VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 05.12.2007 - 11 K 812/07 - asyl.net: M12314
https://www.asyl.net/rsdb/M12314
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Ermessenseinbürgerung, Sprachkenntnisse, Mehrehe, Ermessen, Integration, Analphabeten
Normen: StAG § 8
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, sachlich jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Neubescheidung durch die Beklagte.

Als Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Einbürgerung kommt allein § 8 StAG in Betracht.

Es ist nicht ersichtlich, dass sich das der Beklagten eingeräumte Ermessen bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StAG hier in einer Weise verdichtet hätte, dass sich nur die Einbürgerung als ermessensfehlerfrei darstellte (Ermessensreduktion auf Null). Hierfür hat die Klägerin nichts vorgetragen.

Die Ablehnung der Einbürgerung lässt schließlich auch keine Ermessensfehler erkennen, die ihre Aufhebung und eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung begründen könnten.

Die Beklagte hat ihre Entscheidung im Wesentlichen mit der fehlenden Einordnung der Klägerin in die deutschen Lebensverhältnisse begründet, die sich in ihren fehlenden Sprachkenntnissen und in ihrer familiären Situation als religiös verheiratete "Zweitfrau" manifestiere. Dass die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse entscheidendes Ermessenskriterium im Rahmen der Entscheidung nach § 8 StAG ist, ist allgemein anerkannt (vgl. nur Marx, in: GK Staatsangehörigkeitsrecht, § 8 StAG Rz. 131 ff.; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, § 8 StAG Rz. 52).

Ebenso ist im Grundsatz geklärt, dass ausreichende Deutschkenntnisse ein maßgebliches Kriterium der der Beklagten zukommenden Ermessensentscheidung in diesem Zusammenhang sind, auch wenn § 8 StAG solche Sprachkenntnisse nicht ausdrücklich als Voraussetzung für eine Einbürgerung normiert (vgl. dazu nur BVerwG, Urteile vom 20.10.2005 - 5 C 8/05 und 5 C 17/05 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.1.2005 - 13 S 2549/03 -, InfAuslR 2005, 155 ff.; BayVGH, Urt. vom 20.11.2006 - 5 BV 04.35 -; Marx, in: GK StAR, § 8 StAG Rz. 131 ff.; Hailbronner/Renner, StAR, 4. Aufl. 2005, § 8 StAG Rz. 52).

Gleichzeitig ist hier jedoch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber das Erfordernis ausreichender Deutschkenntnisse nicht um seiner selbst willen fordert, vielmehr dient es letztlich wesentlich als Bestätigungsmerkmal einer erfolgten und erfolgreichen Integration in die deutschen Lebensverhältnisse. In diesem Sinne hat auch die Beklagte ihre entsprechende Forderung begründet. Legt man diese gesetzgeberische Intention zu Grunde, muss bei der Anwendung des § 8 StAG auf den konkreten Einzelfall auch Berücksichtigung finden, inwieweit persönliche Eigenschaften des Antragstellers, die nichts mit dieser Integrationsfähig- und -willigkeit zu tun haben, auf die festgestellten Ergebnisse Einfluss haben können. Denn hierauf beruhende Defizite haben nach der Gesetzeskonzeption geringeren Einfluss auf die Frage, ob vorhandene Deutschkenntnisse "ausreichend" belegen, dass eine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse stattgefunden hat (in diesem Sinne auch Marx, in: GK StAR, § 8 StAG Rz. 142; Hailbronner/Renner, StAR, 4. Aufl. 2005, § 11 StAG Rz. 4).

Hinsichtlich der geforderten Kenntnisse der Schriftsprache ergibt sich daraus, dass ausreichende Möglichkeiten sprachlich vermittelter Kommunikation auf der Grundlage der deutschen Sprache typischerweise Voraussetzung für die Integration in die grundlegenden Bereiche der Bildung, der Beschäftigung und der Teilhabe am politischen Leben und damit für die soziale, politische und gesellschaftliche Integration sind.

Dabei ist zwar nicht erforderlich, dass der Einbürgerungsbewerber die deutsche Schriftsprache aktiv und passiv problemlos beherrscht. Voraussetzung ist jedoch, dass er in der Lage ist, selbstständig in deutscher Sprache verfasste Schreiben, Formulare und sonstige Schriftstücke zu lesen und ihrem sachlichen Gehalt nach so zu erfassen, dass hierauf zielgerichtet und verständigt reagiert werden kann. Diese Reaktion muss zwar nicht selbst schriftlich erfolgen, jedoch erfordert eine ausreichende Integration zumindest, dass auch die schriftliche Kommunikation unter Kontrolle des Einzubürgernden erfolgt. Dies wiederum setzt voraus, dass er in der Lage ist, in seinem Namen abzugebende schriftliche Erklärungen zumindest ihrem wesentlichen Inhalt nach selbstständig auf Richtigkeit zu prüfen (vgl. zum Vorstehenden ausführlich BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 5 C 8/05 -; Marx, in: GK StAR, § 8 StAG Rz. 141.2 ff.).

Diese im Rahmen des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StAG zu fordernden Sprachkenntnisse sind grundsätzlich auch bei der Ermessensentscheidung nach § 8 StAG zu berücksichtigen. Allerdings können und müssen in diesem Rahmen besondere Umstände, die in der Person des Einbürgerungsbewerbers und seiner sozialen Situation begründet sind, berücksichtigt werden können. Insoweit können etwa anderweitig belegte besondere Integrationsleistungen Anerkennung finden - z.B. eine längerfristige Einbindung in das Berufs- und Geschäftsleben oder auch eine auf Behinderung beruhende erschwerte Sprachaneignung (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 5 C 8/05 -; Marx, in: GK StAR, § 8 StAG Rz. 142).

Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte die Sprachkenntnisse der Klägerin zu Recht als nicht ausreichend bewertet. Unstreitig ist, dass die Klägerin über keinerlei deutsche Schriftkenntnisse verfügt, sie gibt selbst an, Analphabetin zu sein.

Die Beklagte hat im Rahmen ihres Ermessens zudem berücksichtigt, ob im Falle der Klägerin besondere Umstände es rechtfertigen könnten, von diesen Erfordernissen abzusehen, obwohl die Klägerin sich selbst nicht darauf beruft. Allein der Umstand, dass sie Analphabetin ist, reicht hierfür ersichtlich nicht aus. Damit wird lediglich beschrieben, dass sie über keine deutschen Schriftkenntnisse verfügt. Allein die Nichterfüllung eines zu Recht ermessensleitenden Kriteriums schließt dessen Anwendung jedoch nicht aus. In diesem Fall könnte man auf dieses Kriterium von vornherein verzichten. Die Beklagte hat gleichwohl geprüft, ob der Klägerin aus besonderen Gründen ein Erwerb von Schriftkenntnissen der deutschen Sprache unzumutbar ist. Sie hat das anhand der vorliegenden Erkenntnisse zu Recht verneint.

Dass die Klägerin über besonders gute mündliche Sprachkenntnisse verfügte, lässt sich ihrem eigenen Vortrag nicht entnehmen. Darüber hinaus sind keine Aktivitäten erkennbar, die für eine besondere Integration in anderen Bereichen sprechen.

Im Gegenteil hat die Beklagte die Ablehnung der Einbürgerung zu Recht auch auf den Umstand gestützt, dass die Klägerin praktisch seit Einreise ins Bundesgebiet als "Zweitfrau" mit einem Mann und dessen "Erstfrau" zusammenlebt. Damit zeigt sie, dass sie mit grundlegenden gesellschaftlichen Vorstellungen, wozu insbesondere auch das Prinzip der Einehe gehört (vgl. dazu OVG NRW, Urt. vom 2.9.1996 - 25 A 2106/94, NWVBl. 97, 71 ff.; VGH Kassel, Urteil vom 18.5.1998 - 12 UE 1542/98 - InfAuslR 1998, 505, 507; VGH Lüneburg, Urt. vom 13.7.2007 - 13 LC 468/03 -; VG Berlin, Urteil vom 16.8.2005 - 2 A 161/04 - ) in einem dauerhaften und bewussten Konflikt lebt.