VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 31.08.2007 - 11 B 02.31724 - asyl.net: M12042
https://www.asyl.net/rsdb/M12042
Leitsatz:

Zwar ist gem. Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie bei der Prüfung des internen Schutzes bzw. der inländischen Fluchtalternative auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag abzustellen, aber dennoch führt eine im Zeitpunkt der Flucht eröffnete inländische Fluchtalternative dazu, dass der Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht herabgestuft wird; Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie entspricht im Kern der bisherigen Rechtsprechung zur Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs; bestand im Zeitpunkt der Flucht eine inländische Fluchtalternative, so tritt auch nach der Qualifikationsrichtlinie keine Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs ein; Art. 4 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie entspricht im Kern den Erfordernissen des Amtsermittlungsgrundsatzes gem. § 86 Abs. 1 VwGO;

für tschetschenische Volkszugehörige aus der Russischen Föderation bestand im Jahr 2001 eine inländische Fluchtalternative in Inguschetien; keine Gruppenverfolgung von tschetschenischen Volkszugehörigen in- oder außerhalb von Tschetschenien; grundsätzlich keine Gefährdung von tschetschenischen Volkszugehörigen, die aus Westeuropa zurückkehren; Flüchtlingsanerkennung für erkrankte Frau, da ihr durch die Verweigerung der Registrierung außerhalb Tschetscheniens der Zugang zur erforderlichen medizinischen Behandlung, die innerhalb Tschetscheniens nicht zur Verfügung steht, verweigert würde.

 

Schlagwörter: Russland, Tschetschenen, Tschetschenien, Anerkennungsrichtlinie, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, 1. Tschetschenienkrieg, 2. Tschetschenienkrieg, Moskau, Kontrollen, Übergriffe, Festnahme, Schulbesuch, Registrierung, Verfolgungshandlung, Menschenrechtsverletzungen, interne Fluchtalternative, interner Schutz, Beurteilungszeitpunkt, Inguschetien (A), Wohnraum, Versorgungslage, Existenzminimum, Gruppenverfolgung, Eigentumsdelikte, Situation bei Rückkehr, Amtswalterexzesse, Vergewaltigung, Rebellen, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, Entführung, Verschwindenlassen, Verfolgungsdichte, Strafverfolgung, Terrorismusbekämpfung, Erpressung, Oppositionelle, Separatisten, Rassisten, Gesamtschau, Rückübernahmeabkommen, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Sozialhilfe, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Folter, menschenrechtswidrige Behandlung, ernsthafter Schaden, Verminung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 8; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15; EMRK Art. 3
Auszüge:

Zwar ist gem. Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie bei der Prüfung des internen Schutzes bzw. der inländischen Fluchtalternative auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag abzustellen, aber dennoch führt eine im Zeitpunkt der Flucht eröffnete inländische Fluchtalternative dazu, dass der Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht herabgestuft wird; Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie entspricht im Kern der bisherigen Rechtsprechung zur Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs; bestand im Zeitpunkt der Flucht eine inländische Fluchtalternative, so tritt auch nach der Qualifikationsrichtlinie keine Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs ein; Art. 4 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie entspricht im Kern den Erfordernissen des Amtsermittlungsgrundsatzes gem. § 86 Abs. 1 VwGO;

für tschetschenische Volkszugehörige aus der Russischen Föderation bestand im Jahr 2001 eine inländische Fluchtalternative in Inguschetien; keine Gruppenverfolgung von tschetschenischen Volkszugehörigen in- oder außerhalb von Tschetschenien; grundsätzlich keine Gefährdung von tschetschenischen Volkszugehörigen, die aus Westeuropa zurückkehren; Flüchtlingsanerkennung für erkrankte Frau, da ihr durch die Verweigerung der Registrierung außerhalb Tschetscheniens der Zugang zur erforderlichen medizinischen Behandlung, die innerhalb Tschetscheniens nicht zur Verfügung steht, verweigert würde.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Berufung, über die wegen des fortbestehenden diesbezüglichen Einverständnisses der Beteiligten (vgl. zuletzt das gerichtliche Schreiben vom 16.5.2007) gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist in Bezug auf die Kläger zu 1) und 3) begründet. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Bundesamtes vom 19. Oktober 2001, soweit er gegenüber der Klägerin zu 2) ergangen ist, in der Nummer 2 sowie hinsichtlich des Satzes 2 der Nummer 4 zu Recht aufgehoben und die Beklagte zutreffend verpflichtet, festzustellen, dass bei der Klägerin zu 2) die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Da der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Berufung zu Ungunsten der Kläger eingelegt hat, würde die Änderung der Rechtslage, zu der es zwischen dem Urteil vom 2. September 2002 und dem Abschluss des Berufungsverfahrens wiederholt gekommen ist, nur dann eine Korrektur der angefochtenen Entscheidung erfordern, wenn der Klägerin zu 2) durch die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG eine günstigere Rechtsstellung zugesprochen worden wäre, als sie auf der Grundlage des § 60 Abs. 1 AufenthG heutiger Fassung beansprucht werden kann. Das ist indes nicht der Fall.

1. Die Beantwortung der Frage, welche Wahrscheinlichkeit die in § 60 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefahr aufweisen muss, hängt nach bisherigem deutschem Asylrecht davon ab, ob der Schutz suchende Ausländer seinen Herkunftsstaat bereits auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist.

Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass an diesen Grundsätzen auch angesichts der nunmehr in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG enthaltenen Verweisung auf Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304, S. 12) - nachfolgend "Qualifikationsrichtlinie" (QLR) genannt - jedenfalls im Kern festzuhalten ist. Denn auch nach Art. 4 Abs. 4 QLR stellt der Umstand, dass der Schutz suchende Ausländer bereits verfolgt wurde oder er einen sonstigen ernsthaften Schaden (vgl. Art. 15 QLR) erlitten hat bzw. er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, einen ernsthaften Hinweis auf die Begründetheit seines Schutzgesuchs dar, es sei denn, es sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die in Deutschland richterrechtlich entwickelten Grundsätze über den anzuwendenden Prognosemaßstab entsprechen grundsätzlich dem sich aus Art. 4 Abs. 4 QLR ergebenden Prognoseansatz (Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2005, RdNr. 286 zu § 1). Insbesondere ist auch nach deutschem Recht der Maßstab der "hinreichenden Verfolgungssicherheit" bereits dann anzuwenden, wenn ein Ausländer zwar noch keine Verfolgung erlitten, er vor der Ausreise jedoch einer unmittelbar drohenden Verfolgungsgefahr ausgesetzt war (BVerfG vom 10.7.1989 BVerfGE 80, 315/345), wie das Art. 4 Abs. 4 QLR genügen lässt (vgl. zur auch insoweit bestehenden Konkordanz der Maßstäbe Marx, a.a.O., RdNr. 287).

1.2 Verfolgungshandlungen der russischen Staatsgewalt im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QLR wurden bisher gegen keinen der Kläger ergriffen. Desgleichen haben sie in der Vergangenheit seitens staatlicher Autoritäten ihres Heimatlandes keinen "ernsthaften Schaden" im Sinne von Art. 15 QLR erlitten.

Der zweite Tschetschenienkrieg begann Anfang Oktober 1999 mit dem Einmarsch russischer Bodentruppen in Tschetschenien (vgl. z.B. Hassel, Der zweite Tschetschenienkrieg, in: ders., Der Krieg im Schatten - Russland und Tschetschenien, Frankfurt a. Main 2003, S. 63). Zu diesem Zeitpunkt aber lebten die Kläger eigenem Bekunden zufolge bereits in Moskau.

Auch während ihres Aufenthalts in Moskau wurden die Kläger nicht in einer nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 f. QLR rechtserheblichen Weise verfolgt. Die häufigen Polizeikontrollen als solche, denen sich die Kläger zu 1) und 2) dort eigener Darstellung zufolge ausgesetzt gesehen haben, scheiden als asylrechtlich relevante Maßnahmen schon deshalb aus, weil das Verlangen, sich über seine Identität auszuweisen sowie ggf. Durchsuchungen der eigenen Person sowie mitgeführter Gegenstände zu dulden, weder mit einem Eingriff in die nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich geschützten Rechtsgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" und "Freiheit" einhergeht, noch hierin eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte oder eine gleich gravierende Maßnahme im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a bzw. b QLR i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG gesehen werden kann. Soweit die Kläger zu 1) und 2) geltend gemacht haben, sie seien mehrmals für eine Stunde - so der Kläger zu 1) - bzw. für zwei bis drei Stunden - so die Klägerin zu 2) - auf Polizeirevieren festgehalten worden, überschreiten diese kurzfristigen Maßnahmen des Freiheitsentzugs die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QLR vorausgesetzte, durch die Kriterien "schwerwiegend" bzw. "gravierend" umschriebene Erheblichkeitsschwelle auch im Hinblick darauf nicht, dass sie sich behauptetermaßen wiederholt zugetragen haben. Die häufigen Kontrollen, denen sich kaukasisch aussehende Personen gerade während der Zeit ausgesetzt sahen, in der sich die Kläger eigener Darstellung zufolge in Moskau aufgehalten haben, stellen die Reaktion der russischen Staatsgewalt auf die Bombenattentate auf Wohnhäuser dar, zu denen es ab September 1999 gekommen ist und die mehr als 300 Opfer forderten (vgl. z.B. Abschnitt III.1 im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 15.2.2000). Maßnahmen, die an ein asylerhebliches Merkmal (hier: die Volkszugehörigkeit, die regionale Herkunft oder das körperliche Erscheinungsbild des Betroffenen) anknüpfen, können gleichwohl aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen, wenn sie der staatlichen Selbstverteidigung oder dem Schutz von Rechtsgütern dienen (BVerwG vom 25.7.2000, a.a.O., S. 338 f.). Das gilt insbesondere für Maßnahmen, die der Staat im Bereich der Terrorismusabwehr ergreift, wenn und soweit er sich dabei auf die Abwehr des Terrorismus beschränkt und nicht unter dem Deckmantel behaupteter Terrorismusbekämpfung politische Verfolgung betreibt (BVerwG vom 25.7.2000, a.a.O., S. 339). Maßnahmen der Terrorabwehr müssen sich, um asylrechtlich unerheblich zu sein, nicht notwendig gegen konkret Tatverdächtige richten, sondern können auch Unbeteiligte treffen, soweit hierdurch terroristischen Aktivitäten vorgebeugt oder diese aufgeklärt werden sollen (BVerwG vom 25.7.2000, ebenda). Das kann die Möglichkeit einschließen, Unbeteiligte kurz in Haft zu nehmen, um z.B. ihre Identität zu prüfen (BVerwG vom 25.7.2000, ebenda).

Die behauptete behördliche Weigerung, der Klägerin zu 3) den Schulbesuch in Moskau zu ermöglichen, stellt von vornherein keine Verletzung der in § 60 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich genannten Schutzgüter dar. Beeinträchtigungen anderer Rechtsgüter als Leib, Leben oder persönliche Freiheit begründen einen Anspruch auf Schutz vor politischer Verfolgung jedoch nur dann, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG vom 2.7.1980, a.a.O., S. 357). Die Verweigerung der Aufnahme in eine allgemeinbildende Schule beeinträchtigt die Menschenwürde des betroffenen Kindes sowie dessen Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QLR jedenfalls dann nicht in solcher Schwere, dass ein Ausschluss von Bildungseinrichtungen als asylrelevante Verfolgung angesehen werden müsste, wenn diese Beeinträchtigung nur vorübergehender Natur ist. So aber verhält es sich bei der im fraglichen Zeitraum in der Tat zu verzeichnenden Weigerung der Moskauer Stadtverwaltung, Kinder nicht registrierter Eltern in Lehreinrichtungen und Schulinternate aufzunehmen (vgl. die auf Seite 29 der aus dem Jahr 2002 stammenden Ausarbeitung "Nach der Flucht aus Tschetschenien" des Menschenrechtszentrums "Memorial" erwähnte Entscheidung Nr. 241-28 der Moskauer Stadtregierung vom März 1999 und den ebenda referierten Befehl Nr. 567 des Moskauer Bildungskomitees vom 21.9.1999). Denn diese Anordnungen wurden durch Beschlüsse des Moskauer Stadtgerichts vom 25. Dezember 2000 und des Obersten Gerichts der Russischen Föderation vom 15. Mai 2001 teilweise für nichtig erklärt, woraufhin die Moskauer Stadtregierung am 12. Oktober 2001 anordnete, die Aufnahme in Bildungseinrichtungen erfolge ohne Rücksicht auf das Vorliegen oder Fehlen von Registrierungsdokumenten (vgl. die Anlage 10 zur vorerwähnten Ausarbeitung von Memorial).

1.3 Ob die Kläger in der Zeit unmittelbar vor ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland so konkret damit rechnen mussten, sie könnten sich demnächst asylerheblichen Maßnahmen der russischen Staatsgewalt ausgesetzt sehen, dass von einer ihnen unmittelbar drohenden Verfolgungsgefahr auszugehen wäre, kann dahinstehen. Ebenfalls auf sich beruhen kann, ob jeder unmittelbar aus Tschetschenien kommende Tschetschene, der seit kurzem andernorts in Russland lebte, um die Jahreswende 1999/2000 mit so hoher Wahrscheinlichkeit von Maßnahmen bedroht war, denen nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 f. QLR Rechtserheblichkeit zukommt, dass von einer damals stattfindenden Gruppenverfolgung aller Mitglieder dieses Personenkreises auszugehen war. Denn selbst wenn das zu bejahen sein sollte, wäre für die Kläger seinerzeit in Inguschetien eine inländische Fluchtalternative (bzw. ein interner Schutz im Sinne von Art. 8 QLR i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG) eröffnet gewesen.

Bei der Prüfung der Frage, ob ein derartiger interner Schutz besteht, sind nach Art. 8 Abs. 2 QLR sowohl die allgemeinen Gegebenheiten in dem hierfür in Betracht kommenden Landesteil als auch die persönlichen Umstände des Betroffenen zu berücksichtigen. Soweit Art. 8 Abs. 2 QLR verlangt, bei der Prüfung dieser Kriterien auf die "im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag" bestehenden Verhältnisse abzustellen, kommt darin - ebenso wie in dem in Art. 8 Abs. 1 QLR verwendeten Präsens ("besteht", "aufhält") - allerdings zum Ausdruck, dass das Rechtsinstitut des internen Schutzes nicht mehr in erster Linie darauf abstellt, ob der Ausländer sich bei seiner Ausreise deswegen in keiner ausweglosen Lage befand, weil interne Schutzzonen eine Alternative zum Verlassen des Heimatlandes eröffnet hätten. Vielmehr ist bei Anwendung des Art. 8 QLR zu fragen, ob im Zeitpunkt der Entscheidung derartige Gebiete ausgemacht werden können (Marx, a.a.O., RdNr. 171 zu § 1).

Trotz dieses gegenwartsbezogenen Ansatzes, der der Vorschrift des Art. 8 QLR zugrunde liegt, steht diese Bestimmung der Verneinung einer Vorverfolgung wegen einer im Ausreisezeitpunkt bestehenden inländischen Fluchtalternative nicht entgegen. Dass der deutsche Gesetzgeber am bisher im Bundesgebiet entwickelten Konzept der inländischen Fluchtalternative festhalten wollte, ergibt sich deutlich aus der durch Art. 1Nr. 48 Buchst. a Doppelbuchst. bb des Gesetzes vom 19. August 2007 (a.a.O.) vorgenommenen Neufassung des § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, in der dieses Rechtsinstitut weiterhin ausdrücklich erwähnt wird und mit der - anders als in der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung - zum Ausdruck gebracht wurde, dass eine inländische Fluchtalternative nicht nur in den Fällen des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG, sondern bei einer Verfolgung durch alle in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannten Akteure zu prüfen ist.

Die Verneinung einer Vorverfolgung wegen einer im Zeitpunkt der Ausreise bestehenden inländischen Fluchtalternative steht trotz der auf die gegenwärtigen Verhältnisse abstellenden Fassung des Art. 8 QLR auch mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang. Denn da Art. 4 Abs. 3 Buchst. a QLR die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevanten, mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, darf auch im Lichte der Qualifikationsrichtlinie bei der Prüfung eines Schutzgesuchs nicht unberücksichtigt bleiben, ob der Betroffene u.U. deswegen nicht im Sinne von Art. 4 Abs. 4 QLR unmittelbar von Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden bedroht war, weil er sich einer solchen Gefahrenlage in zumutbarer Weise durch ein Ausweichen in ein sicheres Gebiet seines Herkunftslandes entziehen konnte. Dass das Fehlen von Verfolgung und von nach Art. 15 QLR relevanten Gefahren in einem Teil des Heimatstaates auch gemeinschaftsrechtlich von Bedeutung ist, zeigt Art. 7 Abs. 1 Buchst. b QLR, wonach es rechtserheblich sein kann, ob ein Staat partiell von Parteien oder Organisationen beherrscht wird, die dem Betroffenen Schutz gewähren. Da Art. 4 Abs. 4 QLR die Mitgliedstaaten in gewissem Umfang zu einer auch retrospektiven Betrachtung verpflichtet, kann nicht angenommen werden, dass die sich aus Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b QLR ergebenden Kriterien im Rahmen des "vergangenheitsbezogenen" Teils der anzustellenden Prüfung nach dem Willen des gemeinschaftsrechtlichen Richtliniengebers außer Betracht bleiben sollen.

Nach der im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. August 2001 (Seite 11) wiedergegebenen Darstellung des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) haben bis zur Mitte des Jahres 2001 ca. 250.000 Tschetschenen (zeitweise) Zuflucht in Inguschetien gesucht. Dass die Kläger bei einer Aufenthaltnahme in Inguschetien nicht obdachlos geworden wären, zeigt jedoch der Umstand, dass der UNHCR eigener Darstellung zufolge (vgl. RdNr. 25 seiner "Stellungnahme über Asylsuchende aus der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien" vom 18.6.2002) soweit als möglich bemüht war, für Familien, die nicht mehr in ihrer bisherigen Unterkunft in Tschetschenien bleiben konnten, alternative Unterbringungsmöglichkeiten in Zeltlagern ausfindig zu machen. Dass bis zur Abfassung der Stellungnahme vom 18. Juni 2002 die Obdachfrage zumindest in aller Regel gelöst werden konnte, muss aus der in der gleichen Ausarbeitung (RdNr. 26) enthaltenen Anmerkung erschlossen werden, "schon in naher Zukunft" (also frühestens ab der zweiten Hälfte des Jahres 2002) werde keine realistische Alternative zur Rückkehr nach Tschetschenien, zu einem illegalen Aufenthalt in einer anderen Region der Föderation oder der Asylsuche andernorts mehr bestehen.

Auch losgelöst von der Unterbringungsfrage wäre für die Kläger in Inguschetien eine menschenwürdige Existenz gewährleistet gewesen. Alle UN- und Nichtregierungsorganisationen waren in Nasran vertreten ("Mütter für den Frieden" - Bericht zur Lebenssituation tschetschenischer IDP’s, Seite 1); vor allem in Inguschetien erreichte die internationale Hilfe die Flüchtlinge (Lagebericht vom 28.8.2001, ebenda). Es ist deshalb glaubhaft, wenn das Auswärtige Amt am 23. Juni 2000 gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge festhielt, tschetschenische Flüchtlinge würden in den Lagern in Inguschetien eine Grundversorgung erhalten; daneben hätten sie - wenn auch auf sehr niedrigem Niveau - Anspruch auf verschiedene Sozialhilfeleistungen (z.B. in Gestalt von Suppenküchen oder Obdachlosenasylen).

Dass es sich bei Inguschetien um eine Region handelte, in der tschetschenische Binnenflüchtlinge ehedem "in Sicherheit leben konnten", hält "Memorial" auf Seite 24 der Ausarbeitung "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 - Juni 2005" (nachfolgend kurz als "Memorial-Jahresbericht 2005" zitiert) ausdrücklich fest.

Zu einem Wandel der Verhältnisse in Inguschetien kam es erst, nachdem im Jahr 2002 - also geraume Zeit nach dem hier interessierenden Zeitraum - Präsident Auschew durch seinen "moskauorientierten" Nachfolger Sjasikow abgelöst wurde (Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 24.5.2004: "Tschetschenien und die tschetschenische Bevölkerung in der Russischen Föderation", S. 16).

1.4 Die Kläger gehören ferner keiner Gruppe an, deren Mitglieder in der Russischen Föderation heute allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu diesem Kollektiv im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QLR verfolgt werden. Denn sowohl in Tschetschenien selbst als auch in anderen Teilen Russlands drohen weder den dort bereits auf Dauer ansässigen Angehörigen dieser Ethnie noch Tschetschenen, die aus dem westlichen Ausland zurückgekehrt sind, Maßnahmen, denen nach § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QLR ggf. Rechtserheblichkeit zukommt, nicht in derartiger Häufigkeit, dass die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung als erfüllt angesehen werden können.

1.4.1 An Menschenrechtsverletzungen, zu denen es in Tschetschenien komme, nennt das Auswärtige Amt im Lagebericht vom 17. März 2007 (Seite 18) insbesondere "Mord, Entführungen, Misshandlungen, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen, Sachbeschädigungen und Diebstähle". Amnesty International erwähnt in seinem zu Russland ergangenen Jahresbericht 2006 als Verletzungshandlungen das Verschwindenlassen von Personen, Entführungen, Folterungen, Tötungen bzw. extralegale Hinrichtungen, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt.

1.4.1.1 Anders als das Auswärtige Amt rechnet Amnesty International Eigentumsdelikte wie Sachbeschädigungen oder Diebstähle zu Recht nicht zu den asylrechtlich relevanten Verletzungshandlungen. Da sich 17 solche Straftaten nicht gegen die in § 60 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich genannten Rechtsgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" und "Freiheit" richten, käme ihnen nur dann Erheblichkeit zu, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen würden, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG vom 2.7.1980, a.a.O., S. 357). Ein Angriff auf die Menschenwürde könnte in Sachbeschädigungen und Diebstählen allenfalls dann gesehen werden, wenn sie dazu dienen sollten, den Opfern die Existenzgrundlage zu entziehen. Denn nur unter dieser Voraussetzung sind derartige Eigentumsdelikte entweder bereits bei einmaliger Begehung oder aber in ihrer Summe (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QLR) bzw. in Kumulation mit anderen Maßnahmen (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b QLR) so gravierend, dass ggf. eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QLR bzw. ein ähnlich gewichtiger Eingriff im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b QLR bejaht werden kann.

In den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen wird nur über wenige, zudem nicht aus allerjüngster Zeit stammende Fälle berichtet, in denen Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, Art. 6 QLR Eigentumsdelikte zu Lasten von Tschetschenen begangen haben.

1.4.1.2 Konkrete Fälle von Vergewaltigungen , die in jüngerer Zeit in Tschetschenien durch Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, Art. 6 QLR verübt wurden, werden in den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht mehr geschildert.

Soweit der zu Tschetschenien ergangene Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. August 2005 auf Seite 9 oben ausführte, die tschetschenischen Kämpfer würden Frauen verschleppen und vergewaltigen, finden sich entsprechende Angaben weder in jüngeren Verlautbarungen des Auswärtigen Amtes noch in aktuellen Dokumentationen, die von Menschenrechtsorganisationen erstellt wurden. Zudem würden solche Handlungen nicht von Personen verübt, von denen eine asylrechtlich beachtliche Verfolgung oder ein "ernsthafter Schaden" im Sinne von Art. 15 QLR ausgehen kann. Denn die ca. 450 Aufständischen, die nach russischer Darstellung noch in Tschetschenien agieren (vgl. Abschnitt 1.2.5 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Mai 2007), beherrschen - anders als das in § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. b AufenthG und Art. 6 Buchst. b QLR gefordert wird - keinen wesentlichen Teil des Staatsgebietes mehr; sie halten sich vielmehr in den Wäldern verborgen und weichen zunehmend in die Nachbarrepubliken aus (vgl. Seite 17 des Lageberichts vom 17.3.2007). Da das militärische Engagement Russlands in Tschetschenien sowie die Existenz und die Tätigkeit der tschetschenischen Sicherheitskräfte gerade dazu dienen, die Separatisten entweder auszuschalten oder sie zum Aufgeben zu bewegen, kann dem russischen Staat zudem der Wille, die Bevölkerung vor Übergriffen durch die Aufständischen zu schützen (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG und Art. 6 Buchst. c QLR) nicht abgesprochen werden.

1.4.1.3 Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller Menschenrechtsorganisationen, aber auch der föderalen und regionalen staatlichen Organe stehen heute die in Tschetschenien zu verzeichnenden Vorkommnisse, die unter dem Begriff " Entführungen " zusammengefasst werden. Da einem nicht geringen Teil der Tötungsdelikte, zu denen es in Tschetschenien kommt, sowie den meisten Fällen der Misshandlung von Menschen ein Akt des Freiheitsentzugs voranging, erlauben die zur Verfügung stehenden Informationen über die Häufigkeit von "Entführungen", Verschleppungen und eines Verschwindenlassens von Personen in gewissem Umfang Rückschlüsse auch darauf, inwieweit Bewohner Tschetscheniens heute mit Angriffen auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit zu rechnen haben.

Bereits die bloßen, noch nicht unter dem Blickwinkel der Asylrelevanz gewichteten Zahlen über als "Entführungen" eingestufte Vorgänge rechtfertigen nicht die Aussage, derartige Handlungen seien in so großer Häufigkeit zu verzeichnen, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt, sondern dass sie auf alle sich im (präsumtiven) Verfolgungsgebiet aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sie sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG vom 15.5.1990, a.a.O., S. 142 f.; für den Bereich potentiell unmittelbarer staatlicher Verfolgung bestätigt durch BVerwG vom 5.7.1994 BVerwGE 96, 200/203 f.). Im Unterschied zur mittelbaren Gruppenverfolgung kann eine (unmittelbare) staatliche Gruppenverfolgung allerdings schon dann anzunehmen sein, wenn zwar Referenz- oder Vergleichsfälle durchgeführter Verfolgungsmaßnahmen nicht in dem erforderlichen Umfang oder überhaupt noch nicht festgestellt werden können, aber hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht (BVerwG vom 5.7.1994, a.a.O., S. 204). Das kann etwa der Fall sein, wenn sich feststellen lässt, dass der Heimatstaat ethnische oder religiöse Minderheiten physisch vernichten oder ausrotten oder sie aus seinem Staatsgebiet vertreiben will (BVerwG vom 5.7.1994, ebenda).

Es fehlt an Anhaltspunkten jedweder Art dafür, dass die russische Zentralregierung oder die Machthaber in Grosny heute gegenüber den Bewohnern Tschetscheniens Absichten der letztgenannten Art hegen. Ziel der russischen Intervention in Tschetschenien war es gerade, diese Teilrepublik, die nach dem durch das Abkommen von Chassavjurt beendeten ersten Tschetschenienkrieg eine De-facto-Unabhängigkeit erlangt hatte, im russischen Staatsverband zu halten, um so der Etablierung eines islamistisch dominierten Gemeinwesens nördlich des Kaukasus mit Ausstrahlungswirkung auch auf benachbarte Subjekte der Russischen Föderation und mit der Gefahr einer Destabilisierung der gesamten Region entgegenzuwirken.

Nach den Angaben, die sich im Schreiben des Menschenrechtszentrums "Memorial" und des Komitees "Bürgerbeteiligung" an Rechtsanwalt ... vom 9. Februar 2007 finden, haben die Mitarbeiter von "Memorial" im vergangenen Jahr 186 von ihnen als "Entführungen" eingestufte Vorgänge gezählt. Nach anderer Darstellung (vgl. Abschnitt 1.2.3 des im März 2007 erschienenen Hefts "Erkenntnisse des Bundesamtes") registrierten die Menschenrechtsorganisationen "Demos" und "Memorial" im Jahr 2006 172 Entführungsfälle. Amnesty International gibt die Zahl einschlägiger Vorkommnisse in 2006 unter Berufung auf "Memorial" mit 187 an (vgl. Seite 3 der am 27.4.2007 gegenüber dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof abgegebenen Stellungnahme).

Setzt man diese Zahlen in Relation zur Gesamtheit der Bewohner Tschetscheniens, so kann nicht davon gesprochen werden, Entführungen, Verschleppungen und ähnliche Maßnahmen der Freiheitsberaubung seien in diesem Landesteil derzeit in jener Dichte zu verzeichnen, wie sie nach dem Vorgesagten erforderlich wäre, um eine kollektive Verfolgung aller Bewohner dieser Region bejahen zu können.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bewohner Tschetscheniens deswegen in asylrechtlich relevanter Weise verfolgt wird, weil er einer Entführung zum Opfer fällt, ist tatsächlich jedoch noch wesentlich geringer, als sie sich bei einer nur auf die von "Memorial" publizierten Zahlen abstellenden Betrachtungsweise ergibt. Denn lediglich ein begrenzter Teil der Entführungen, die in Tschetschenien verübt werden, erfüllt die Kriterien, von denen nach § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QLR das Vorliegen einer Verfolgungshandlung abhängt.

a) Auszuklammern sind zunächst all jene Fälle, in denen Personen zum Zwecke der Strafverfolgung oder aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr in staatlichen Gewahrsam genommen werden, sofern hierbei eine nach dem Vorgesagten zulässige Maßnahme der Terrorismusabwehr oder eine sonstige Handlung inmitten steht, die in legitimer Weise dem Rechtsgüterschutz dient. So hat "Memorial" eingeräumt, dass 19 der 186 Personen, die im vergangenen Jahr entführt worden seien, in Untersuchungshaft genommen wurden (vgl. Seite 2 des Schreibens an Rechtsanwalt ... vom 9.2.2007). Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass sie von dazu legitimierter staatlicher Seite festgenommen und einem gesetzlich geordneten Strafverfahren zugeführt wurden.

b) Ebenfalls als asylrechtlich relevante Übergriffe außer Betracht zu bleiben haben jene Entführungen, die ausschließlich dazu dienen, vom Opfer der Tat oder seinen Verwandten Lösegeld zu erpressen (vgl. zu dieser Zielrichtung von Entführungshandlungen Heinrich/Lobova, Innerstaatliche Fluchtalternative in Tschetschenien, Seite 2). Das gilt auch dann, wenn solche Handlungen von staatlichen Amtsträgern (z.B. den Mitgliedern der bewaffneten Gruppierungen, die dem Kommando des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow unterstehen) begangen werden. Denn die Freiheitsberaubung erfolgt in diesen Fällen nicht deshalb, weil der Betroffene Träger eines asylerheblichen Merkmals im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 und 3 AufenthG, Art. 10 QLR ist.

c) Bei der Beantwortung der Frage, ob jeder Bewohner Tschetscheniens heute allein wegen dieser Eigenschaft befürchten muss, Opfer von Handlungen zu werden, denen nach § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QLR Rechtserheblichkeit zukommt, muss ferner berücksichtigt werden, dass sich derartige Maßnahmen zu ganz überwiegenden Teilen gegen bestimmte Personengruppen richten. Betroffen sind - auch wenn "Zufallsopfer" nicht schlechthin ausgeschlossen werden können - in erster Linie Angehörige von Aufständischen, ferner Personen, die selbst der Kooperation mit den Separatisten verdächtig sind, oder die deshalb den Unwillen der staatlichen Gewalt auf sich gezogen haben, weil sie in Opposition zu den Machthabern in Tschetschenien stehen, für Menschenrechtsorganisationen tätig sind oder sich beschwerdeführend an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder andere Stellen gewandt haben (vgl. Heinrich/Lobova, Innerstaatliche Fluchtalternative in Tschetschenien vom 7.3.2006, Seite 11 und Seite 17 f.).

1.4.1.4 Desgleichen kann heute keine Rede mehr davon sein, jeder Bewohner Tschetscheniens sei - wie das für die Bejahung einer Gruppenverfolgung erforderlich wäre (vgl. BVerwG vom 15.5.1990, a.a.O., S. 142) - nicht nur möglicherweise, latent oder potenziell, sondern wegen seiner Gruppenzugehörigkeit deswegen aktuell gefährdet, weil er damit rechnen müsse, unabhängig von Entführungshandlungen getötet zu werden.

Die ca. 40 getöteten Zivilpersonen, die 2006 danach in Tschetschenien unabhängig von Entführungsvorgängen zu beklagen waren (nämlich die 31 im Schreiben vom 9.2.2007 erwähnten Zivilisten zuzüglich eines großzügig geschätzten Anteils von Zivilpersonen unter den nicht identifizierten Toten), sind keinesfalls allesamt Verfolgungshandlungen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. Art. 9 f. QLR zum Opfer gefallen. Gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die über die Situation in Tschetschenien berichtenden Menschenrechtsorganisationen (abgesehen von dem bei einer Fahndungsaktion erschossenen Tschetschenen Magomed ...) keinen einzigen dieser "sonstigen" Tötungsfälle - anders als das bei Entführungshandlungen geschieht - im Detail schildern, muss ernsthaft damit gerechnet werden, dass ein erheblicher Teil dieser Tötungsdelikte Ausdruck der in Tschetschenien extrem hohen Kriminalitätsrate ist (vgl. zur "abnormen", insbesondere mit Drogenhandel und Drogenabhängigkeit assoziierten Kriminalitätsbelastung Tschetscheniens Heinrich/Lobova, Die Situation von tschetschenischen Vertriebenen [IDPs] in Russland, Seite 7 oben). Selbst dann, wenn die Zahl von deutlich weniger als 40 auf asylerheblichen Beweggründen beruhenden Tötungsdelikten aus den gleichen Gründen, wie das bei den Entführungsfällen geboten sein mag, mit einem zwischen drei und vier liegenden Faktor zu multiplizieren sein sollte, könnte keine Rede davon sein, jeder der ca. eine Million Bewohner Tschetscheniens müsse auch unabhängig von der Gefahr, "entführt" zu werden, mit der für die Bejahung einer Gruppenverfolgung erforderlichen Wahrscheinlichkeit mit seiner Tötung aus verfolgungsrelevanten Gründen rechnen.

1.4.2 Auch in anderen Teilen der Russischen Föderation als in Tschetschenien werden Tschetschenen gegenwärtig nicht gruppenverfolgt. Denn die Zurücksetzungen und Übergriffe, denen sich Angehörige dieses Volkes außerhalb Tschetscheniens ausgesetzt sehen können - in Betracht kommen insoweit nach übereinstimmender Darstellung des Auswärtigen Amtes und aller Menschenrechtsorganisationen, die sich zu den Lebensbedingungen von Tschetschenen in Russland geäußert haben, namentlich die Verweigerung der Registrierung, polizeiliche Übergriffe, ungerechtfertigte strafrechtliche Anschuldigungen sowie fremdenfeindlich motivierte Aggressionshandlungen gesellschaftlicher Kräfte - stellen zum Teil bereits ihrer Art nach keine Verfolgungshandlungen im Rechtssinne dar, erreichen aber jedenfalls von ihrer Häufigkeit her nicht die für die Bejahung einer Gruppenverfolgung erforderliche Dichte.

1.4.2.1 Tschetschenen wird in der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepublik, in der sie die Titularnation darstellen, entweder wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder wegen ihrer regionalen Herkunft zwar mit signifikanter Häufigkeit die Registrierung, d.h. die amtliche Bestätigung darüber verweigert, dass sie sich am Ort ihres dauernden oder vorübergehenden Aufenthalts angemeldet haben (vgl. ausführlich dazu nachfolgend unter 2.3.2). Diese verbreitete rechtswidrige Praxis ist im Regelfall (d.h. vorbehaltlich besonderer, sich aus der Person eines Betroffenen ergebender Umstände) asylrechtlich jedoch irrelevant, da das Vorenthalten der Einstempelung in den Inlandspass, durch den die erfolgte Anmeldung einer Person beurkundet wird, als solches nicht mit einer Verletzung der in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" und "Freiheit" einhergeht, und ein derartiges behördliches Verhalten - wiederum vorbehaltlich atypischer Sonderfälle - weder die Menschenwürde verletzt noch hierdurch im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QLR grundlegende Menschenrechte schwerwiegend beeinträchtigt werden. Zwar legalisiert erst eine Registrierung den Aufenthalt des Betroffenen; zudem ist sie Voraussetzung für den Zugang zur Sozialhilfe, zu staatlich geförderten Wohnungen, zum (prinzipiell) kostenlosen Gesundheitssystem, zum offiziellen Arbeitsmarkt sowie für den Bezug von Kindergeld und Rente (vgl. Seite 29 des Lageberichts vom 17.3.2007 sowie Seite 6 des Manuskripts des von Frau Gannuschkina am 25.11.2006 gehaltenen Vortrags). Die Ausgrenzung aus der staatlichen Rechtsgemeinschaft, die der Nichtbesitz einer Registrierung in Bezug auf wichtige Lebensbereiche deshalb nach sich ziehen kann, wird jedoch, was die Legalität des Aufenthalts anbetrifft, dadurch spürbar gemildert, dass die Registrierungspflicht nunmehr erst nach 90 Tagen ab dem Beginn des Aufenthalts an einem Ort Platz greift (vgl. Seite 4 im Manuskript des von Frau Gannuschkina am 25.11.2006 gehaltenen Vortrags). Da diese Regelung nach anfänglichen Umsetzungsschwierigkeiten nunmehr auch tatsächlich angewendet wird (Seite 5 im Manuskript des gleichen Vortrags), sind innerhalb der ersten drei Monate auch Tschetschenen vor polizeilichen und administrativen Sanktionen wegen fehlender Registrierung sicher.

Eine Verletzung der Menschenwürde oder grundlegender Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QLR stellt die Verweigerung der Registrierung - vorbehaltlich besonderer Fallgestaltungen - ferner deshalb nicht dar, weil sich Tschetschenen mit sehr guten Erfolgsaussichten gegen derartiges, von Hoher Hand gesetztes Unrecht zur Wehr setzen können.

1.4.2.2 Da - wie bereits aufgezeigt - in polizeilichen Sistierungen, Durchsuchungen sowie kurzzeitigen Eingriffen in die persönliche Fortbewegungsfreiheit, so lange sie sich innerhalb des auch in einem Rechtsstaat üblichen Rahmens halten, keine Verfolgungshandlungen im asylrechtlichen Sinne liegen, scheidet die Tatsache, dass sich Tschetschenen nach übereinstimmender Darstellung der zum Verfahrensgegenstand gemachten Erkenntnismittel häufiger als andere Bewohner der Russischen Föderation mit derartigen Maßnahmen konfrontiert sehen, von vornherein als Anknüpfungspunkt für die Bejahung einer kollektiven Verfolgung der Angehörigen dieser Volksgruppe aus.

1.4.2.3 Von fremdenfeindlichen, mit Angriffen auf Leib, Leben oder Freiheit oder auf grundlegende Menschenrechte einhergehenden Verhaltensweisen von Privatpersonen sind Tschetschenen in der Russischen Föderation keinesfalls in solcher Häufigkeit betroffen, dass davon gesprochen werden könnte, jeder Angehörige dieser Ethnie sei von solchen Ausschreitungen nicht nur möglicherweise, latent oder potenziell, sondern wegen seiner Gruppenzugehörigkeit aktuell gefährdet (vgl. BVerwG vom 15.5.1990, a.a.O., S. 142).

2. Die Kläger zu 1) und 3), auf die - ebenso wie auf die Klägerin zu 2) - nach alledem der allgemeine asylrechtliche Prognosemaßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" Anwendung findet, müssen nach einer Rückkehr in die Russische Föderation oder im Anschluss an eine Abschiebung dorthin nicht befürchten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. Art. 9 f. QLR zu erleiden.

2.1 Solange der Tschetschenienkonflikt anhält, ist zwar davon auszugehen, dass die russischen Behörden abgeschobenen Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit widmen. Das gilt insbesondere für solche Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17.3.2007, Seite 28). Soweit diese "Aufmerksamkeit" dem Ziel dient, Terroristen bzw. terrorverdächtige Personen aufzuspüren, stellen entsprechende Handlungen der staatlichen Organe, sofern sie sich innerhalb der im vorstehenden Abschnitt 1.2 aufgezeigten Grenzen bewegen, von vornherein keine asylerhebliche Verfolgung dar. Vorliegend fehlt es nicht nur an Umständen, die Anlass zu der Befürchtung geben könnten, diese Schranken würden bei den Klägern nicht eingehalten. Darüber hinaus gibt es bereits keine Anhaltspunkte, die russischen oder tschetschenischen Behörden würden auch nur einen der Kläger eines Engagements verdächtigen, das eine erhöhte staatliche Aufmerksamkeit in Bezug auf seine Person nach sich ziehen könnte.

Dass die russischen oder tschetschenischen Sicherheitskräfte ein über die routinemäßige Überprüfung rückkehrender Tschetschenen hinausgehendes Interesse an den Klägerinnen zu 2) und 3) besitzen, wurde von ihnen selbst zu Recht nicht geltend gemacht. Aber auch der Kläger zu 1) muss nicht befürchten, entweder bei der Einreise oder im weiteren Verlauf seines Aufenthalts in der Russischen Föderation Maßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QLR ausgesetzt zu sein. Denn er hat sich nach eigenem Vorbringen zu keiner Zeit zugunsten des tschetschenischen Separatismus betätigt; auch kann ausgeschlossen werden, dass ihn russische Sicherheitsorgane wegen seiner kulturellen Aktivitäten vor und nach der Ausreise eines staatsfeindlichen Engagements verdächtigen.

2.2 Auch unabhängig von individuell in ihrer Person bestehenden Gegebenheiten müssen die Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, in der Russischen Föderation Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG zu erleiden; für die Klägerin zu 2) gilt das allerdings nur dann, wenn sie ihren Aufenthalt in Tschetschenien nehmen sollte.

Diese Aussage rechtfertigt sich, soweit sie sich auf die Kläger zu 1) und 3) bezieht, aus den gleichen Gründen, derentwegen die Kläger keiner Gruppe angehören, deren Mitglieder in Tschetschenien oder im übrigen Russland kollektiv verfolgt werden. Hierbei wird nicht verkannt, dass die Voraussetzungen, unter denen eine Gruppenverfolgung zu verneinen ist, nicht vollauf mit denen deckungsgleich sind, die vorliegen müssen, damit die beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung einer bestimmten Person ausgeschlossen werden kann. Maßgeblich ist unter letztgenanntem Blickwinkel vielmehr, ob es dem Betroffenen bei verständiger, objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG vom 29.11.1977 BVerwGE 55, 82/83). Im Rahmen dieser Prognose ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung geboten (BVerwG vom 15.3.1988 BVerwGE 79, 143/150). Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder statistischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht (BVerwG vom 15.3.1998, a.a.O., S. 150 f.). Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist vielmehr dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und sie gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG vom 15.3.1988, a.a.O., S. 151).

Da die Gesetze der Mitgliedstaaten auf den Gebieten, in denen Organen der Europäischen Union das Recht zum Erlass von Richtlinien zusteht, richtlinienkonform auszulegen und anzuwenden sind, sind bei der Beantwortung der Frage, welche Maßstäbe der anzustellenden Verfolgungsprognose zugrunde zu legen sind, auch die einschlägigen Aussagen der Qualifikationsrichtlinie - hier namentlich Art. 4 Abs. 3 QLR - zu berücksichtigen, obwohl die letztgenannte Einzelnorm nicht unmittelbar in das deutsche Recht übernommen wurde. In ihrem Kern spiegeln die Prüfkriterien, die sich in den vorliegend belangreichen Bestimmungen des Art. 4 Abs. 3 Buchst. a bis c QLR finden, ohnedies nur Anforderungen wider, die ihre Wurzeln bereits in dem das verwaltungsgerichtliche Verfahren prägenden Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) finden.

Auf der Grundlage des durch Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und c QLR vorgegebenen "kombiniert generell-individuellen Ansatzes" lässt sich bei zusammenschauender Würdigung aller erkennbaren Umstände feststellen, dass die Kläger heute - wenn sie das wünschen - sogar ihren ständigen Aufenthalt in Tschetschenien nehmen können, ohne dass ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG droht. Dafür spricht bereits, dass allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2006 15.000 Binnenflüchtlinge dorthin zurückgekehrt sind (vgl. Seite 22 des Lageberichts vom 17.3.2007). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ethnische Tschetschenen auch in anderen Teilen Russlands nicht als Gruppe verfolgt werden, wäre eine solche Rückkehrbereitschaft nicht vorstellbar, wenn eine Heimkehr nach Tschetschenien mit einem Wechsel von einem verfolgungsfreien Ort in eine Region einherginge, an dem ein Tschetschene, der - wie die Kläger - keiner der vorerwähnten Risikogruppen angehört, Verfolgung zu befürchten hat.

Eine hiervon abweichende Gefährdungsprognose ist nicht deshalb veranlasst, weil die Kläger aus dem Ausland zurückkehren würden.

Da russische Staatsangehörige in aller Regel nicht ohne Vorlage eines russischen oder sowjetischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen können (vgl. Seite 30 unten des Lageberichts vom 17.3.2007), die Kläger jedoch nach eigener Darstellung nicht (mehr) über Reisepässe verfügen, müsste ihnen vor einer Abschiebung oder einer freiwilligen Heimkehr durch eine russische Auslandsvertretung ein Rückreisedokument ausgestellt werden. Dazu kommt es nur, wenn zuvor die Identität der betroffenen Person durch die Innenbehörden der Russischen Föderation überprüft wurde (vgl. das Schreiben des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 3.3.2006). Gleiches gilt für die Zeit nach dem Inkrafttreten des europäisch-russischen Rückübernahmeabkommens, da eine Rückübernahme nach Art. 2 Abs. 2 dieses Abkommens voraussetzt, dass die Russische Föderation dem Übernahmeersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft zugestimmt und sie der rückzuübernehmenden Person ein Reisedokument ausgestellt hat. Die russischen Stellen wissen mithin sowohl vor als auch nach dem Inkrafttreten dieses Vertrages rechtzeitig vor einer Abschiebung über die Identität des Betroffenen Bescheid. Sie besitzen damit Gelegenheit, sich auch darüber zu vergewissern, ob von ihm Gefahren für die innere Sicherheit ausgehen. Diese bereits vor der Einreise stattfindende Vergewisserung kann bei den Klägern aus den dargestellten Gründen nur zu dem Ergebnis führen, dass sie in jeder Hinsicht loyale Staatsbürger sind, die nach eigenem Bekunden der Kläger zu 1) und 2) zudem unter den vor dem Ausbruch des zweiten Tschetschenienkrieges in Tschetschenien einflussreichen Islamisten zu leiden hatten.

Bei der Beantwortung der Frage, ob aus Westeuropa zurückkehrende ehemalige tschetschenische Asylsuchende, in deren Person keine besonderen, asylrechtlich relevanten Risiken vorliegen, in Tschetschenien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinn von § 60 Abs. 1 AufenthG zu erwarten haben, darf schließlich nicht außer Betracht bleiben, dass die Russische Föderation den Vollzug des mit der Europäischen Union geschlossenen Rückübernahmeabkommens gefährden würde, sollte sich herausstellen, dass Tschetschenen, die in ihren Herkunftsstaat zurückkehren, entweder in Tschetschenien selbst oder in einem anderen Landesteil in einer Weise behandelt werden, die erneut einen Anspruch auf internationalen Schutz auslösen würde. An der Umsetzung dieses Abkommens aber besitzt die Russische Föderation deshalb erkennbar ein gewichtiges Interesse, weil es Bestandteil eines zwischen der Europäischen Union und dem Kreml ausgehandelten "Pakets" ist, zu dem auch ein die Reisemöglichkeiten zwischen den beteiligten Staaten verbesserndes Abkommen über Visaerleichterungen gehört (vgl. das Dokument Nr. 2006/0064 [CNS] des Rates der Europäischen Union vom 27.4.2006, Seite 2).

2.3 Der Klägerin zu 2) droht demgegenüber bei einer Aufenthaltnahme in anderen Teilen der Russischen Föderation als Tschetschenien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG.

2.3.1 Aufgrund des fachärztlichen Gutachtens vom 8. August 2005 steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin zu 2) an einer psychischen Erkrankung in Gestalt einer schweren, chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die von einer rezidivierend depressiven, mit Angsterlebnissen und somatischen Erscheinungen einhergehenden Symptomatik begleitet wird (vgl. u. a. Abschnitt VII.1 sowie Seite 25 unten dieses Gutachtens). Ebenfalls als erwiesen sieht es das Gericht an, dass die Behandlung dieser Krankheitsbilder zwingend eine Langzeitpsychotherapie mit Fortführung der antidepressiven Medikation erfordert (so ausdrücklich Abschnitt VII.2 des Gutachtens vom 8.8.2005).

2.3.2 Würde die Klägerin zu 2) ihren Aufenthalt in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nehmen, so wäre mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass ihr die Behandlungen, die sie nach dem Gutachten vom 8. August 2005 benötigt, aus asylrechtlich relevanten Gründen - nämlich wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder wegen ihrer Herkunft aus dem Nordkaukasus - mit der Folge vorenthalten würden, dass sie in eine konkret lebensbedrohliche Situation geriete, mindestens jedoch schweren gesundheitlichen Schaden nähme.

Nach den überzeugenden, seitens der Beteiligten unwidersprochen gebliebenen Angaben auf Seite 21 unten des Gutachtens vom 8. August 2005 bedarf die Klägerin zu 2) zwingend einer Langzeitpsychotherapie mit Fortführung der antidepressiven Medikation. Steht ihr diese Medikation nicht mehr zur Verfügung und kommt es gleichzeitig zum Verlust eines sicheren Aufenthaltsortes, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer schweren, mit erheblicher Suizidgefahr einhergehenden psychischen Dekompensation zu rechnen (Seite 22 dieses Gutachtens).

Um diejenige Behandlung zu erhalten, auf die sie nach alledem in einer Phase der Rückführung bzw. der Rückkehr in den Herkunftsstaat in besonderer Weise angewiesen sein wird, muss die Klägerin zu 2) über eine Registrierung verfügen. Denn ohne sie ist ihr der Zugang zur staatlichen Gesundheitsfürsorge verschlossen (vgl. Seite 29 des Lageberichts vom 17.3.2007); selbst eine Notfallbehandlung wurde nicht registrierten Personen fallweise verweigert (Seite 6 Mitte im Manuskript des von Frau Gannuschkina am 25.11.2006 gehaltenen Vortrags). Es spricht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin zu 2) bei einer Niederlassung in einem anderen Teil der Russischen Föderation als Tschetschenien eine Registrierung erst nach dem Ablauf einer Zeitspanne erhalten wird, die so lange ist, dass sich das aus ihrer psychischen Verfassung ergebende Lebens- bzw. Gesundheitsrisiko bis dahin realisieren könnte.

Das Auswärtige Amt (vgl. Seite 29 Mitte des Lageberichts vom 17.3.2007) und alle Menschenrechtsorganisationen, die sich mit den Lebensbedingungen von Tschetschenen in den übrigen Teilen der Russischen Föderation befasst haben, stimmen darin überein, dass Angehörige dieser Volksgruppe erhebliche Schwierigkeiten haben, sich außerhalb Tschetscheniens registrieren zu lassen (vgl. z.B. Seite 17 des Schreibens von Amnesty International an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 27.4.2007).

Die verbreitete Praxis, zuzugswilligen Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, stellt eine staatliche Maßnahme dar, die an asylerhebliche Kriterien - nämlich entweder die Volkszugehörigkeit oder aber die regionale Herkunft des Betroffenen - anknüpft. Die im Lagebericht vom 17. März 2007 (Seite 16 und Seite 29) enthaltene Aussage, diese Zuzugsbeschränkungen würden unabhängig von der Volkszugehörigkeit gelten, treffen zwar weitgehend, nicht aber lückenlos zu. Heinrich und Lobova (ebenda) weisen darauf hin, dass in den auf lokaler Ebene erlassenen Registrierungsvorschriften teilweise auch die Kriterien "Herkunft" und "ethnische Zugehörigkeit" als Zuzugsvoraussetzungen genannt werden.

Die Faktoren, die dafür sprechen, dass der Klägerin zu 2) bei dem Versuch, sich außerhalb Tschetscheniens in Russland niederzulassen, eine Registrierung zunächst verweigert wird, überwiegen die Gesichtspunkte, die für die Annahme streiten könnten, sie werde von solchen Praktiken verschont bleiben. Aus dem Lagebericht vom 17. März 2007 (Seite 29) ergibt sich, dass nach Darstellung zahlreicher Nichtregierungsorganisationen "vielen" Tschetschenen - besonders in Moskau - die Registrierung verweigert wird. An gleicher Stelle wird betont, der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Föderation werde "an vielen Orten" erschwert, und "viele" Regionalbehörden würden auch nach dem 1993 erfolgten Übergang vom System der Zuzugsgenehmigung ("propiska") zu einem bloßen Anmeldeerfordernis weiterhin restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken anwenden.

Bei der Klägerin zu 2) kommt hinzu, dass sie darauf angewiesen ist, ihren Aufenthalt in größeren Städten zu nehmen, da nur dort, nicht aber auf dem flachen Land eine psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung von der Art, die sie nach dem Gutachten vom 8. August 2005 benötigt, möglich ist.

Zwar kann, wie in Abschnitt 1.4.2.1 dieses Urteils dargestellt, die Verweigerung einer Registrierung mit guten Erfolgsaussichten bekämpft werden (vgl. auch BayVGH vom 31.1.2005 Az. 11 B 02.31597; BayVGH vom 19.6.2006 Az. 11 B 02.31598; BayVGH vom 15.3.2007 Az. 11 B 03.30712; BayVGH vom 15.3.2007 Az. 11 B 07.30014). Aus der im vorliegenden Rechtsstreit eingeholten Auskunft von Frau Gannuschkina vom 27. Juni 2005 ergibt sich jedoch, dass mehrere Monate vergehen können, ehe die Bemühungen um den Erhalt einer Registrierung ein positives Ergebnis zeitigen.

Erschwerend kommt hinzu, dass mit dem Ergehen einer dem Betroffenen günstigen gerichtlichen Entscheidung der Kampf um eine Registrierung nicht notwendig in allen Fällen beendet ist. Zum einen muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass die unterlegene Behörde Rechtsmittel einlegt (vgl. zu einem derartigen Fall Seite 2 unten des Schreibens von Frau Gannuschkina vom 27.6.2005). Hinzu kommt, dass sich die Verwaltung nicht durchgängig an Gerichtsurteile hält und Fälle zu verzeichnen waren, dass ein Bescheid trotz seiner gerichtlichen Aufhebung erneut erlassen wurde (Heinrich/Lobova, Die Situation von tschetschenischen Vertriebenen [IDPs] in Russland, Seite 3). Es muss deshalb damit gerechnet werden, dass nach dem Abschluss eines gerichtlichen Rechtsstreits weitere Schritte notwendig werden können, damit ein der betroffenen Privatperson vorteilhafter Spruch seitens der vollziehenden Gewalt auch befolgt wird.

Vor allem aber ist zu bedenken, dass eine nur befristete Registrierung, wie sie Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens als Ergebnis einschlägiger Bemühungen des Öfteren nur erteilt wird (vgl. die im Schreiben von Frau Gannuschkina an das erkennende Gericht vom 27.6.2005 erwähnten Fälle "…", "…", "…" und "…"), nicht ausreicht, um der Klägerin zu 2) Zugang zu denjenigen therapeutischen Maßnahmen zu eröffnen, auf die sie nach dem Ergebnis der gerichtlichen Beweiserhebung angewiesen ist. Denn die regelmäßige Beobachtung und Therapie einer an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Person setzt nach der Darstellung von "Memorial" im Schreiben an Rechtsanwalt ... vom 9. Februar 2007 (Seite 5) eine ständige Registrierung voraus. Die Zeitspanne, die verstreicht, ehe die Klägerin zu 2) Leistungen der staatlichen Gesundheitsfürsorge erlangen kann, würde sich deshalb um die Phase verlängern, die benötigt wird, um eine unbefristete Registrierung zu erstreiten.

Die verbreitete staatliche Praxis, zuzugswilligen Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens die Registrierung zu verweigern, hat nach alledem zur Folge, dass hierdurch die nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich geschützten Rechtsgüter "Leben" und "körperliche Unversehrtheit" der Klägerin zu 2) erheblich beeinträchtigt würden. Desgleichen ergäbe sich hieraus im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QLR eine schwerwiegende Verletzung des grundlegenden, insbesondere notstandsfesten (vgl. Art. 15 Abs. 2 EMRK) Menschenrechts auf Leben (Art. 2 Abs. 1 EMRK). Denn ohne Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem wird die Klägerin zu 2) nicht in der Lage sein, die Kosten der benötigten therapeutischen Sitzungen und Medikamente selbst zu bestreiten.

Die Gefährdung an Leib und Leben, die sich für die Klägerin zu 2) aus der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwartenden temporären Verweigerung der Registrierung ergibt, ist die unmittelbare Folge eines staatlichen Verhaltens, das seinerseits an asylerhebliche Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. c QLR anknüpft. Denn diese Folge tritt aufgrund der vor allem im Gutachten vom 8. August 2005 aufgezeigten medizinischen Zusammenhänge gleichsam "automatisch" ein, ohne dass es einer weiteren, von der Betroffenen bzw. von Dritten gesetzten Ursache bedarf. Die aus der Verweigerung der Registrierung resultierende Lebens- oder Gesundheitsgefahr für die Klägerin zu 2) ist mithin nicht nur eine "mittelbare" (sich erst aus dem Hinzutreten weiterer Faktoren ergebende), sondern die unmittelbare Folge staatlichen Handelns.

An dem Umstand, dass dieses Verhalten alle Tatbestandsmerkmale einer Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 f. QLR erfüllt, ändert es nichts, dass der Sachbearbeiter bei der Meldebehörde, der eine Registrierung der Klägerin zu 2) ablehnt, ihr den Nachteil, der sich hieraus für ihr Leben und ihre Gesundheit ergibt, nicht dergestalt "zielgerichtet" zufügt, dass er die beantragte Amtshandlung deshalb ablehnt, um die Klägerin zu 2) in der aufgezeigten Weise zu schädigen; die in ihrer Person bestehende medizinische Problematik wird ihm in der Regel nicht einmal bekannt sein. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 10. Juli 1989 (a.a.O., S. 334 f.) ausgesprochen, eine Verfolgung sei dann politisch, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylrelevante Merkmale "gezielt" Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Das Erfordernis der "Zielgerichtetheit" der Rechtsgutsverletzung dient indes, wie sich aus den sich an die vorstehende Aussage anschließenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ergibt, dazu, asylrechtlich erhebliche Maßnahmen von Nachteilen abzugrenzen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatstaat (Hunger, Naturkatastrophen sowie die allgemeinen Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen) zu erleiden hat (BVerfG vom 10.7.1989, a.a.O., S. 335).

Der Umstand, dass sich russische Staatsangehörige seit einem Erlass vom 22. Dezember 2004 90 Tage lang ohne Registrierung an einem Ort aufhalten dürfen, ändert angesichts der spezifischen Gegebenheiten, die in der Person der Klägerin zu 2) bestehen, nichts daran, dass die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Verweigerung der Registrierung in ihrem Fall als Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QLR zu werten ist. Denn die "90-Tage-Regelung" hat nur zur Folge, dass sich der Betroffene bis zu ihrem Ablauf keines Verstoßes gegen Registrierungsbestimmungen schuldig macht; sie ändert nichts daran, dass er an dem Ort, an dem er sich aufhält, mangels positiver Registrierung keinen Zugang zur staatlichen Gesundheitsfürsorge hat.

2.3.3 Von der Klägerin zu 2) kann nicht verlangt werden, sich der Verfolgung, die sie angesichts der speziell in ihrer Person bestehenden gesundheitlichen Problematik in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu erwarten hat, dadurch zu entziehen, dass sie ihren Aufenthalt in Tschetschenien nimmt. Dort wäre sie zwar vor Verfolgungen hinreichend sicher, da in keinem der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel behauptet wird, ethnischen Tschetschenen, die in ihre angestammte Heimat zurückkehren, werde dort die Registrierung verweigert. Die Klägerin zu 2) kann jedoch gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 QLR deshalb nicht auf diese Möglichkeit internen Schutzes verwiesen werden, da unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten in Tschetschenien und ihrer persönlichen Umstände heute vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass sie sich in diesem Landesteil aufhält. In Tschetschenien wäre ihr nämlich die zwingend benötigte medizinische Behandlung aus nicht verfolgungsbedingten Gründen unzugänglich.

3. Das Bundesamt hat im Bescheid vom 19. Oktober 2001 auch aus heutiger Sicht im Ergebnis zu Recht ausgesprochen, dass bei den Klägern zu 1) und 3) kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf die Russische Föderation vorliegt.

3.1 Keiner der Kläger muss mit dem erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit befürchten, in Tschetschenien gefoltert oder einer sonstigen, mit der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) unvereinbaren Behandlung zugeführt zu werden (Art. 60 Abs. 2, 5 und 11 AufenthG in Verbindung mit den dort in Bezug genommenen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie). Zwar beklagte der Menschenrechtskommissar der Europäischen Union bei der am 1. März 2007 in Grosny abgehaltenen Pressekonferenz, dass illegale Verhörmethoden und Folter in Tschetschenien immer noch alltäglich seien. Bereits das Nebeneinander von illegalen Verhörmethoden und Folter in dieser Aussage deutet jedoch darauf hin, dass - was auch von der Sache her nahe liegt - von dieser Problematik nur solche Personen betroffen sind, die in staatlichen Gewahrsam genommen wurden.

Da gegen die Kläger nicht einmal ein entfernter Verdacht vorliegt, dessentwegen sie konkret befürchten müssten, in Tschetschenien in Haft genommen zu werden, sich der Kläger zu 1) vielmehr der Wertschätzung des russischen Kulturministeriums erfreut, müssen sie nicht - wie das nach § 60 Abs. 2 AufenthG erforderlich ist - "konkret" damit rechnen, den in tschetschenischen Haftanstalten verbreiteten Foltermethoden oder sonstigen unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlungen oder Bestrafungen ausgesetzt zu sein.

3.2 Die Kläger wären nach einer Niederlassung in Nord- oder Zentraltschetschenien (d.h. insbesondere in ihrem Herkunftsort Grosny und dessen Umgebung) ferner nicht deshalb an Leib oder Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG "konkret" und "erheblich" gefährdet, weil sie befürchten müssen, von Kampfhandlungen zwischen Organen des russischen Staates und den Aufständischen betroffen zu werden. Denn unter Militäraktionen und Partisanenüberfällen leidet die Bevölkerung nur noch im gebirgigen - und deshalb für die Sicherheitskräfte schwer zugänglichen und kontrollierbaren - Süden Tschetscheniens (Abschnitt 1.2.2 der den Tschetschenienkonflikt betreffenden "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2007).

Zwar ist davon auszugehen, dass im Rahmen der beiden Tschetschenienkriege eine große Zahl von Minen gelegt wurde (vgl. Seite 11 oben der Ausarbeitung "Schleichender Völkermord in Tschetschenien" der Gesellschaft für bedrohte Völker vom November 2005 sowie Seite 13 Mitte der Ausarbeitung "Innerstaatliche Fluchtalternative in Tschetschenien" von Heinrich und Lobova). In den aus jüngerer Zeit stammenden Erkenntnismitteln wird eine diesbezügliche Gefährdungssituation der Bevölkerung bezeichnenderweise jedoch nicht mehr thematisiert.

3.3 Eine erhebliche, konkrete Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Kläger resultiert schließlich auch nicht aus der mangelhaften Versorgungssituation mit Lebensmitteln und den ungenügenden Erwerbsmöglichkeiten, die in Tschetschenien bestehen. Zwar bezeichnet das Auswärtige Amt die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln - insbesondere in Grosny - als äußerst mangelhaft (Seite 20 des Lageberichts vom 17.3.2007). Keine der Menschenrechtsorganisationen, die sich aktuell zur Lage in Tschetschenien geäußert haben, behauptet jedoch, dass der dortigen Bevölkerung die für eine menschenwürdige Existenz notwendige Ernährung nicht zur Verfügung stehe.

Die Kläger sähen sich bei einer Aufenthaltnahme in Tschetschenien ferner nicht im Hinblick darauf einer erheblichen und konkreten Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt, weil die Bevölkerung Tschetscheniens der Meinung sei, wer sich eine Reise ins Ausland leisten könne, verfüge über Geld, so dass Rückkehrer aus dem Ausland zum Opfer von Erpressungsversuchen in Gestalt von Entführungen mit anschließenden Lösegeldforderungen werden könnten (so Frau Gannuschkina in ihrem am 25.11.2006 gehaltenen Vortrag, Seite 13 des Manuskripts). Der Bejahung eines hieraus resultierenden Abschiebungshindernisses steht nicht nur entgegen, dass es sich hierbei um eine bloße, durch keinerlei Tatsachen untermauerte Spekulation handelt.