LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.11.2007 - L 20 B 74/07 AY - asyl.net: M12107
https://www.asyl.net/rsdb/M12107
Leitsatz:

Der Träger der Sozialleistungen darf im Rahmen der unabweisbar gebotenen Leistungen nach § 1 a AsylbLG nicht auf die Nutzung privat organisierter "Armentafeln" verweisen.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Leistungskürzung, unabweisbar gebotene Hilfe, Armentafel, Ernährung, Lebensmittelpakete
Normen: SGG § 86b Abs. 2; AsylbLG § 1a
Auszüge:

Der Träger der Sozialleistungen darf im Rahmen der unabweisbar gebotenen Leistungen nach § 1 a AsylbLG nicht auf die Nutzung privat organisierter "Armentafeln" verweisen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat es das Sozialgericht abgelehnt, eine einstweilige Anordnung zu erlassen, die die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller die begehrte Leistung auszuzahlen.

Der Senat kann dahingestellt bleiben lassen, ob die Voraussetzungen des § 1a AsylbLG erfüllt sind, weil sich der vorliegende Eilantrag darauf beschränkt, die Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen zu verpflichten, die das in § 1a AsylbLG angesprochene Niveau der "unabweisbar gebotenen Leistung" nicht überschreiten.

Das Tatbestandsmerkmal der "unabweisbar gebotenen Leistung" stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Auflage 2006, § 1a AsylbLG Rn 26).

Bei der Bedarfsgruppe Ernährung kommt wegen ihres existentiellen Charakters eine Leistungseinschränkung allein im Hinblick auf die Form in Betracht (etwa Umstellung von Geldleistungen auf Wertgutscheine oder Sachleistungen, Verkürzung der Leistungszeiträume, vgl Hohm aaO Rdnr. 29). Der Umfang der Leistung entspricht insoweit den Maßstäben, die auch bei § 3 AsylbLG anzusetzen sind mit Ausnahme des sog. Taschengeldes nach § 3 Abs.1 S.4 AsylbLG. Denn weil es sich bei der Ernährung um einen für die menschliche Existenz unverzichtbaren Bedarf handelt, scheidet auch im Rahmen des § 1a AsylbLG in der Regel eine nochmalige Reduzierung des auf die Bedarfsgruppe Ernährung entfallenden Anteils der Grundleistungen aus (GK-AsylbLG § 1a Rdnr. 180 mwN). Unzulässig ist es deshalb, den unabweisbar gebotenen Bedarf an Ernährung i.S.d. § 1a letzter Halbsatz AsylbLG im Vergleich zum notwendigen Ernährungsbedarf des § 3 Abs.1 S.1 AsylbLG generell niedriger anzusetzen und die zur Bedarfsdeckung gewährten Leistungen entsprechend einzuschränken (GK-AsylbLG a.a.O.).

Diesen gesetzlichen Vorgaben wird die Praxis der Antragsgegnerin, dem Antragsteller nur 1, 50 EUR wöchentlich für die Nutzung der I Tafel zur Verfügung zu stellen, nicht gerecht. Denn die dem Antragsteller von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Leistungen in Höhe von 1,50 EUR wöchentlich stellen nach der im Eilverfahren zunächst allein möglichen summarischen Überprüfung nicht hinreichend sicher, dass der Antragsteller die im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar gebotenen Leistungen i.S.d. § 1a AsylbLG tatsächlich erhält. Es spricht vielmehr vieles dafür, dass der Antragsteller in einem Hauptsacheverfahren obsiegen würde.

Durch die Herabsetzung der Leistungen an den Antragsteller wird diesem insbesondere die Möglichkeit genommen, seinen Grundbedarf sicherzustellen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass auch nach den Auskünften des "I Tafel e.V." durch die Nahrungsmittelpaketen nicht hinreichend sichergestellt ist, dass der Antragsteller die erforderlichen Nahrungsmittel auch tatsächlich erhält. Soweit diese Pakete auch Milch enthalten, so ist dies erkennbar nicht ausreichend, den täglichen Flüssigkeitsbedarf einer erwachsenen Person von mindestens zwei Litern zu decken. Dass diese Pakete weitere 14 Liter Flüssigkeit beinhalten, ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Zudem sind die Nahrungsmittelpakete in ihrer Zusammensetzung nicht in der Weise vorhersehbar, dass eine ausreichend gesunde Ernährung sichergestellt ist. Auch das Sozialgericht hat in dem angefochtenen Beschluss schon Zweifel daran geäußert, ob die Lebensmittelpakete der I Tafel eine ausreichende Grundlage für die erforderliche Ernährung darstellen, ohne allerdings die naheliegende Konsequenz zu ziehen, die Antragsgegnerin zur Gewährung weitergehender Leistungen zu verpflichten.

Zudem obliegt es der Antragsgegnerin als Trägerin der Leistungen nach dem AsylbLG selbst, die Sicherung des Existenzminimums der Personen zu gewährleisten, die ihr gesetzlich anvertraut wurden. Sie kann sich dieser Aufgaben nicht dadurch entledigen, dass sie den Antragsteller auf die Nutzung privatrechtlich organisierter "Armentafeln" verweist. Dies ergibt sich schon daraus, dass solche Tafeln auf einem ehrenamtlichen Engagement beruhen, für dessen Fortsetzung und Dauerhaftigkeit keine Gewähr übernommen werden kann. Eine Fortsetzung dieser Tätigkeiten wird insbesondere dann in Frage gestellt, wenn es staatlichen Organisationen tatsächlich gestattet würde, ihre Fürsorgeverpflichtungen auf diese Organisationen abzuwälzen, denn diese Tafeln verstehen sich nach einschlägigen Presseverlautbarungen als ein System, das neben staatlichen Sozialleistungen weitere Hilfen anbieten will. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, dass die gesetzlichen Leistungen nicht in allen Fällen ausreichend sind und es einer ergänzenden Hilfe bedarf. Keinesfalls ist aber davon auszugehen, dass sich die Zielrichtung der Tafeln auch darauf richtet, staatliche Leistungen etwa des AsylbLG zu ersetzen, so dass die Gewährung des Betrages von 1,50 EUR wöchentlich auch nicht als Sachleistung i.S.d. § 3 Abs.1 S.1 AsylbLG angesehen werden kann.

Der Antragsgegnerin ist zuzugeben, dass es Fälle geben mag, in denen vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer z.B. fehlende Legitimationspapiere ausnutzen, um sich aus vom Gesetzgeber nicht als schützenswert angesehenen Motiven weiter in Deutschland aufhalten zu können. Möglicherweise gehört auch der Antragsteller zu diesem Personenkreis, denn seine Ausführungen zu der angeblichen Verfolgungssituation in Togo sind auffällig detailarm und lückenhaft. Dies kann aber nicht dazu führen, dass Menschen, bei denen Abschiebungshindernisse der o.g. Art vorliegen, nicht mehr mit den Leistungen versorgt werden, die für ein menschenwürdiges Leben unabdingbar sind. Dies ergibt sich auch aus der in § 1a AsylbLG zum Ausdruck kommen Wertung, nach der die Leistungen nur auf das "unabweisbar" Gebotene gekürzt werden können. Diese Grenze hat die Antragsgegnerin vorliegend unterschritten. Zudem dürfte nach Aktenlage die Prüfung noch nicht abgeschlossen sein, ob der Aufenthalt des Antragstellers trotz der fehlenden Passpapiere beendet werden kann.