OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.10.2007 - 12 M 29.07 - asyl.net: M12235
https://www.asyl.net/rsdb/M12235
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Familienzusammenführung, Kindernachzug, alleiniges Sorgerecht, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse, Unterhalt, Unterhaltsrecht, Serbien, Kosovo, Eltern
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; ZPO § 121; AufenthG § 32 Abs. 3; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 2 Abs. 3; EGBGB § 18 Abs. 1; BGB § 1610 Abs. 2
Auszüge:

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der aus dem Kosovo stammende Kläger, der die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung mit seinem im Bundesgebiet lebenden Vater begehrt, nach § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 114, 121 ZPO keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren hat. Zwar bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Verfahren der ersten Instanz hinreichende Aussicht auf Erfolg (1.). Der Kläger ist jedoch nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (2.).

1. Dem Kläger steht voraussichtlich nach § 32 Abs. 3 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) ein Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums zu.

a) Zwar spricht einiges dafür, dass der Vater des Klägers nicht allein personensorgeberechtigt im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG ist, weil ihm das Sorgerecht durch das Urteil des Amtsgerichts Peje vom 12. Januar 2006 aufgrund der im Kosovo geltenden familienrechtlichen Vorschriften nicht vollständig übertragen werden konnte (vgl. Art. 112 des hier noch maßgeblichen Gesetzes über die Ehe und die verwandtschaftlichen Beziehungen vom 24. Februar 1984; ebenso nunmehr Art. 141 Abs. 1 des UNMIK-Gesetzes Nr. 2004/32 vom 20. Januar 2006 – Familiy Law of Kosovo). Nach der Rechtsprechung des Senats ist § 32 Abs. 3 AufenthG jedoch in denjenigen Fällen, in denen das anzuwendende Heimatrecht des nachzugswilligen Kindes keine vollständige Sorgerechtsübertragung auf den im Bundesgebiet lebenden Elternteil zulässt, analog anwendbar (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. April 2007 - OVG 12 B 2.05 -).

2. Der Kläger ist jedoch nicht bedürftig im Sinne von §§ 114, 115 ZPO.

a) Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann hier entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Kläger nach § 1610 Abs. 2 BGB gegen seinen im Bundesgebiet lebenden Vater einen unterhaltsrechtlichen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss habe. Der (materielle) Unterhaltsanspruch des im Kosovo lebenden Klägers gegen seinen Vater richtet sich jedoch nicht nach §§ 1601 ff. BGB, sondern nach dem im Kosovo geltenden Unterhaltsrecht. Dieses Recht wäre gemäß Art. 18 Abs. 1 EGBGB auch dann anzuwenden, wenn der Kläger seinen Vater von dem Kosovo aus vor einem deutschen Gericht auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch nähme. Die familienrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches sind nach Art. 18 Abs. 2 EGBGB nur dann anwendbar, wenn das berufene ausländische Recht dem Anspruchsteller einen Unterhaltsanspruch generell versagt (vgl. dazu auch OLG Brandenburg, FamRZ 2006, 1766). Hierfür besteht kein Anhaltspunkt (vgl. Art. 289 ff. des UNMIK-Gesetzes Nr. 2004/32 vom 20. Januar 2006 – Familiy Law of Kosovo).

b) Im auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug gerichteten Klageverfahren kommt es für die Frage nach der Bedürftigkeit gemäß §§ 114, 115 ZPO nicht allein auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des minderjährigen nachzugswilligen Klägers, sondern auch auf die wirtschaftliche Situation seines bereits im Bundesgebiet lebenden Elternteils an. Der Vater des Klägers ist hier zwar nicht unmittelbar Verfahrensbeteiligter, sondern nur gesetzlicher Vertreter seines Sohnes. In tatsächlicher Hinsicht betreibt jedoch nicht der minderjährige Kläger, sondern sein Vater den Nachzug in das Bundesgebiet. In rechtlicher Hinsicht steht dem Vater aufgrund der Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG ebenfalls ein Anspruch auf Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung mit seinem Sohn zu (vgl. z.B. BVerwGE 102, 12 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 16. März 2005 - 11 S 2885/04 -, zitiert nach juris, Rn. 24; OVG Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2003 - 8 B 26.02 -, zitiert nach juris, Rn. 22 ff.; zur vergleichbaren Problematik bei der Ausweisungsverfügung vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 791). Dies rechtfertigt es, im Prozesskostenhilfeverfahren auf die wirtschaftliche Situation des Vaters abzustellen, die hier im Übrigen auch in materiell-rechtlicher Hinsicht maßgeblich ist. Hinzu kommt, dass im Ausland befindliche minderjährige Kinder, für die eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen beansprucht wird, nicht besser gestellt werden dürfen, als Kinder, die sich bereits im Bundesgebiet aufhalten und auf die gemäß Art. 18 Abs. 1 EGBGB deutsches Familienrecht mit der Folge anzuwenden ist, dass ihnen im Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Berufung auf § 1610 BGB versagt werden kann.