VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 08.10.2007 - 19 CS 07.1987 - asyl.net: M11861
https://www.asyl.net/rsdb/M11861
Leitsatz:
Schlagwörter: Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Ablehnungsbescheid, Bindungswirkung, Ausländerbehörde, Prüfungskompetenz, abgelehnte Asylbewerber, Anerkennungsrichtlinie, ernsthafter Schaden, willkürliche Gewalt
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 42 S. 1; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Die Beschwerde hätte aber auch dann keinen Erfolg, wenn man im Hinblick auf das erkennbare Rechtsschutzbegehren – der Ast. will offenbar im Wege der Beschwerde doch noch die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 15. Mai 2007 erreichen – entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 4 VwGO von einem zulässigen Rechtsmittel ausgehen wollte (vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 14. Aufl. 2005, RdNr. 41 zu § 146). Denn auch die fristgerecht vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Senat sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, würden zu keinem anderen Ergebnis führen:

Soweit der Ast. rügt, es bedürfe einer Klärung in einem Hauptsacheverfahren, ob das Bundesamt oder die Ausländerbehörde eine extreme Gefahrenlage im Sinne § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen habe, verkennt er die Bindungswirkung des § 42 AsylVfG und die Tragweite der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2006 - 1 C 14/05 - hierzu. Danach ist die Ausländerbehörde kraft Gesetzes an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2–7 AufenthG gebunden; eine ausnahmsweise eigene Prüfung der Ausländerbehörde wird nur für möglich gehalten, wenn eine extreme Gefahr für Leib und Leben infolge einer allgemeinen Gefahrenlage geltend gemacht wird, die in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG zur Feststellung eines Abschiebeverbots nach dieser Vorschrift führen müsste und das Bundesamt eine solche Feststellung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht treffen könne und dürfe. Letztere Kriterien sind hier offensichtlich nicht erfüllt, da der Abschiebestopp in Bayern gerade nicht auf einer eventuellen allgemeinen Gefahrenlage im Irak beruht, sondern darauf, dass bisher keine Flugverbindung dorthin besteht und es nach wie vor an einem Rücknahmeabkommen fehlt, insbesondere aber, weil das Bundesamt vorliegend mit Bescheid vom 18. Mai 2006 ausdrücklich festgestellt hat, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliege und auch das Verwaltungsgericht in dem anschließenden Gerichtsverfahren mit Urteil vom 6. Juli 2006 - RO 3 K 06.30169 - festgestellt hat, dass dem Ast. bei einer Rückkehr in seine Heimat keine Verfolgung droht. Insoweit liegt bereits ein die Bindungswirkung des § 42 AsylVfG auslösender Feststellungsbescheid des Bundesamtes vor. Sollte der Ast. das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG zwischenzeitlich für gegeben erachten, so müsste er dies – worauf die Aggin. in der Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist – richtigerweise beim Bundesamt in Form eines Folgeantrags gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG geltend machen. Insoweit bedarf es keiner Klärung der Zuständigkeitsfrage in einem Hauptsacheverfahren, so dass kein Grund erkennbar wäre, insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Ob in der Sache die vom Ast. geltend gemachte extreme Gefahrenlage im Sinne § 60 Abs. 7 AufenthG bei einer Rückkehr in den Irak vorläge, bedarf nach dem gefundenen Ergebnis keiner Entscheidung in diesem Verfahren. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das zitierte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. April 2007 - AN 3 K 06.30312 - bisher nicht rechtskräftig ist, sondern der Bayerische Verwaltungsgerichtshof insoweit die Berufung zugelassen hat (Az. 23 ZB 07.30290 bzw. 23 B 07.30495). Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat im Urteil vom 21. Mai 2007 - 4 K 2563/07 diese Frage letztlich offen gelassen und einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie = QRL) hergeleitet. Abgesehen davon, dass eine individuelle Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne dieser Richtlinie bisher auf Teilgebiete im Zentral- und Südirak (sowie zuletzt im Nordirak) beschränkt ist (so auch VGH BW, B.v. 29.5.2007 - A 2 S 92/07), hat die Aggin. in der Beschwerdebegründung zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Richtlinie zwischenzeitlich durch das seit 28. August 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, S. 1970) in nationales Recht umgesetzt worden ist, so dass für ihre unmittelbare Anwendung kein Raum mehr ist. Zudem ist der Begründung zur Änderung des § 60 Abs. 7 AufenthG und der Einführung eines neuen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, wodurch Art. 15 c QRL umgesetzt werden soll, zu entnehmen, dass allgemeine Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes ausgesetzt sind, grundsätzlich keine individuelle Bedrohung im Sinne der Richtlinie darstellen (vgl. Erwägungsgrund), sondern im Rahmen einer Anordnung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Duldung aus humanitären u.a. Gründen) zu berücksichtigen ist. Auch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein ist deshalb überholt.