LSG Niedersachsen-Bremen

Merkliste
Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16.10.2007 - L 11 AY 28/05 - asyl.net: M12225
https://www.asyl.net/rsdb/M12225
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, Falschangaben, Asylverfahren, Ursächlichkeit, Beweislast, freiwillige Ausreise, Zumutbarkeit, Serbien, Kosovo, Roma, Integration
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht Hannover hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Die Kläger haben einen Anspruch auf erhöhte Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.

Diese Anspruchsvoraussetzungen liegen bei den Klägern vor. Die Kläger haben Leistungen nach § 3 AsylbLG über eine Dauer von 36 Monaten bezogen. Sie haben die Dauer des Aufenthaltes im hier streitigen Zeitraum auch nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Die Beweislast für das Vorliegen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens liegt bei der Leistungsbehörde. Die Kläger haben zwar die in ihren Verhältnissen liegenden Bleibegründe darzulegen, der Beklagten fällt jedoch die Nichterweislichkeit von Rechtsmissbrauch zur Last, weil es sich dabei materiell um eine anspruchsausschließende Einwendung handelt (vgl. auch BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b AY 1/06 R - m.w.N.).

Die Kläger haben bei ihrer Asylantragstellung im Jahr 1996 zwar fehlerhaft angegeben, albanische Volkszugehörige zu sein, seit dem Jahr 2000 geht jedoch sowohl das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als auch die Beklagte davon aus, dass die Kläger zur Volksgruppe der Roma gehören. Somit wirkt sich diese fehlerhafte Angabe aktuell nicht mehr aus. Die Identität der Kläger als solche war nie im Streit.

Dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, wonach der Ausländer die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben darf, ist zwingend zu entnehmen, dass nur rechtsmissbräuchliches Verhalten relevant sein kann, das sich auf die Dauer des Aufenthaltes kausal ausgewirkt hat. Hierbei ist das Verhalten des Ausländers während der gesamten Dauer des Aufenthalts in der Bundesrepublik – also ab Einreise – zu betrachten, nicht etwa nur der streitgegenständliche Zeitraum oder nur der Zeitpunkt ab rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens. Nach Auffassung des erkennenden Senates kommt es mithin darauf an, ob sich das rechtsmissbräuchliche Verhalten des Asylbewerbers im Einzelfall konkret und kausal verlängernd auf die Dauer des Aufenthalts in der Bundesrepublik ausgewirkt hat. Nur wenn ein solcher Zusammenhang mit der notwendigen richterlichen Überzeugungsbildung im Einzelfall festgestellt werden kann, kann sich das aufenthaltsverlängernde, rechtsmissbräuchliche Verhalten auch leistungseinschränkend auswirken. Das kausale, vorwerfbare Verhalten muss im streitgegenständlichen Leistungszeitraum noch fortwirken.

Der erkennende Senat vermag sich insofern der Auffassung des für das AsylbLG nicht mehr zuständigen 7. Senats (vgl. dessen Urteil vom 20. Dezember 2005, Az: L 7 AY 40/05) nicht anzuschließen, wonach es für die Beurteilung der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes darauf ankommen soll, ob das rechtsmissbräuchliche Verhalten generell geeignet ist, die Dauer des Aufenthalts zu beeinflussen, und zwar unabhängig davon, ob sich die Verlängerung des Aufenthalts bereits realisiert hat oder der kausale Zusammenhang dadurch weggefallen ist, dass zwischen dem rechtsmissbräuchlichen Verhalten und dem Leistungsantrag die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt worden ist (sog. "abstrakte Betrachtungsweise").

Somit verbleibt es im vorliegenden Fall für den hier zu beurteilenden Zeitraum allein bei der Weigerung der Kläger, freiwillig in ihr Heimatland auszureisen.

Das Bundessozialgericht hat inzwischen entschieden, dass es rechtsmissbräuchlich ist, wenn ein Ausländer nicht freiwillig ausreist, obwohl ihm diese Ausreise möglich und zumutbar ist (Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b AY 1/06 R -).

Nach diesen Maßstäben ist den Klägern eine Rückkehr in ihr Heimatland derzeit nicht zumutbar. Dieses beruht jedoch nicht auf den Verhältnissen im Kosovo.

Allerdings ist den Klägern aufgrund ihrer fortgeschrittenen Integration eine Rückkehr in ihr Heimatland nicht zumutbar. Die Kläger haben sich im streitigen Zeitraum bereits ca. 12 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Neben diesem Aufenthalt kommt hinzu, dass die Kinder der Kläger zu 1.) und 2.) im Alter von 8 Jahren und jünger in die Bundesrepublik gekommen sind, der Kläger zu 5.) in der Bundesrepublik Deutschland geboren ist. Die Kinder haben somit fast ihre gesamte Schullaufbahn in Deutschland absolviert und es ist angesichts der Dauer des Aufenthaltes ein entsprechender Integrationsgrad festzustellen. Die Beklagte hat mit allen Klägern am 11. April 2007 auch Integrationsvereinbarungen getroffen. Sie geht damit von einer entsprechenden Integrationsfähigkeit der Kläger aus. Anderes ist auch nicht in dem hier streitigen Zeitraum festzustellen. Gegen eine Integration spricht auch nicht entscheidend, dass der Kläger zu 1.) durch Strafbefehl des Amtsgericht AB. vom 10. Mai 2000 wegen Sozialhilfebetruges aufgrund verschwiegenen Einkommens zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt wurde.