VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 05.11.2007 - AN 19 S 07.02600 u.a - asyl.net: M12178
https://www.asyl.net/rsdb/M12178
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Ausweisungsgründe, Verstoß gegen Rechtsvorschriften, Interessen der Bundesrepublik Deutschland, Schulpflicht, Religionsfreiheit, Baptisten, atypischer Ausnahmefall
Normen: AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2; BV Art. 129 Abs. 1; BayEUG Art. 35 Abs. 1; BayEUG Art. 35 Abs. 4; BayEUG § 76; BayEUG Art. 199; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 3; GG Art. 4 Abs. 1; GG Art. 7 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässigen Anträge haben in der Sache keinen Erfolg.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen kraft Gesetzes wie vorliegend ausgeschlossen ist, die aufschiebende Wirkung anordnen.

Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis.

Die Antragsteller zu 1) und 2) erfüllen aber den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Die Kinder der Antragsteller zu 1) und 2), die Antragsteller zu 3) bis 5) sind gemäß Art. 129 Abs. 1 BV, Art. 35 Abs. 1 BayEUG verpflichtet, die Schule zu besuchen. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind verpflichtet, die schulpflichtigen Kinder bei der Schule anzumelden (Art. 35 Abs. 4 BayEUG) und dafür zu sorgen, dass sie am Unterricht regelmäßig teilnehmen und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen (Art. 76 Satz 1 BayEUG). Die Nichterfüllung dieser Pflichten, die vorsätzlich erfolgt, stellt gemäß Art. 119 Abs. 1 Satz 1 und 2 BayEUG eine Ordnungswidrigkeit dar. Die Antragsteller zu 1) und 2) verstoßen damit nicht nur vereinzelt oder geringfügig gegen deutsche Rechtsvorschriften. Die beharrliche Weigerung, die Kinder in der Schule anzumelden, damit diese der Schulpflicht nachkommen können, ist weder ein vereinzelter noch ein geringfügiger Verstoß gegen Vorschriften im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Vielmehr stellt die Schulpflicht eine Kinder wie Eltern treffende staatsbürgerliche Grundpflicht dar, die als unverzichtbare Bedingung für die Gewährleistung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und zugleich als unerlässliche Voraussetzung für die Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Wohlfahrt der Gesellschaft gilt. Die staatliche Gemeinschaft verlangt von jedem jungen Bürger ein Mindestmaß an schulischer Grundausbildung; mit den Bestimmungen über die Schulpflicht wird sichergestellt, dass sich jeder dieser Grundausbildung unterzieht (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 13. Dezember 2002, Az. Vf. 73/VI/01 m.w.N.). Die Antragsteller zu 1) und 2) erfüllen damit den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, ohne dass es darauf ankäme, ob der Verstoß im konkreten Fall sanktioniert wurde und ohne dass es darauf ankäme, ob der Ausländer ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte (Hailbronner, Kommentar zum Ausländergesetz RdNr. 25 zu § 55 AufenthG und RdNr. 20 zu § 5 AufenthG).

Daneben steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch entgegen, dass die Antragsteller zu 1) und 2) die Regelvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht erfüllen, da ihr Aufenthalt aus sonstigen Gründen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt.

Zweifelsohne ist die allgemeine Schulpflicht unter die so definierten öffentlichen Interessen zu subsumieren. Die allgemeine Schulpflicht dient als geeignetes und erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrages, der sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen, sondern auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger richtet, die gleichberechtigt und dem Ganzen gegenüber verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben (BVerfG, B.v. 31.5.2006 Az. BvR 1693/04). Diese Zielrichtung korrespondiert vorliegend unmittelbar mit dem Ziel des Aufenthaltsgesetzes, die Integration in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu fördern (§ 43 Abs. 1 AufenthG). Dieser Prozess muss möglichst früh beginnen. Zu Recht geht deshalb der Antragsgegner davon aus, dass durch die Verweigerungshaltung der Antragsteller zu 1) und 2) der Integrationsauftrag des Aufenthaltsgesetzes unterlaufen wird. Integrationsbemühungen laufen insoweit ins Leere. Die Antragsteller zu 1) und 2) beeinträchtigen durch ihr Verhalten Interessen der Bundesrepublik Deutschland mit der Folge, dass die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht vorliegt.

Es sind auch keine Gründe ersichtlich, aus denen ausnahmsweise von dem Regelfall abgewichen werden könnte. Eine Ausnahme ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Antragsteller zu 1) und 2) aus Glaubensgründen den Schulbesuch der Antragsteller zu 3) bis 5) ablehnen. Zwar umfasst die in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Glaubensfreiheit auch den Anspruch, nach eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und handeln zu dürfen. Dieses Grundrecht ist jedoch Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu aber gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte Erziehungsauftrag, durch den das elterliche Erziehungsrecht durch die zur Konkretisierung dieses staatlichen Auftrages erlassene allgemeine Schulpflicht in grundsätzlich zulässiger Weise eine Beschränkung erfährt (BVerfG, B.v. 31.5.2006, 2 BvR 1693/04). Ein Abweichen von der gesetzlichen Regel kommt auch nicht im Hinblick auf die zwischenzeitliche Reduzierung des beantragten Zeitraums der Aufenthaltserlaubnis auf zwei Jahre in Betracht. Eine Befreiung von der Schulpflicht für diesen Zeitraum kommt offensichtlich nicht in Betracht. Darüber hinaus ist in keiner Weise sichergestellt, dass die Antragsteller tatsächlich nach zwei Jahren die Bundesrepublik Deutschland freiwillig verlassen würden. Es kann der Behörde aber nicht angesonnen werden, trotz bereits feststehenden Verstoßes gegen Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland auch in der Zukunft eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.