VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 14.11.2007 - 10 K 24/07 - asyl.net: M12279
https://www.asyl.net/rsdb/M12279
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Ehrenmord, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, interne Fluchtalternative, Glaubwürdigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG, dessen Voraussetzungen mit denen der politischen Verfolgung im Sinne des § 16a Abs. 1 GG übereinstimmen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Vorgaben aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 7 bis 10 Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (Qualifikationsrichtlinie) und der dort verwendeten Begriffe der Verfolgungshandlung und der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen bzw. Nachteile (vgl. Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 1 Rdnrn. 77 ff. sowie unter Berücksichtigung von Art. 1 A Nr. 2 GFK).

Auch wenn das klägerische Vorbringen teilweise - und zwar der "Ehrenmord" an der Lebensgefährtin - geglaubt wird, kann ihm die geltend gemachte, anhaltende Gefährdung seiner Person nicht abgenommen werden und ist mit der Beklagten davon auszugehen, dass ihm jedenfalls im großen und ganzen von den syrischen Sicherheitsbehörden Schutz vor den hier geltend gemachten Übergriffen Dritter zur Verfügung steht.

Hinsichtlich Ehrenmorden in Syrien ist nach der zum Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer zu berücksichtigenden Auskunftslage - im Unterschied zu den bisher hierzu ergangenen Entscheidungen des Gerichts und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (vgl. die entsprechende Darstellung im Beschluss der 5. Kammer des Gerichts vom 25.10.2006, 5 K 27/06.A, mit dem dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, und die dortigen Nachweise) festzustellen, dass in Syrien Fälle von so genannten "Ehrenverbrechen" und "Ehrenmorden" nach den neueren Auskünften des Auswärtigen Amtes (vgl. etwa Auskünfte vom 25.07.2007 an VG Düsseldorf und vom 21.08.2006 an VG Mainz) vorkommen. In der letztgenannten Auskunft des Auswärtigen Amtes wird dazu dargelegt, in den meisten dieser Fälle richteten sich die gewaltsamen Maßnahmen gegen die Frau. Private Verfolgungsmaßnahmen auch gegen den betroffenen Mann könnten jedoch nicht ausgeschlossen werden. Ungeachtet des Umstandes, dass Körperverletzung und Tötung nach syrischem Recht verboten seien, gebe es bei so genannten Ehrverbrechen einen Privilegierungstatbestand im syrischen Strafgesetzbuch, der dem Richter die Möglichkeit einräume, das Strafmaß zu mildern. Effektiven Rechtsschutz gegen so genannte "Ehrverbrechen" gebe es kaum, wobei für die Frau die Situation noch schwerer sein dürfte, als für den Mann. Weiter wird dann ausgeführt, einem Mann werde es grundsätzlich möglich sein, sich durch inländische Fluchtalternativen in relative Sicherheit zu bringen. Der Grad der Sicherheit hänge dabei aber stark vom gesellschaftlichen und politischen Einfluss der Verfolger ab. Es gehe sogar soweit, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich eine Familie eines Einflusses auf die Sicherheitsdienste bediene, um eine missliebige Person zu "vertreiben". Diese Darstellung wird von darüber hinaus vorliegenden Erkenntnisquellen weitgehend bestätigt (Vgl. IGFM, Mord im "Namen der Ehre" zwischen Migration und Tradition, www.igfm.de.index.php?id=972; Tellenbach, Ehrenmorde an Frauen in der arabischen Welt, Wuquf, Nr. 13, Hamburg 2003, www.gair.de; Brocks, Deutsches Orient-Institut, Hamburg, Gutachten vom 22.12.2006, 2191 al/br, an VG Mainz; Hajo/Savelsberg, Berliner Gesellschaft für Kurdologie e.V., Berlin, Gutachten vom 18.03.2005).

Ist danach davon auszugehen, dass nicht nur Ehrenmorde an einer Frau durch Angehörige der eigenen Sippe, wie dies vorliegend als erfolgt vorgetragen ist, vorkommen und staatlicherseits letztlich nicht zu verhindern sind, so ist aufgrund der Auskünfte auch davon auszugehen, dass der an der "tödlichen Liaison" beteiligte Mann einer konkreten und akuten Gefährdung durch Dritte im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG unterliegen kann. Ob eine dahingehende Gefährdung vorliegt, lässt sich indes allein an Hand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles feststellen, da keinerlei Anhaltspunkte für eine generelle, jeden an einer unerwünschten Beziehung im hier fraglichen Sinn beteiligten Mann treffende Gefährdung vorliegen.

Vor diesem Hintergrund kann dem Kläger nicht abgenommen werden, dass in seinem Falle eine dahingehende Gefährdungssituation der Ausreise zugrunde lag und bei seiner Rückkehr nach Syrien - auch nicht bei Anlegung des herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs der hinreichenden Wahrscheinlichkeit - vorliegen wird. Seine Angaben sind nämlich nicht im oben dargestellten Sinne glaubhaft, da sich der Kläger in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung durch die Kammer in durchschlagende, nicht aufgelöste Widersprüche verwickelt hat und dort ein in erheblichem Umfang gesteigertes Vorbringen erkennbar geworden ist.