VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 17.10.2007 - Au 6 K 06.30034 - asyl.net: M11853
https://www.asyl.net/rsdb/M11853
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien, Kosovo, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Herzerkrankung, Lungenödem, Hypertonie, Diabetes mellitus, Finanzierbarkeit, Mitgabe von Medikamenten, Überbrückungsgeld
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die zulässig erhobene Klage ist begründet.

Im jetzigen Zeitpunkt liegen beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

Ausgehend von den nicht substantiiert bestrittenen Diagnosen der behandelnden Ärzte handelt es sich beim Kläger um einen schwer herz- und zuckerkranken Mann. Er hat sich im Oktober 2005 vierfache Bypass-Operation in Belgien unterzogen und leidet weiterhin an einer dekompensierten Herzinsuffizienz mit Lungenödem, Hypertonie und mittlerweile Diabetes Mellitus. Dabei ist er auf die regelmäßige Medikation mit Torasemid angewiesen, das nicht durch Furosemid ersetzt werden kann. Ausweislich der ärztlichen Atteste von Dr. K vom 26. Juli 2007 und 8. Oktober 2007 kann der Kläger "nur bei akuten Notfällen" auf das Medikament Furosemid vorübergehend umgestellt werden. Eine dauerhafte Umstellung ist ärztlich nicht vertretbar, "da ansonsten mit einer sofortigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu rechnen wäre." Ansonsten drohten durch die schlechtere Aufnahme im Körper Exazerbationen der Herzschwäche. Zwar ist im Kosovo anstelle von Torasemid als Ersatz Furosemid gängig und unter dem Namen Lasix verfügbar (vgl. die zum Gegenstand des Verfahrens gemachte Auskunft der deutschen Botschaft in Belgrad vom 9. Januar 2006, Gerichtsakte Bl. 98). Doch für eine dauerhafte Medikation des Klägers kommt es aus medizinischen Gründen nicht in Betracht (s.o.).

Das Medikament Torasemid hingegen ist im Kosovo nicht erhältlich (vgl. Auskunft des Verbindungsbüros der Bundesrepublik Deutschland vom 6. Juni 2007 im gegenständlichen Verfahren, Gerichtsakte Bl. 72: "Torasemid ist auch als vergleichbares Mittel nicht erhältlich."). Zwar lässt eine durch die Ausländerbehörde zugesicherte Finanzierung erforderlicher Medikamente für einen Übergangszeitraum nach der Rückkehr in das Heimatland ein Abschiebehindernis entfallen, wenn mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann, dass danach die erforderliche weitere Behandlung im Zielstaat dem Ausländer zur Verfügung steht (vgl. OVG Münster vom 22.1.2007, Az. 18 E 274/06, NVwZ 2007, S. 611 f.). Daran fehlt es jedoch beim Kläger aus mehreren Gründen. Zunächst liegt keine derartige Finanzierungszusage vor, obwohl der Kläger das Medikament im Kosovo aus eigenen Mitteln voraussichtlich nicht wird erlangen können (zur einzelfallbezogenen Prognose vgl. OVG Münster vom 22.1.2007, Az. 18 E 274/06, NVwZ 2007, S. 611). Zudem kommt aufgrund des dauerhaften Angewiesenseins des Klägers auf dieses Medikament eine Mitgabe des Medikaments lediglich für einen überschaubaren Zeitraum zur Ermöglichung einer Abschiebung nicht in Betracht. Dem Kläger müsste das Medikament dauerhaft zugänglich sein. Das ist jedoch weder tatsächlich mangels Verfügbarkeit – z.B. als Import in Apotheken – noch wirtschaftlich mangels eigenen Erwerbseinkommens des arbeitsunfähig erkrankten Klägers der Fall. Damit stünde dem Kläger die erforderliche weitere Behandlung im Zielstaat nicht zur Verfügung. Daraus ergibt sich, dass der Kläger dauerhaft auf ein Medikament angewiesen ist, das ihm im Kosovo nicht zugänglich ist. Eine Beendigung der Behandlung mit diesem Medikament kommt nicht in Betracht, weil sich dann der Gesundheitszustand des Klägers erheblich verschlechterte. Somit würde eine Abschiebung des Klägers in den Kosovo zu einer erheblichen, voraussichtlich sogar lebensbedrohlichen Verschlechterung seiner Gesundheit führen, so dass ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt.

Für ein Abschiebungshindernis spricht zusätzlich die fehlende stationäre Behandelbarkeit der Erkrankung des Klägers im Kosovo. Zwar hat das Auswärtige Amt darauf hingewiesen, die Erkrankung des Klägers könne im Kosovo behandelt werde. Insbesondere die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen seien bei spezialisierten Kardiologen und kardiologischen Abteilungen in den sechs Regionalkrankenhäusern sowie dem Universitätsklinikum in Pristina möglich (vgl. Auskunft des Verbindungsbüros der Bundesrepublik Deutschland vom 6. Juni 2007 im gegenständlichen Verfahren, Gerichtsakte Bl. 72). Dieser Auskunft widerspricht zunächst die Tatsache, dass die ihn behandelnden Ärzte im Kosovo dem Kläger gegenüber einräumten, seine Form der Herzerkrankung nicht behandeln zu können, und er schließlich in Belgien operiert werden musste. Darüber hinaus sprechen weitere, zum Gegenstand des Verfahrens gemachte Auskünfte gegen die Behandelbarkeit (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kosovo, Zur Lage der medizinischen Versorgung vom 7. Juni 2007 unter 4.2, Gerichtsakte Bl. 103: "Eine Reihe von schweren Krankheiten kann derzeit im Kosovo nicht mit Aussicht auf Erfolg behandelt werden ... alle Arten von Herzoperationen") oder Verfügbarkeit im Kosovo für den Kläger (Bundesrepublik Österreich, Bundesasylamt, Bericht zur Fact Finding Mission in den Kosovo vom 16. Juni 2006 unter 6., Gerichtsakte Bl. 105: "Die Ausstattung der kardiologischen Abteilung ist mangelhaft, auch wenn grundsätzlich alle nicht invasiven kardiologischen Behandlungen durchgeführt werden ... Jeder Patient muss für die Medikamentenkosten selbst aufkommen . . . Eine Bypassoperation würde zwischen 1.500 und 5.000 Euro kosten, welche privat bezahlt werden müsste ..."). Die Behandlungen und Medikamente sind – selbst wenn sie an sich verfügbar wären – für den Kläger nicht bezahlbar. Somit liegt auch unter diesem Gesichtspunkt beim Kläger ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG vor.