 L 590/04) ausgeführt worden, dass das erkennende Gericht davon ausgeht, dass dem Kläger zu 1. und seinem Prozessbevollmächtigten das Ergebnis einer noch durchzuführenden Untersuchung zur Reisefähigkeit des Klägers zu 1. unverzüglich mitgeteilt wird und ebenso mitgeteilt wird, ob und wann eine Abschiebung durchgeführt werden soll. Dass auch dem Beklagten die Notwendigkeit eines rechtzeitigen Hinweises über ein aktuell vorliegendes Gutachten zur Reisefähigkeit des Klägers zu 1. jedenfalls an dessen Prozessbevollmächtigten deutlich geworden ist, beweist nicht zuletzt der Vermerk des Kreisrechtsdirektors vom 10.02.2005 (vgl. Blatt 331 der Beiakte I). Auch bei Berücksichtigung des Vortrags des Beklagten, aus welchen Gründen eine Benachrichtigung des Prozessbevollmächtigten der Kläger nicht erfolgt ist, kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte nur in der von ihm schließlich gewählten Weise vorgehen konnte. Zwar verkennt auch das erkennende Gericht nicht, dass hier zahlreiche Hinweise dafür gegeben waren, dass jedenfalls der Kläger zu 1. mit seinem Suizid bzw. einem erweiterten Suizid gedroht hat. Dem hätte jedoch z.B. mit einer Festnahme des Klägers zu 1. und/oder seiner Ehefrau, ggf. auch mit einer getrennten Unterbringung der Kinder, Rechnung getragen werden können. Insoweit mag auch an dieser Stelle auf die Möglichkeiten des PsychKG verwiesen werden, hier insbesondere auf § 10 (Unterbringung und Aufsicht) bzw. auf § 14 (sofortige Unterbringung). Dass es insbesondere dem Kläger zu 1. bei Verwirklichung der im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen noch möglich gewesen wäre, sich oder seinen Familienmitgliedern Schaden zuzufügen, ist jedenfalls nicht wahrscheinlich; Gleiches gilt auch für die Klägerin zu 2.

Es zeigt sich dann auch, dass die vom Beklagten nach seinem Vermerk vom 19.12.2005 (Blatt 10 der Beiakte II) zumindest für möglich gehaltene Folge seines Vorgehens, dass nämlich für die Kläger nicht mehr die Möglichkeit bestehen könnte, rechtzeitig effektiven Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Anordnung zu beantragen, auch eingetreten ist. Jedenfalls wegen der Durchführung der Abschiebung an einem Samstag dürfte insoweit nämlich auch der Beklagte zum einen davon ausgegangen sein, dass eine Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten der Kläger in seinem Büro eher unwahrscheinlich ist. Der Beklagte konnte jedoch auch nicht davon ausgehen, dass den Klägern z.B. die Privatnummer ihres Prozessbevollmächtigten mitgeteilt worden war, zumal der Prozessbevollmächtigte zuletzt aufgrund des Beschlusses vom 18.08.2004 davon ausgehen konnten, dass seine Mandanten Gelegenheit haben würden, im Falle einer unmittelbar bevorstehenden Abschiebung Kontakt aufzunehmen, um dann ggf. einen Eilantrag an das Verwaltungsgericht zu stellen. Das Vorgehen des Beklagten erweist sich auch im Nachhinein nicht deshalb als rechtmäßig, weil die Kläger offensichtlich in der Lage gewesen sind, Dr. N. telefonisch zu benachrichtigen, so dass dieser die Kläger noch in der ZAB C. aufsuchen konnten. Zwar wäre es dann noch zumindest theoretisch möglich gewesen, einen Eilantrag an das Verwaltungsgericht zu stellen; angesichts der zeitlichen Begrenzung des Eildienstes an einem Samstag, der nämlich nur in der Zeit von 10.00 Uhr bis 11.00 Uhr gewährleistet ist, musste auch aus Sicht des Beklagten vieles dafür sprechen, dass eine rechtzeitige Anrufung des Gerichts in diesem Verfahren nicht mehr möglich sein werde. Insoweit belegt nicht auch zuletzt der erst um 17.32 Uhr per Fax abgesandte Eilantrag der Prozessbevollmächtigten der Kläger, über den dann erst am 18.01.2001 und somit nach Beendigung der Abschiebung entschieden werden konnte, dass es den Klägern offensichtlich nicht mehr möglich war, während der Stunde des Eildienstes des Verwaltungsgerichts Minden einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu stellen.

Zeigt sich aus alledem, dass der Beklagte durch die von ihm langfristig vorbereitete Abschiebung der Kläger vom 14.01.2006 zumindest in Kauf genommen hat, dass die Kläger an einer rechtzeitigen Stellung eines Eilantrags gehindert waren, hat er ihnen somit das durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Recht auf rechtzeitige Anrufung eines Gerichts genommen, so dass sich die Abschiebung der Kläger jedenfalls aus diesem Grund als rechtswidrig darstellt.