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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 - 10 C 8.07 - asyl.net: M12108
https://www.asyl.net/rsdb/M12108
Leitsatz:

1. Zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, gehört regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt.

2. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I 2007, 1970) ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei Asylbewerbern auch für die ausländerrechtliche Ermessensentscheidung zuständig, ob nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Vorschrift von der Abschiebung abgesehen werden soll.

3. Verpflichtet das Verwaltungsgericht das Bundesamt zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich eines bestimmten Staates, so ist auch die Bezeichnung des betreffenden Staates als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung rechtswidrig.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Verfahrensrüge, Verfahrensmangel, Beweisantrag, Sachaufklärungspflicht, Darlegungserfordernis, fachärztliche Stellungnahme, Mitwirkungspflichten, Suizidgefahr, Wahrunterstellung, eigene Sachkunde, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, atypischer Ausnahmefall, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, Prüfungskompetenz, Bundesamt, Ausländerbehörde
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; VwGO § 108 Abs. 2; VwGO § 138 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1; VwGO § 86 Abs. 1; AsylVfG § 34 Abs. 1; AufenthG § 59 Abs. 3 S. 2; AufenthG § 25 Abs. 3; AsylVfG § 24 Abs. 2
Auszüge:

Die zulässige Revision des Klägers zu 1 ist mit der Rüge eines Verfahrensmangels begründet (1.). Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht, soweit es einen Anspruch des Klägers zu 1 auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Aserbaidschans verneint und die Androhung der Abschiebung des Klägers zu 1 nach Aserbaidschan als rechtmäßig bestätigt hat (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

1. Der Kläger zu 1 beanstandet mit seiner allein auf Verfahrensrügen gestützten Revision der Sache nach zu Recht, dass die Ablehnung seines schriftsätzlichen Beweisantrags vom 13. April 2005 durch das Berufungsgericht im Prozessrecht keine Stütze findet und deshalb seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (§ 108 Abs. 2 VwGO, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Zugleich liegt, wie der Kläger zu 1 zu Recht rügt, in der Unterlassung der Beweiserhebung auch eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).

a) Wie der seinerzeit zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Zulassungsbeschluss vom 28. März 2006 - BVerwG 1 B 91.05 - (NVwZ 2007, 346) bereits ausgeführt hat, durfte das Berufungsgericht den nach Übergang in das schriftliche Verfahren gemäß § 101 Abs. 2 VwGO gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erkrankung des Klägers zu 1 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nicht mit der Begründung ablehnen, dass der Kläger zu 1 diese Erkrankung "nicht glaubhaft gemacht" habe. Denn eine Pflicht zur Glaubhaftmachung, etwa im Sinne von § 294 ZPO, besteht für die Beteiligten in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess regelmäßig ebenso wenig wie eine Beweisführungspflicht (vgl. Beschlüsse vom 29. April 2005 - BVerwG 1 B 119.04 - und vom 19. Oktober 2001 - BVerwG 1 B 24.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 342 und 317, jeweils unter Hinweis auf das Urteil vom 29. Juni 1999 - BVerwG 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174).

Auch wenn man die Ausführungen des Berufungsgerichts zur mangelnden "Glaubhaftmachung" der behaupteten psychischen Erkrankung bei dem Kläger zu 1 in dem Sinne verstehen wollte, dass das Berufungsgericht den Beweisantrag als einen aufs Geradewohl oder ins Blaue hinein gestellten oder nicht hinreichend substantiierten Beweisantrag angesehen hat, würde dies die Ablehnung der Beweiserhebung nicht tragen. Dass die Behauptung der Erkrankung des Klägers zu 1 an einer PTBS mit einhergehender Suizidgefahr ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich aufgestellt oder aus der Luft gegriffen wäre (vgl. etwa Beschluss vom 5. März 2002 - BVerwG 1 B 194.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 320 und Beschluss vom 30. Januar 2002 - BVerwG 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69), kann angesichts des vorgelegten fachärztlichen Attests vom 11. März 2005 nicht angenommen werden. Der Beweisantrag kann angesichts dieses Attests auch nicht als unsubstantiiert angesehen werden.

Allerdings gehört zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen PTBS zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen (vgl. Beschluss vom 16. Februar 1995 - BVerwG 1 B 205.93 - Buchholz 451.20 § 14 GewO Nr. 6).

Das vom Kläger zu 1 vorgelegte ärztliche Attest vom 11. März 2005, das sich trotz der Erwähnung der Klägerin zu 2 im Betreff erkennbar auf den Kläger zu 1 bezieht, genügt diesen Anforderungen. Es enthält neben einer Darstellung der Krankheitsvorgeschichte auf der Grundlage der Angaben des Klägers zu 1 eine - wenn auch knappe - Schilderung der eigenen Befunderhebung und eine eindeutige Diagnose einer PTBS durch die Fachärztin sowie Angaben zur derzeitigen medikamentösen Behandlung. Bei der Krankheitsgeschichte wird auch auf die Gründe eingegangen, warum der Kläger zu 1 sich erst vier Jahre nach der Flucht aus seiner Heimat in fachärztliche Behandlung begeben hat. Die Beibringung einer detaillierteren, an den Forschungskriterien F 43.1 des ICD-10 (International Classification of Diseases, World Health Organisation 1992) orientierten gutachtlichen fachärztlichen Stellungnahme, wie sie das Berufungsgericht der Sache nach verlangt, mag zwar für die Überzeugungsbildung des Gerichts hilfreich sein, ist aber nicht Voraussetzung für einen substantiierten Beweisantrag. Denn damit würden die Anforderungen an die Darlegungspflicht der Beteiligten überspannt. Wenn das Berufungsgericht die Einholung einer derart ausführlichen gutachtlichen Stellungnahme des behandelnden Arztes für erforderlich hält, ist der Beteiligte zwar gehalten, den Arzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden und sich gegebenenfalls weiterer Untersuchungen zu unterziehen, er ist aber nicht gehalten, von sich aus und auf seine Kosten eine solche gutachtliche Stellungnahme vorzulegen. Dies würde im Ergebnis auf eine Art Beweisführungspflicht hinauslaufen, die in der Regel mit den verwaltungsprozessualen Grundsätzen nicht vereinbar ist (vgl. aber zu einer gesetzlich vorgesehenen Ausnahme Beschluss vom 2. November 1999 - BVerwG 8 B 213.99 - Buchholz 428 § 18 VermG Nr. 9).

Die vom Berufungsgericht angeführte weitere Begründung für die Ablehnung des Beweisantrags ist - wie bereits im Beschluss vom 28. März 2006 - BVerwG 1 B 91.05 - ausgeführt, ebenfalls nicht tragfähig. Wenn das Gericht den Beweisantrag nicht für erheblich hält, weil auch bei Unterstellung der behaupteten Erkrankung die damit einhergehenden Symptome nicht den Gefährdungsgrad erreichten, der tatbestandlich in § 60 Abs. 7 AufenthG vorausgesetzt sei, nimmt es im Ergebnis eine eigene medizinische Bewertung von Schwere und Ausmaß der Erkrankung vor, ohne die hierfür erforderliche eigene Sachkunde zu besitzen und darzulegen (vgl. Beschluss vom 25. Juni 2004 - BVerwG 1 B 234.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 283 m.w.N.). Das Berufungsgericht konnte mangels eigener Sachkunde die Gefahr der möglichen Verschlimmerung einer Erkrankung des Klägers zu 1 bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan, insbesondere auch die in dem Attest ebenfalls angeführte Suizidgefahr, nicht ohne weitere Aufklärung durch Einholung fachärztlicher Stellungnahmen oder Gutachten beurteilen und verneinen.

b) Die festgestellten Verfahrensmängel bei der Prüfung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zugunsten des Klägers zu 1 im Hinblick auf Aserbaidschan führten auch zur Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und Zurückverweisung des Verfahrens hinsichtlich der Bezeichnung Aserbaidschans als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Kläger zu 1. Sofern nämlich das Berufungsgericht nach der erforderlichen weiteren Aufklärung ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei dem Kläger zu 1 bejahen sollte, wäre auch die in der Abschiebungsandrohung enthaltene Zielstaatsbezeichnung nach § 59 Abs. 3 AufenthG rechtswidrig und deshalb aufzuheben.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Abschiebungsandrohung ist die neue, seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I 2007, 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltende Rechtslage.

Nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, der durch das Richtlinienumsetzungsgesetz selbst nicht geändert worden ist, ist in der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Daraus folgt, dass in diesen Fällen auch die (positive) Bezeichnung des fraglichen Staates als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung rechtswidrig ist, und zwar, wie Satz 3 der Vorschrift zeigt, auch dann, "wenn das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots feststellt". Dann bleibt zwar die Abschiebungsandrohung nach Satz 3 der Vorschrift im Übrigen unberührt, die Zielstaatsbezeichnung ist aber als rechtswidrig aufzuheben. Wann ein Ausländer im Sinne von § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht in einen bestimmten Zielstaat abgeschoben werden darf, ist den Bestimmungen über die zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote in § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG zu entnehmen. Bei Asylbewerbern ist die Ausländerbehörde insoweit an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG gebunden (§ 42 Satz 1 AsylVfG). Bei den sogenannten zwingenden Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 und dem neuen Absatz 7 Satz 2 AufenthG führt eine positive Entscheidung über das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots hinsichtlich eines Staates unproblematisch zur Rechtswidrigkeit der Bezeichnung dieses Staates als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung, weil bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Abschiebung in den betreffenden Staat ausnahmslos ausgeschlossen ist. Bei dem hier streitigen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt dies nicht ohne weiteres auf der Hand, weil nach der gesetzlichen Konzeption die Abschiebung nicht immer schon dann zwingend ausgeschlossen ist, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, sondern gemäß der Soll-Regelung in dieser Vorschrift hierfür zusätzlich eine - wenn auch auf atypische Fälle beschränkte - Ermessensentscheidung über das Absehen von der Abschiebung erforderlich ist.

Nach der alten, vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes geltenden Rechtslage war für diese Ermessensentscheidung auch bei Asylbewerbern nicht das Bundesamt, sondern die Ausländerbehörde zuständig. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, für den Fall einer Ermessensausübung der Ausländerbehörde zugunsten einer Abschiebung des Ausländers vorsorglich die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes in Bezug auf den betreffenden Zielstaat aufrechtzuerhalten, auch wenn das Bundesamt oder das Verwaltungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bejaht hatte. Dementsprechend war nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die auf asylverfahrensrechtlicher Grundlage verfügte Abschiebungsandrohung in einen bestimmten Zielstaat nach § 34 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG (jetzt § 59 AufenthG) nicht deshalb rechtswidrig, weil das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG vom Bundesamt oder im anschließenden gerichtlichen Verfahren festgestellt worden war (vgl. Urteile vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260 265> und vom 5. Februar 2004 - BVerwG 1 C 7.03 - Buchholz 402.240 § 50 AuslG Nr. 15 = NVwZ-RR 2004, 534).

Ob sich an dieser Beurteilung durch die ab 1. Januar 2005 geltenden Neuregelungen im Zuwanderungsgesetz etwas geändert hat, kann hier offen bleiben. Allerdings ist durch das Zuwanderungsgesetz § 41 AsylVfG a.F. ersatzlos gestrichen worden, weil im Hinblick auf die jetzt im Falle der Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mögliche Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG die bisher in § 41 AsylVfG getroffene Verfahrensregelung entbehrlich sei (BTDrucks 15/420 S. 110); ferner ist die "Kann-Regelung" des § 53 Abs. 6 AuslG durch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in eine "Soll-Regelung" umgewandelt worden. Außerdem ist in der Nachfolgevorschrift zu § 50 Abs. 3 AuslG, dem jetzigen § 59 Abs. 3 AufenthG, das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei der Regelung der Zielstaatsbezeichnung nicht mehr ausdrücklich ausgespart. Andererseits enthält auch der neue § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kein zwingendes Abschiebungsverbot, da er nach wie vor ein - wenn auch auf atypische Fälle beschränktes - behördliches Ermessen eröffnet, den Ausländer trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift in den betreffenden Staat abzuschieben. Auch an der nur auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezogenen Zuständigkeit des Bundesamtes (§ 24 Abs. 2 AsylVfG) und demzufolge an der Zuständigkeit der Ausländerbehörde für die verbleibende Ermessensentscheidung hat das Zuwanderungsgesetz nichts geändert (vgl. Urteil vom 22. November 2005 - BVerwG 1 C 18.04 - BVerwGE 124, 326 Rn.12, ebenso Beschluss vom 21. Dezember 2005 - BVerwG 1 B 9.05 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2ff AufenthG Nr. 5). Die in der Rechtsprechung und im Schrifttum umstrittene Frage, ob gleichwohl aus den Neuregelungen im Zuwanderungsgesetz geschlossen werden konnte, dass allgemein oder jedenfalls unter bestimmten Umständen die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Bundesamt oder die entsprechende Verpflichtung durch gerichtliche Entscheidung zur Rechtswidrigkeit der Bezeichnung des betreffenden Staates als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung führt, braucht hier indes nicht abschließend geklärt zu werden (vgl. zu dieser Frage etwa VG Freiburg, Urteil vom 15. Juni 2005 - A 1 K 11832.03 - juris Rn. 43 ff., Hailbronner, AuslR, Stand April 2006, § 59 AufenthG Rn. 26; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 34 Rn. 90).

Jedenfalls nach dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 ist nämlich davon auszugehen, dass nunmehr bei Asylbewerbern das Bundesamt auch für die ausländerrechtliche Ermessensentscheidung zuständig ist, ob nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Vorschrift von der Abschiebung abgesehen werden soll. Dies folgt vor allem aus der Neufassung des § 24 Abs. 2 AsylVfG, der die ausnahmsweise Zuständigkeit des Bundesamtes für ausländerrechtliche Entscheidungen nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG regelt (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Nach der Neufassung obliegt dem Bundesamt nach Stellung eines Asylantrags die Entscheidung, "ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt". Diese Formulierung ist an die Stelle des bisherigen Halbsatzes, "ob die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen", getreten (vgl. auch die entsprechenden Änderungen in § 32 Satz 1 AsylVfG und § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Auch wenn die Neufassung in der Begründung des Gesetzentwurfs nur als redaktionelle Änderung bezeichnet wird (BTDrucks 16/5065 S. 216 Zu Nummer 16 Zu Buchstabe b) und es an anderen Stellen des Gesetzes noch bei den alten Formulierungen geblieben ist (etwa in § 31 Abs. 3 Satz 1, § 39 Abs. 2, § 40 Abs. 1 Satz 2, § 42 Satz 1 AsylVfG), ist sie in Verbindung mit den oben erwähnten, bereits durch das Zuwanderungsgesetz eingeführten Änderungen als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens zu werten, dem Bundesamt die Zuständigkeit zur abschließenden Entscheidung über das vollständige Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzuweisen (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., der allerdings eine solche Zuständigkeitsverlagerung schon ab 1. Januar 2005 annimmt).

Umfasst danach die Feststellung des Bundesamtes zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen, sondern nunmehr auch die durch die Soll-Regelung beschränkte Ermessensentscheidung über die Rechtsfolge, so ergibt sich daraus zwangsläufig, dass der Ausländer in den betreffenden Staat, auf den sich die Feststellung bezieht, nicht abgeschoben werden darf. Die Bezeichnung dieses Staates als Zielstaat der Abschiebung ist damit nach § 59 Abs. 3 AufenthG rechtswidrig. An der vom Verwaltungsgericht vertretenen anderslautenden Auffassung zur alten Rechtslage (vgl. die oben unter Rn. 21 zitierten Urteile) kann unter Geltung der neuen Rechtslage daher nicht mehr festgehalten werden.

Im Übrigen führt die Zuständigkeitsverlagerung von der Ausländerbehörde auf das Bundesamt in der Regel nicht zu einer wesentlichen Änderung des Prüfungsumfangs im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist wegen der Soll-Bestimmung regelmäßig ein Absehen von der Abschiebung in den betreffenden Staat geboten. Nur wenn ausnahmsweise Anhaltspunkte für das Vorliegen eines atypischen Falles bestehen, werden die Gerichte zu prüfen haben, ob dieser tatsächlich vorliegt und werden gegebenenfalls das Bundesamt - wenn dessen Ermessen nicht auf Null reduziert ist - nur zur Neubescheidung verpflichten können.