BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - asyl.net: M12043
https://www.asyl.net/rsdb/M12043
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Revisionsverfahren, grundsätzliche Bedeutung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Verfahrensmangel, Zeugen, Zeugenaussage, Akten, Beiziehung, Vernehmungsprotokoll, Urkundenbeweis, Beweiswürdigung, Sachaufklärungspflicht, rechtliches Gehör, Überraschungsentscheidung
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; AufenthG § 60 Abs. 7; VwGO § 86 Abs. 1
Auszüge:

2. Die von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen führen nicht zur Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

a) Die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe die Aussage des Zeugen D., eines Mitarbeiters der Beklagten, vom 27. März 2006 vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in "prozessordnungswidriger" Weise zum Gegenstand des Verfahrens und zur Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen gemacht.

Weder aus § 96 Abs. 1 VwGO noch aus einer anderen Verfahrensvorschrift lässt sich ableiten, dass es den Verwaltungsgerichten nur bei Zustimmung der Verfahrensbeteiligten erlaubt ist, den Inhalt beigezogener und zum Gegenstand der Verhandlung gemachter Akten bzw. Teilen davon im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten. Die Feststellung von Tatsachen darf allerdings insoweit nicht allein auf beigezogene Vernehmungsprotokolle gestützt werden, wenn eine Zeugenvernehmung von einem Beteiligten ausdrücklich beantragt wird oder sich aus anderen Gründen dem Gericht aufdrängen muss (vgl. Beschlüsse vom 13. September 1988 - BVerwG 1 B 22.88 - Buchholz 402.24 § 24 AuslG Nr. 12 und vom 22. November 1991 - BVerwG 1 B 142.91 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 37).

Danach greifen die Einwände des Klägers gegen die Verwertung der Angaben des Zeugen D. vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, die auch schon vor der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts im Schriftsatz vom 11. August 2006 vorgetragen worden waren, nicht durch. Ein Beweisantrag auf Einvernahme als Zeuge durch das Berufungsgericht wurde ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 16. August 2006 nicht gestellt. Die Klägerseite legt auch nicht schlüssig dar, warum sich dem Berufungsgericht die Einvernahme von Herrn D. von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (§ 86 Abs. 1 VwGO).

Weitere einschränkende Vorgaben zur Verwertung einer Aussage im Wege des Urkundenbeweises sind dem Prozessrecht nicht zu entnehmen. Insbesondere hängt die Verwertbarkeit nicht davon ab, ob die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht fehlerfrei erfolgt ist. Ob Ausnahmen bei zu Beweisverwertungsverboten führenden Verstößen gegen Prozessrecht bestehen, braucht mangels darauf zielender Rügen der Klägerseite hier nicht abschließend entschieden zu werden.

b) Die Rüge, das Berufungsgericht habe die Aussage des Zeugen D. vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wie eine sachverständige Stellungnahme behandelt, begründet keinen Verfahrensmangel. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind nach ständiger Rechtsprechung revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen (vgl. nur Beschluss vom 25. Juni 2004 - BVerwG 1 B 249.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 284 S. 115 m.w.N.). Ein Verfahrensverstoß kann ausnahmsweise allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. Beschluss vom 25. Juni 2004 a.a.O.). Dass die angefochtene Entscheidung derartige Mängel aufweist, legt die Beschwerde nicht ansatzweise dar. Ihr Vorwurf, das Berufungsgericht habe der im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Aussage zu hohes Gewicht beigemessen, übersieht, dass es keine generelle Rangordnung der Beweise oder Beweismittel gibt (vgl. Dawin, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 108 Rn. 19 m.w.N.).