VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 13.11.2007 - 2 UZ 2456/06.A - asyl.net: M11993
https://www.asyl.net/rsdb/M11993
Leitsatz:
Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Verfahrensrecht, Verfahrensmangel, rechtliches Gehör, Hinweispflicht, Überraschungsentscheidung, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Religion, grundsätzliche Bedeutung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. September 2006 ergangene, seinem Prozessbevollmächtigten am 26. September 2006 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt - 6 E 1309/06.A (3) - ist zulässig, bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt allerdings voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Es kommt daher im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleich, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfGE 84, 188). In besonderen Fällen kann es darüber hinaus auch geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen will.

Ausweislich der Verhandlungsniederschrift vom 7. September 2006 ist dem Kläger Gelegenheit gegeben worden, sich zu den Gründen seines Asylfolgeantrags vor dem Verwaltungsgericht eingehend zu äußern. Dabei war für den Kläger bzw. für seinen anwesenden Prozessbevollmächtigten auch erkennbar, auf welchen Tatsachenvortrag für die Entscheidungsfindung des Gerichts im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG bei ergänzender Anwendung der Qualifikationsrichtlinie es maßgeblich ankommen kann. Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts zum Inhalt des Verfahrensgrundrechts des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs.1 GG bedurfte es insbesondere auch vor dem Hintergrund des schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten keines rechtlichen Hinweises des Verwaltungsgerichts darauf, dass es die vom Kläger zur Begründung seines Asylfolgeantrags angeführten religiösen Aktivitäten und Tätigkeiten als Präsident der Ahmadiyya-Gemeinde in Bensheim dem sog. forum internum der Religionsausübung und nicht dem öffentlichen Bereich, also dem forum externum zurechnen bzw. die vom Kläger geübte Glaubenspraxis als für die Gewährung eines Abschiebungsschutzes gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG auch bei ergänzender Anwendung der Qualifikationsrichtlinie wegen der geringen Intensität des Eingriffs in das Schutzgut der Religionsausübung im öffentlichen Bereich als nicht ausreichend ansehen könnte. Vielmehr musste der Kläger gerade wegen der gegenwärtig wenig geklärten und vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zur Asylgewährung aus religiösen Gründen problematischen Anwendung der Qualifikationsrichtlinie von sich aus eine derartige, nicht völlig überraschende Beurteilung seiner religiösen Aktivitäten und Tätigkeiten durch das Verwaltungsgericht mit bedenken und seinen Vortrag darauf einstellen.

Weiterhin ist die Berufung auch nicht im Hinblick auf die im Zulassungsantrag geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Zulassungsantrag des Klägers nicht. Die darin als rechtsgrundsätzlich bedeutsam formulierte Frage, "ob für den Fall, dass die öffentliche Glaubenspraxis als rechtlich geschützter Bereich im Asylverfahren zu beachten ist, Ermittlungen dahingehend angestellt werden dürfen, ob dem Asylsuchenden nach Rückkehr ein Verzicht auf die religiöse Betätigung im öffentlichen Bereich zumutbar ist", ist für die Berufungsinstanz nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht nach seinen - mittels durchgreifender Verfahrensrügen nicht angegriffenen - tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen weder ermittelt noch entschieden hat, ob bzw. dass es dem Kläger für den Fall einer Rückkehr in sein Heimatland Pakistan zumutbar ist, seine religiöse Glaubenspraxis auf das forum internum zu beschränken. Nach der vorstehend wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Urteils hat das erstinstanzliche Gericht einen Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG bei ergänzender Anwendung der Qualifikationsrichtlinie gerade nicht deshalb abgelehnt, weil es eine Beschränkung der Religionsausübung auf den Bereich des forum internum als für den Kläger zumutbar erachtet, sondern weil nach den Feststellungen der Vorinstanz die Betätigungen des Klägers in und für die Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft entgegen dessen eigener Bewertung über das forum internum nicht hinausreichen.