VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 14.06.2007 - 14 B 05.31264 - asyl.net: M12044
https://www.asyl.net/rsdb/M12044
Leitsatz:

Diese Entscheidung wurde aufgehoben durch BVerwG, Urteil v. 24.9.2009 - 10 C 25.08 -, M16433.

Die Flüchtlingsanerkennung im Folgeverfahren ist nicht gem. § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen, wenn der Antragsteller bei Einreise auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes noch keine feste Überzeugung bilden konnte; das ist in der Regel der Fall, wenn er noch keine 16 Jahre alt war.

Schlagwörter: Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, exilpolitische Betätigung, Ausnahmefall, Alter
Normen: AsylVfG § 28 Abs. 2; AsylVfG § 71 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Flüchtlingsanerkennung im Folgeverfahren ist nicht gem. § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen, wenn der Antragsteller bei Einreise auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes noch keine feste Überzeugung bilden konnte; das ist in der Regel der Fall, wenn er noch keine 16 Jahre alt war.

(Leitsatz der Redaktion)

Die Berufung der Beklagten, über die der Senat - nach entsprechender Anhörung der Beteiligten (§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO) - gemäß § 130a Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davor ausgegangen, dass dem Kläger ein Anspruch auf die Feststellung des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG, das mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes - ZuwandG - vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) am 1. Januar 2005 an die Stelle des Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG getreten ist, zusteht. Der Einwand der Beklagten, für Fälle einer exilpolitischen Betätigung bestimme § 28 Abs. 2 AsylVfG, dass dem Kläger die Berufung auf die im Folgeverfahren geltend gemachten Nachfluchttatbestände verwehrt sei und dass eine Entscheidung nach § 60 Abs. 1 AufenthG somit in der Regel nicht mehr getroffen werden könne, führt zu keiner anderen Beurteilung.

Der Senat geht zwar davon aus, dass die nach Art. 15 Abs. 3 ZuwandG am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Regelung in § 28 Abs. 2 AsylVfG auch auf Folgeverfahren anwendbar ist, die - wie das vorliegende Verfahren - bereits vor Inkrafttreten dieser Vorschrift eingeleitet waren (BayVGH Urteil vom 13.6.2007 Az. 14 B 05.30387 m.w.N.). Die Vorschrift kommt hier jedoch aus folgenden Gründen nicht zur Anwendung:

Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG kann im Regelfall dann kein Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 1 AufenthG gewährt werden, wenn ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und sein Vorbringen auf Umstände im Sinne des § 28 Abs. 1 AsylVfG stützt, die nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags entstanden sind und wenn im Übrigen die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens vorliegen. Es soll mithin dann, wenn nach Abschluss des ersten Asylverfahrens vom Asylbewerber aus eigenem Entschluss geschaffene Verfolgungsgründe mangels Kausalität zwischen Verfolgung und Flucht in der Regel nicht zur Asylgewährung führen können, auch die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG in der Regel ausgeschlossen sein; eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn der Entschluss einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entspricht (§ 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Dadurch, dass die Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG ausdrücklich auf die gesamte Regelung in § 28 Abs. 1 AsylVfG Bezug nimmt, wird zudem deutlich, dass die erstgenannte Norm auch dann keine Anwendung finden und somit keine Sperrwirkung entfalten kann, wenn sich der Ausländer auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte (§ 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor.

Der am ... 1984 geborene Kläger war im Zeitpunkt seiner am 13. August 1999 erfolgten Einreise in das Bundesgebiet erst 15 Jahre alt. Er war nach Auffassung des Senats somit noch zu jung, als dass von ihm das Innehaben einer festen politischen Überzeugung überhaupt hätte erwartet werden dürfen. Für diese Einschätzung spricht nicht zuletzt auch der Umstand, dass der Kläger bei Verlassen seines Heimatlandes bzw. bei Einreise in das Bundesgebiet auf Grund seines Alters nicht einmal handlungsfähig im Sinne des § 12 Abs. 1 AsylVfG war. Denn in dieser Regelung, nach der die asylverfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit mit Vollendung des 16. Lebensjahres beginnt, kommt die Auffassung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass ein Sechzehnjähriger in der Lage ist, die Bedeutung des Asylrechts zu erfassen und die durch die Inanspruchnahme dieses Rechts für ihn und seine Angehörigen entstehende Lage zu würdigen (so: Schenk in Hailbronner, AuslR, Stand Mai 2007, RdNr. 17 zu § 12 AsylVfG). Auch wenn diese Regelung eine andere Fragestellung betrifft, so lässt sie zumindest im Regelfall den Schluss zu, dass sich der betroffene Ausländer vom Alter und seinem Entwicklungsprozess her gesehen noch keine feste politische Überzeugung bilden konnte. Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall gegen eine solche Sichtweise sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.