OLG Karlsruhe

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Zitieren als:
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.06.2007 - 11 Wx 77/07 - asyl.net: M11807
https://www.asyl.net/rsdb/M11807
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Haftdauer, Verhältnismäßigkeit, Beschleunigungsgebot, Strafhaft, Rechtskraft, Rechtskraftwirkung, Sachaufklärungspflicht
Normen: AufenthG § 62; FGG § 12
Auszüge:

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die amtsgerichtliche Haftanordnung mit der Begründung aufgehoben, die Fortsetzung der Haft verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil die Abschiebung nicht mit der erforderlichen Beschleunigung betrieben worden sei. Dies hält der in der Instanz der weiteren Beschwerde allein möglichen rechtlichen Überprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG) stand.

1. Der rechtliche Ausgangspunkt der landgerichtlichen Entscheidung ist zutreffend. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, der die Rechtsprechung des Senats entspricht, erfordert das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit, dass die Ausländerbehörde alles ihr Mögliche unternimmt, um entweder die Abschiebungshaft zu vermeiden oder diese doch auf einen möglichst kurzen Zeitraum zu beschränken. Die Ausländerbehörde ist deshalb insbesondere verpflichtet, ohne Aufschub und Beschleunigung alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um für den Betroffenen die zur Ausreise erforderlichen Ersatzpapiere zu beschaffen. Die Haft ist auf den Zeitraum zu begrenzen, der unbedingt erforderlich ist, um die Abschiebung vorzubereiten und durchzuführen (Senat, Beschluss vom 11.05.1998, InfAuslR 1998, 463; vom 09.11.1999, InfAuslR 2000, 234; vom 03.02.2000, InfAuslR 2000, 235; OLG Düsseldorf AuAS 1996, 258; OLG München FGPrax 2005, 276). Besondere Bedeutung erfährt dieser Grundsatz, wenn sich der Betroffene in Strafhaft befindet. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbietet es, die Verbüßung der Strafhaft abzuwarten und den Betroffenen im Anschluss daran - wenn auch nur kurzzeitig - in Abschiebungshaft zu nehmen, um die Abschiebung zu sichern. Abschiebungshaft kann in einem solchen Fall nur dann angeordnet werden, wenn sich die Ausländerbehörde zuvor vergeblich darum bemüht hat, gem. § 456a StPO eine Abschiebung aus der Strafhaft heraus zu erreichen und so eine zusätzliche Inhaftierung zu vermeiden (Senatsbeschluss vom 11.05.1998, InfAuslR 1998, 463; OLG Düsseldorf a.a.O.).

2. Die angefochtene Entscheidung hat diese Grundsätze rechtsfehlerfrei angewendet.

a) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin durfte das Landgericht die Vorgänge während der Strafhaft des Betroffenen in seine Wertung einbeziehen, obwohl der Betroffene gegen die Entscheidung des Landgerichts Tübingen, welches die erste Anordnung von Abschiebungshaft gebilligt hat, kein Rechtsmittel eingelegt hat und diese Entscheidung in ihren Gründen ausführt, die - auch von ihr festgestellten vorwerfbaren Verzögerungen - hätten sich letztlich nicht zum Nachteil der Betroffenen ausgewirkt. Dabei kann offen bleiben, inwieweit Entscheidungen der Haftgerichte in Abschiebungshaftsachen der materiellen Rechtskraft fähig sind. Der Rechtskraft fähig ist allenfalls die Entscheidung des Landgerichts Tübingen, dass der Betroffene bis längstens 09.04.2007 in Abschiebungshaft genommen werden kann. Die Gründe dieser Entscheidung nehmen jedenfalls an der Rechtskraft nicht teil. Die angefochtene Entscheidung durfte daher berücksichtigen, dass die Abschiebung des Betroffenen während seiner fünfmonatigen Strafhaft nicht hinreichend vorbereitet worden war. Dabei kann es die Beteiligte zu 2 nicht entlasten, dass sie von der Strafvollzugsbehörde verspätet über die vorzeitige Entlassung des Betroffenen unterrichtet worden ist. Denn Verzögerungen in der Zusammenarbeit von Behörden dürfen im Allgemeinen nicht zu Lasten des inhaftierten Ausländers gehen (vgl. OLG München, Beschluss vom 23.08.2006 - 34 Wx 71/06).