OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.11.2007 - 17 B 1779/07 - asyl.net: M12144
https://www.asyl.net/rsdb/M12144
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Altfallregelung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Straftat, Anwendungszeitpunkt, Beurteilungszeitpunkt, Bundeszentralregistergesetz, Tilgung, vorzeitige Tilgung, Abschiebungshindernis, Duldung, dringende persönliche Gründe, Ermessen
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 6; BZRG § 49 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3
Auszüge:

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Mit dem angefochtenen Beschluss ist dem Antragsgegner vorläufig untersagt worden, die Antragsteller abzuschieben. Das Verwaltungsgericht hat die Entscheidung darauf gestützt, die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an die Antragsteller sei auf der Grundlage der Altfallregelung des § 104 a AufenthG trotz der im Bundeszentralregister noch nicht getilgten Straftaten des Antragstellers zu 1. nicht ausgeschlossen. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

Zu Recht wendet sich der Antragsgegner allerdings gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die zum Ausschluss nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG führende Verurteilung wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat müsse innerhalb der Voraufenthaltszeit des § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG begangen worden sein. Diese Annahme findet im Gesetz keine Stütze. Verurteilungen wegen Straftaten sind grundsätzlich so lange zu beachten, bis sie durch Zeitablauf oder aufgrund einer Anordnung der Registerbehörde vorzeitig getilgt worden sind (vgl. Fehrenbacher, HTKAuslR/§ 104a/zu Abs. 1 Nr.3.7; Nr. 1.1.5.3 der Anwendungshinweise des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen zu §§ 104a und 104b AufenthG vom 16. Oktober 2007).

Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm.

Dies bedeutet indes nicht, dass der Antragsteller zu 1. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG nicht mehr erlangen könnte. Das Verwaltungsgericht hat auf die Möglichkeit der vorzeitigen Tilgung nach § 49 Abs. 1 BZRG hingewiesen. Eine vorzeitige Tilgung wäre beachtlich, da das Aufenthaltsgesetz keinen Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG enthält und das Aufenthaltserteilungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

Unter den hier vorliegenden besonderen Umständen, erscheint ein Erfolg des vom Antragsteller zu 1. bei der Registerbehörde gestellten Antrags auf vorzeitige Tilgung nicht als ausgeschlossen. Nach dem Sinn und Zweck des Bundeszentralregisters ist das öffentliche Interesse zwar grundsätzlich darauf gerichtet, dass die eintragungspflichtigen Verurteilungen bis zum Ablauf der gesetzlichen Fristen im Register verbleiben. Es ist auch nicht die Aufgabe der Registerbehörde, durch eine Entscheidung über die vorzeitige Tilgung der Eintragungen von Strafurteilen im Ergebnis selbst anstelle der nach dem Gesetz zuständigen Ausländerbehörde darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels vorliegen. Dies schließt eine vorzeitige Tilgung im Zusammenhang mit aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen in absoluten Ausnahmefällen aber nicht generell aus. Eine vorzeitige Tilgung dürfte in solchen Fallgestaltungen zu erwägen sein, bei denen ein Festhalten an den registerrechtlichen Regelungen für den Betroffenen eine unbillige, mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung unvereinbare Härte darstellt (vgl. Hase, BZRG, § 49, Rdn. 6–8).

Dass derartige Härten im Zusammenhang mit Bleiberechtsregelungen von der Registerbehörde in der Vergangenheit vereinzelt bejaht worden sind und zu einer vorzeitigen Tilgung geführt haben, hat das Bundesamt für Justiz als zuständige Registerbehörde auf fernmündliche Anfrage gegenüber dem Verwaltungsgericht bestätigt.

Der Senat teilt die Auffassung des Antragsgegners, dass es im Rahmen eines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung nicht seine Aufgabe sein kann, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob ein absoluter Ausnahmefall für eine vorzeitige Tilgung nach § 49 BZRG in Betracht kommen könnte und bejahendenfalls einen diesbezüglichen Antrag zu stellen. Hierfür bietet das Gesetz, insbesondere § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG, keinen Anhalt. Die Ausländerbehörde ist auf die Prüfung des Vorliegens der Erteilungsvoraussetzungen beschränkt.

Die Prüfungsbeschränkung im Titelerteilungsverfahren hat indes nicht zur Folge, dass der Antragsgegner stets zur umgehenden Aufenthaltsbeendigung berechtigt wäre, wenn der Ausländer einen diesbezüglichen Antrag bei der Registerbehörde – wie hier – gestellt hat. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern (§ 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG).

Dringende persönliche Gründe liegen vor, wenn sich bei der erforderlichen Interessenabwägung ergibt, dass dem privaten Interesse des Ausländers an einem vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet ein deutlich höheres Gewicht zukommt als der umgehenden Ausreise (vgl. Armbruster, HTK-AuslR/§ 60a AufenthG/zu Abs. 2 Satz 3 Nr. 4).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Folgen der vorzeitigen Abschiebung sind für die Antragsteller gravierend, wohingegen sich für eine umgehende Aufenthaltsbeendigung wenig ins Feld führen lässt. Den Antragstellern droht nämlich durch die Abschiebung ein vollständiger Rechtsverlust. So geht der ebenfalls mit ausländerrechtlichen Verfahren befasste 18. Senat des beschließenden Gerichts davon aus, dass ein möglicher Anspruch nach der Bleiberechtsanordnung wie der Anspruch nach § 104 a AufenthG voraussetzt, dass der Betreffende sich (geduldet bzw. ausreisepflichtig) in Deutschland aufhält (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2007 - 18 B 1349/07) .

Auf der anderen Seite sind überwiegende Interessen der Allgemeinheit für eine umgehende Aufenthaltsbeendigung nicht erkennbar und werden auch nicht vorgetragen.

Dies spricht gewichtig dafür, den Antragstellern die Chance einer Partizipation an der Altfallregelung zu erhalten.

Angesichts der bestehenden dringenden persönlichen Gründe für einen vorübergehenden weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet und dem Fehlen bedeutsamer öffentlicher Interessen daran, an der Durchsetzung der Ausreisepflicht gleichwohl festzuhalten, dürfte das dem Antragsgegner nach § 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG eröffnete Ermessen auf eine derzeitige Unterlassung der Abschiebung reduziert sein.