OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 27.09.2007 - 11 LB 69/07 - asyl.net: M11969
https://www.asyl.net/rsdb/M11969
Leitsatz:

1. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Bleiberechtsregelungen des Landes Niedersachsen aus der Zeit vor 2005 kann auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes gegeben sein, wenn der Antrag vor dem 1. Januar 2005 gestellt worden ist.

2. Der Bleiberechtserlass des Nds. Innenministeriums vom 18. Oktober 1990 erfasst nicht aus dem Libanon eingereiste Kurden mit türkischer Staatsangehörigkeit und libanesische Staatsangehörige, die erst nach der dem Erlass zugrunde liegenden Stichtagsregelung die libanesische Staatsangehörigkeit erworben haben.

3. Die Ausländerbehörde hat bei einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen keinen Ermessensspielraum für eine Altfallregelung zugunsten des Ausländers.

4. Für den Fall, dass die Vorschriften des § 104a Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern nebeneinander anwendbar sind, wirkt sich im Rahmen der Prüfung des Absatzes 2 ein Versagungsgrund nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 regelmäßig ungünstig auf die Erwartung aus, der Ausländer könne sich in die hiesigen Lebensverhältnisse einfügen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Bleiberechtsregelung 1990, Bleiberechtsregelung 2001, Libanon, Libanesen, Staatenlose, Kurden, Sammeleinbürgerung, Türken, Staatsangehörigkeit, Übergangsregelung, Zuwanderungsgesetz, Altfälle, Gleichheitsgrundsatz, Erlasslage, Falschangaben, Eltern, Kinder, Zurechenbarkeit, Vertretenmüssen, Bleiberechtsregelung 2006, Altfallregelung, Straftat, Strafurteil, Integration, Zukunftsprognose, Ausreisehindernis, freiwillige Ausreise, Laissez-Passer, Passlosigkeit, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Privatleben, Verhältnismäßigkeit
Normen: AufenthG § 23 Abs. 1; AufenthG § 101 Abs. 2; AufenthG § 104 Abs. 1; AuslG § 99 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 6; AufenthG § 104a Abs. 2 S. 1; AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8
Auszüge:

Die Berufung des Beklagten ist begründet.

Der Kläger beansprucht mit seinem Hauptantrag vergeblich eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 23 AufenthG in Verbindung mit Bleiberechtsregelungen des Landes Niedersachsen aus der Zeit vor 2005.

Der Kläger gehört nicht zu den nach der Bleiberechtsregelung des Niedersächsischen Innenministeriums (Nds. MI) vom 18. Oktober 1990 (52.31-12231/1-1-1; nicht veröffentlicht) begünstigten Personenkreis. Auch aus den nachfolgenden Runderlassen des Nds. MI vom 27. September 1992 (56.31-12230/1-1 <§ 54/§ 32>, Nds. MBl. 1992, 1336) und vom 16. August 2001 (45.31-12230/1-1 <§ 32>) lässt sich kein eigenständiger Anspruch herleiten.

Zu Unrecht macht der Beklagte allerdings geltend, ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG scheide schon deshalb aus, weil der Runderlass des Nds. MI vom 16. August 2001 und damit auch der Bezugserlass des Nds. MI vom 18. Oktober 1990 nach der Vorläufigen Nds. Verwaltungsvorschrift zum AufenthG - Vorl. Nds. VV - AufenthG vom 31. März 2005 (45.2-12230/1-8) nicht mehr anzuwenden sei. Dieser rechtlichen Wertung folgt der Senat nicht.

Angesichts dieser Fortschreibung eines Aufenthaltszwecks aus humanitären Gründen nach den Vorgaben einer obersten Landesbehörde im Aufenthaltsgesetz wäre es mit dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot unvereinbar, dem Ausländer, der die Verlängerung einer Aufenthaltsbefugnis vor dem 1. Januar 2005 beantragt hat und dessen Antrag von der Ausländerbehörde nicht mehr bis zum Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes bestandskräftig beschieden worden ist, die Berufung auf eine ihn möglicherweise begünstigende Altfall-Regelung, die nach dem Willen der obersten Landesbehörde mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes nicht mehr anwendbar sein soll, zu versagen. Einen sachlichen Grund für eine solche Benachteiligung eines Ausländers, der lediglich den Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbefugnis vor dem 1. Januar 2005 gestellt hat, bzw. dessen Antrag nicht unanfechtbar negativ beschieden worden ist, gegenüber dem Ausländer, dessen Verlängerungsantrag vor dem 1. Januar 2005 positiv entschieden wurde, vermag auch der Beklagte nicht zu benennen. Wäre die Auffassung des Beklagten richtig, hätte es die Ausländerbehörde in der Hand, ohne die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung ihrer Ablehnungsgründe ein aus humanitären Gründen gewährtes Bleiberecht durch die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis zu beenden.

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass bei der gegebenen Fallkonstellation die angesprochenen landesrechtlichen Bleiberechtsregelungen weiterhin zu beachten sind. Der Kläger hat Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis als Aufenthaltserlaubnis, wenn er die Voraussetzungen für die Ersterteilung des Aufenthaltsrechts nach Maßgabe der Bleiberechtsregelung in dem Runderlass des Nds. MI vom 18. Oktober 1990 erfüllt. Das ist aber zu verneinen.

Der Kläger gehört nicht zu dem von der Bleiberechtsregelung begünstigten Personenkreis. Nach Ziff. 2.1 2. Spiegelstrich des Runderlasses vom 18. Oktober 1990 erhalten Flüchtlinge, die sich am 1. August 1990 legal in Niedersachsen aufgehalten haben, auf Antrag eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie Staatsangehörige der Staaten Afghanistan, Albanien, Irak, Iran, Libanon oder Sri Lanka, Palästinenser oder Kurden aus dem Libanon, Christen oder Yeziden aus der Türkei sind. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger als Angehöriger des Staates Libanon anspruchsberechtigt ist. Zwar erhielt der Kläger im Jahr 1994 im Wege der Sammeleinbürgerung aufgrund des Dekrets Nr. 5247 die libanesische Staatsangehörigkeit. Den für die Beurteilung des Sachverhalts maßgeblichen Verwaltungsvorschriften lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass auch dieser Personenkreis in den Genuss der Bleiberechtsregelungen kommen sollte.

Der Runderlass des Nds. MI vom 18. Oktober 1990 scheidet als Rechtsgrundlage aus. Er enthält mit seinem Erlassdatum eine Stichtagsregelung in Bezug auf die Frage, welche Ausländer anspruchsberechtigt sein sollen. Ein Antragsteller wurde demnach von der Regelung nur dann begünstigt, wenn er am 18. Oktober 1990 tatsächlich die libanesische Staatsangehörigkeit besaß.

Der Runderlass des Nds. MI vom 27. September 1992 enthält ebenfalls keine Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers auf Verlängerung einer Aufenthaltsbefugnis. Danach wird gemäß § 32 AuslG angeordnet, u.a. libanesischen Staatsangehörigen, die bis zum 31. Dezember 1988 in das Bundesgebiet eingereist sind, eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Für diese Regelung gilt das zum Runderlass des Nds. MI vom 18. Oktober 1990 Gesagte.

Der Kläger wird auch nicht als "Kurde aus dem Libanon" im Sinne der Ziff. 2.1 2. Spiegelstrich des Runderlasses vom 18. Oktober 1990 von der Bleiberechtsregelung erfasst. Zu der von dem Runderlass begünstigten Personengruppe gehören nur staatenlose Kurden bzw. Kurden mit unaufklärbarer Staatsangehörigkeit aus dem Libanon, nicht aber Kurden aus dem Libanon mit türkischer Staatsangehörigkeit. Der Kläger ist der zuletzt genannten Volksgruppe zuzurechnen. Der Beklagte hat ihm deshalb zu Recht die Verlängerung seiner Aufenthaltsbefugnis verweigert.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist deshalb von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen. Nach dem Ergebnis der Nachforschungen des Beklagten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Vater des Klägers türkischer Staatsangehöriger (gewesen) ist.

Die Eintragungen in das türkische Personenstandsregister haben den Charakter einer öffentlichen Urkunde. Sie und ihre Auszüge gehören nach türkischem Rechtsverständnis zu den Strengbeweismitteln in Bezug auf den dokumentierten Sachverhalt (Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: Juli 2007, Stichwort Türkei, S. 47).

Der Beweiswert einer Registrierung im Familienregister ergibt sich auch aus dem tStAG, nach dessen Art. 38 die Eintragung in das Personenstandsregister der Republik Türkei bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung begründet, der Betreffende sei türkischer Staatsangehöriger.

Ob der zum Zeitpunkt der Stellung des ersten Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Jahr 1990 minderjährige Kläger Kenntnis von seiner türkischen Staatsangehörigkeit hatte, ist nach den vorstehend behandelten Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht entscheidungserheblich.

Die Hilfsanträge sind unbegründet.

Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1 AufenthG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970), das am 28. August 2007 in Kraft getreten ist.

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht die Regelung in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG entgegen. Danach ist Voraussetzung für das Bleiberecht, dass der Ausländer nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben. Der Kläger wurde mit dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Peine vom 4. Mai 2004 wegen einer vorsätzlichen Straftat zu 100 Tagessätzen in Höhe von je 20,- Euro Geldstrafe verurteilt. Dem Kläger wurde zur Last gelegt, in der Zeit vom 30. Januar 2004 bis zum 1. Februar 2004 unter Verstoß gegen § 1 Abs. 1 des Fleischhygienegesetzes (FlHG) mit einem Mittäter mindestens 100 Schafe ohne vorherige Durchführung der vorgeschriebenen Schlachttieruntersuchung geschlachtet zu haben. Das Strafmaß von 100 Tagessätzen überschreitet die in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG genannte Grenze von 50 Tagessätzen. Welche Gründe für das Strafmaß maßgeblich waren, ist nicht entscheidungserheblich. Die Ausländerbehörde ist an die Bemessung der Strafhöhe durch das Strafgericht gebunden.

Die vorgenannte Verurteilung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen kann auch nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben. Der Senat geht angesichts des Wortlauts der Regelung in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG davon aus, dass die Ausländerbehörde bei einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen keinen Ermessensspielraum für eine Entscheidung zugunsten des Ausländers hat. Dafür spricht, dass im begründeten Einzelfall selbst Geldstrafen, die die im Gesetz genannte Tagessatzschwelle nicht erreichen, als Versagungsgrund herangezogen werden können. Aber selbst bei einem Verständnis der Regelung, dass auch bei einer Bestrafung zu einer Geldstrafe, die die im Gesetz genannte Grenze überschreitet, im begründeten Einzelfall noch Raum für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung im Ermessenswege besteht, hat der Beklagte hier zu Recht eine ablehnende Entscheidung getroffen.

Die Regelung in § 104 a Abs. 1 AufenthG soll denjenigen Ausländer begünstigen, der faktisch und wirtschaftlich im Bundesgebiet integriert ist und sich rechtstreu verhalten hat (BT-Drs. 16/5065 S. 202). Der Kläger ist in erheblicher Weise straffällig geworden.

Unabhängig von den vorgenannten strafrechtlichen Verfehlungen gehört der Kläger auch deshalb nicht zu dem von der Altfallregelung begünstigten Personenkreis, weil er seit Ergehen des Bescheides des Beklagten vom 8. Oktober 2001 wider besseren Wissens gegenüber der Ausländerbehörde daran festgehalten hat, er sei nicht türkischer Staatsangehöriger.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung in § 104 a Abs. 2 AufenthG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann dem geduldeten volljährigen ledigen Kind eines geduldeten Ausländers, der sich am 1. Juli 2007 seit mindestens 8 Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens 6 Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 erteilt werden, wenn es bei der Einreise minderjährig war und gewährleistet erscheint, dass es sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. Nach dieser Regelung kann erwachsenen Kindern von Ausländern im Sinne des § 104 a Abs. 1 AufenthG, die sich bereits als Minderjährige mit ihren Eltern langjährig im Bundesgebiet aufgehalten haben, nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die erwachsenen Kinder müssen selbst die Vor-Aufenthaltszeiten nach Abs. 1 erfüllen. Darüber hinaus verlangt § 104 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine "positive Integrationsprognose" (BT-Drs. 16/5065 S. 202). Für die Frage, ob gewährleistet erscheint, dass sich der Ausländer in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann, ist neben dem Erfordernis einer ausreichenden Schul- bzw. Berufsausbildung sowie hinreichender Sprachkenntnisse von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat. Ist er im Bundesgebiet zu einer Straftat verurteilt worden, darf diese bei der Zukunftsprognose berücksichtigt werden, auch wenn die in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG genannte Tagessatzschwelle nicht erreicht wird (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 6.8.2007 - 1 B 315/07 -, veröff. in juris). Ist der Ausländer wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen verurteilt worden (vgl. § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 1. Alt. AufenthG), hat diese Bestrafung erhebliches Gewicht und wird sich regelmäßig ungünstig auf die Erwartung auswirken, der Ausländer könne sich in die hiesigen Lebensverhältnisse einfügen. Der Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 2 AufenthG in der Berufungsverhandlung ermessensfehlerfrei mit der Begründung abgelehnt, wegen des strafbaren Verhaltens des Klägers lägen die Voraussetzungen der Vorschrift nicht vor.

Wie bereits zu § 104 a Abs. 1 AufenthG ausgeführt, erfüllt der Kläger zwar die erforderlichen Vor-Aufenthaltszeiten. Ihm ist jedoch eine ungünstige Integrationsprognose zu stellen. Der Kläger beherrscht zwar nach dem Eindruck, den der Senat in der Berufungsverhandlung gewonnen hat, die deutsche Sprache fließend. Er bemüht sich inzwischen auch, den eigenen Lebensunterhalt und den seiner beiden minderjährigen Kinder, mit denen er im Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt lebt, ohne öffentliche Leistungen sicherzustellen. Diese Integrationsleistungen reichen jedoch für eine positive Zukunftsprognose nicht aus. Ihr steht entgegen, dass der Kläger in erheblicher Weise straffällig geworden ist.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit der Bleiberechtsregelung des Nds MI vom 6. Dezember 2006. Diese Verwaltungsvorschrift dürfte neben der Regelung in § 104 a AufenthG weiterhin anwendbar sein, auch wenn sie in verschiedenen Punkten hinter der mit dem Änderungsgesetz vom 19. August 2007 eingefügten Altfallregelung zurückbleibt (vgl. hierzu die vom Beklagten vorgelegte Niederschrift über die Dienstbesprechung des Referats 42 des Nds MI mit den Ausländerbehörden zur Anwendung der gesetzlichen Altfallregelung am 11. 9. 2007, dort Nr. 1). Der Kläger gehört zwar zum begünstigten Personenkreis, weil er sich seit dem 17. November 2000 im Bundesgebiet aufhält und als Personensorgeberechtigter in Haushaltsgemeinschaft mit mindestens einem minderjährigen Kind lebt, das spätestens am 30. September 2007 das 3. Lebensjahr vollendet hat (vgl. Nr. 1.1.1 des RdErl. d. Nds. MI). Er hat jedoch wegen seiner Verurteilung vom 4. Mai 2004 zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen einen Versagungsgrund nach Nr. 5.1.2 in Verbindung mit Nr. 5.3 Satz 1 des Runderlasses, der im Wesentlichen der Regelung in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG entspricht, verwirklicht.

Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG.

Ein rechtliches Ausreisehindernis ergibt sich nicht daraus, dass der Kläger gegenwärtig nicht über einen gültigen libanesischen Reisepass verfügt. Denn nach den dem Beklagten vorliegenden Informationen, die er dem Kläger mit Schreiben vom 25. April 2006 mitgeteilt hat, stellt die Libanesische Botschaft zum Zwecke der Abschiebung ein sogenanntes Laissez-Passer aus.

Abgesehen davon ist der Kläger türkischer Staatsangehöriger. Ihm ist es deshalb zuzumuten, Einreisepapiere für die Türkei zu beschaffen.

Eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers ist nicht im Hinblick auf die völkervertragsrechtliche Bestimmung in Art. 8 EMRK rechtlich unmöglich.

Das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK begründet nicht ein rechtliches Abschiebungshindernis.

Im vorliegenden Fall verfügte der Kläger zwar über einen längeren Zeitraum über eine Aufenthaltsbefugnis und damit über eine aufenthaltsrechtliche Verankerung im Bundesgebiet. Diesen Aufenthaltstitel hat der Kläger aber nur erhalten, weil seine Eltern im Jahr 1990 in dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und später in den Anträgen auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis ihre wahre türkische Identität und Staatsangehörigkeit verschwiegen haben und der Kläger selbst als Erwachsener den bei der Ausländerbehörde entstandenen Irrtum aufrechterhalten hat. Es sprechen deshalb gute Gründe für die Erwägung, den Kläger den Ausländern gleichzustellen, die sich unerlaubt im Gaststaat aufhalten und wegen der damit verbundenen Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus nicht erwarten können, ihr Privatleben im Gaststaat fortsetzen zu können.

Die Rechtsprechung des EGMR stünde dieser rechtlichen Bewertung nicht entgegen. Der EGMR hat bisher nicht endgültig geklärt, ob ein rechtmäßiger Aufenthalt Voraussetzung für eine Verwurzelung im Gaststaat ist (Urt. v. 16.9.2004 - 11103/03 - NVwZ 2005, 1046, Rs. Ghiban). Die Entscheidung des EGMR vom 16. Juni 2005 (- 60654/00 -, InfAuslR 2005, 349, Rs. Sisojeva) betraf einen atypischen Sonderfall. Sie bietet keine Entscheidungshilfe für die maßgebliche Rechtsfrage (vgl. auch das Urteil der Großen Kammer in dieser Rechtssache vom 15.1.2007, InfAuslR 2007, 140).

Der Senat muss die vorstehend bezeichnete Rechtsfrage aber nicht abschließend entscheiden. Denn selbst bei Annahme, dass die sozialen Bindungen des Klägers wegen seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet und wegen der im Ansatz vorhandenen Integrationsleistungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK schutzfähig sind, ist der Eingriff nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

Die Beendigung des Aufenthalts des Klägers ist nicht unverhältnismäßig, unabhängig davon, ob sie neben Art. 8 Abs. 2 EMRK noch gesondert an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 -).

Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist.

Der Kläger kann als privaten Belang ins Feld führen, dass er bereits seit 1985 im Bundesgebiet lebt. Dieser Tatsache kommt jedoch nur ein untergeordnetes Gewicht zu. Denn im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nunmehr zu berücksichtigen, dass der Kläger den langjährigen Aufenthalt nur deshalb begründen konnte, weil seine Eltern bei der Einreise in das Bundesgebiet und auch später falsche Angaben zu ihrer Staatsangehörigkeit und der der Kinder gemacht haben. Dadurch haben die Eltern gegen deutsche Rechtsvorschriften verstoßen. Das hat der Senat im Einzelnen in seinen Urteilen vom heutigen Tag in den Berufungsverfahren der Eltern 11 LB 130/07 und 11 LB 131/07 ausgeführt. Dieses Verhalten seiner die elterliche Sorge im Sinne des § 1626 Abs. 1 BGB ausübenden und damit erziehungs- und aufenthaltsbestimmungsberechtigten Eltern muss sich der Kläger, der, als die Eltern die Angaben machten, noch minderjährig war, zurechnen lassen (st. Rspr. d. Sen., Urt. v. 20.5.2003 - 11 LB 35/03 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschl. v. 8.12.2006 - 18 A 2644/06 -, a. a. O.). Darüber hinaus ist dem Kläger vorzuhalten, dass er selbst als Volljähriger an der Angabe, er sei nicht türkischer Staatsangehöriger, gegenüber der Ausländerbehörde des Beklagten wider besseren Wissens festgehalten hat. Dieses Verhalten spricht nicht für eine Integration des Klägers.

Dem Kläger ist ferner bisher die wirtschaftliche Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland nicht gelungen.

Bei dem Kläger fehlt es ferner an einer rechtlichen Integration. Er ist, wie bereits mehrfach ausgeführt, in erheblicher Weise straffällig geworden.

Da der Kläger nach den vorstehenden Ausführungen nur unzureichend in die deutsche Gesellschaft eingebunden ist, hat das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Einwanderungskontrolle ein überwiegendes Gewicht. Dass dem Kläger ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit nicht zugemutet werden könnte, ist nicht feststellbar. Der Kläger besitzt die libanesische Staatsangehörigkeit. Er kann deshalb in den Libanon zurückkehren. Der Kläger gehört zu einer Großfamilie, deren Mitglieder zwar überwiegend im Bundesgebiet leben, sich zum Teil aber auch noch im Libanon aufhalten. Er spricht arabisch. Wegen seines Alters und des in der Vergangenheit bereits bei dem Aufbau eines eigenen Gewerbes gezeigten Geschäftssinns wird es ihm möglich sein, seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie dort zu sichern. Der Kläger besitzt ferner die türkische Staatsangehörigkeit. Er hat deshalb die Möglichkeit, in das Heimatland seiner Familie auszureisen. Dort lebt bereits seine Ehefrau mit den beiden minderjährigen Kindern.