VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.10.2007 - 21 K 3831/07.A - asyl.net: M11839
https://www.asyl.net/rsdb/M11839
Leitsatz:

Das Bundesamt muss vor Erlass einer Abschiebungsanordnung im Dublin-Verfahren prüfen, ob inlandsbezogene Abschiebungshindernisse vorliegen.

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Verordnung Dublin II, Abschiebungsanordnung, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, Prüfungskompetenz, Bundesamt, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Krankheit, Zulässigkeit, Drittstaatenregelung, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: AsylVfG § 27a; EG VO Nr. 343/2003 Art. 16 Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; VwGO § 166; ZPO § 114
Auszüge:

Das Bundesamt muss vor Erlass einer Abschiebungsanordnung im Dublin-Verfahren prüfen, ob inlandsbezogene Abschiebungshindernisse vorliegen.

(Leitsatz der Redaktion)

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ff. ZPO).

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) vom 8. Mai 2007, in dem das Bundesamt festgestellt hat, dass der Klägern in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zusteht, und die Abschiebung der Kläger nach Italien angeordnet hat, dürfte sich - jedenfalls nach Ablauf der Überstellungsfrist von sechs Monaten - als rechtswidrig erweisen und die Kläger dadurch in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Die Kläger dürften (nunmehr) einen Anspruch darauf haben, dass die Beklagte den angefochtenen Bescheid aufhebt und ein Asylanerkennungsverfahren durchführt.

Zwar ist - wie das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid entschieden hat - nach § 27a AsylVfG - in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I, S. 1970) - ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzungen dürften vorliegend erfüllt gewesen sein, weil Italien nach Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - ABl. EG Nr. 50/1 vom 25. Februar 2003; sog. Dubin II-Verordnung - für das Asylverfahren der Kläger zuständig gewesen ist und schriftlich sein Einverständnis zur Überstellung der Kläger nach Art. 19 der Verordnung erklärt hat. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Italien dürfte aber hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt haben. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder - wie hier - in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben worden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat (§ 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Einer vorherigen Androhung oder Fristsetzung bedarf es nach § 34 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht.

Dabei dürfte allerdings davon auszugehen sein, dass das Bundesamt im - hier vorliegenden - Fall des Erlasses einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG für die Prüfung (auch) von sogenannten inlandsbezogenen Abschiebungeverboten bzw. Duldungsgründen zuständig ist. Insofern dürfte sich die Prüfungs- und Entscheidungskompetenz des Bundesamtes von der bei Erlass der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG unterscheiden, bei der vom Bundesamt nur sogenannte zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote zu berücksichtigen sind (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. November 1997 - 9 C 13/96 -, BVerwGE 105, 323; Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58/96 -, BVerwGE 105, 383).

Denn die Abschiebungsanordnung in einen sicheren Drittstaat oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat soll vom Bundesamt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (nur) erlassen werden, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dabei dürfte das Bundesamt in erster Linie die Übernahmebereitschaft des Drittstaates und insbesondere die Frage zu prüfen haben, ob eine Rückführung in Zeit auch möglich sein wird. Die Zulässigkeit des Erlasses einer Abschiebungsanordnung dürfte aber auch davon abhängen, ob die Abschiebung in den Drittstaat aus subjektiven, in der Person des Ausländers liegenden Gründen - auch nur vorübergehend - rechtlich oder tatsächlich möglich ist. Das Bundesamt dürfte im Rahmen des Erlasses einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG zur Berücksichtigung von (auch inlandsbezogenen) Abschiebungsverboten und Duldungsgründen verpflichtet und insoweit zuständig sein (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04 -; VG Würzburg, Urteil vom 28. Juli 2007 - W 5 K 07.30121 -,VG Oldenburg, Urteil vom 28. September 2005 - 11 A 3134/04 -; VG Freiburg, Beschluss vom 30. Oktober 2006 - A 3 K 710106; jeweils juris).

Es kann dabei dahinstehen, welche Gründe im Einzelnen den Verzicht auf den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG rechtfertigen können. Denn vorliegend wurde für den Kläger zu 1. nach ärztlichem Attest von Seiten des Amtsarztes eine Reiseunfähigkeit festgestellt, die auch einer Abschiebung nach Italien entgegenstand. Das Bundesamt hat daraufhin (zunächst) von einer Abschiebung des Klägers und seiner Familie abgesehen (vgl. auch VG Aachen, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - 8 L 247/06.A -).