LSG Niedersachsen-Bremen

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Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.06.2007 - L 11 AY 80/06 - asyl.net: M11799
https://www.asyl.net/rsdb/M11799
Leitsatz:

Das Einkommen von volljährigen Kindern wird nicht gem. § 7 Abs. 1 AsylbLG angerechnet.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Anrechnung, Einkommen, Familienangehörige, Volljährigkeit, Kinder
Normen: AsylbLG § 7 Abs. 1
Auszüge:

Das Einkommen von volljährigen Kindern wird nicht gem. § 7 Abs. 1 AsylbLG angerechnet.

(Leitsatz der Redaktion)

In den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte zu Unrecht Einkommensanteile der volljährigen Söhne des Klägers angerechnet.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG sind Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden kann, von dem Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen, die im selben Haushalt leben, vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen. Diese Regelung gilt nur für einen Leistungsbezug nach §§ 3 ff. AsylbLG, jedoch nicht für einen Leistungsbezug nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, da in diesem Fall abweichend von §§ 3 bis 7 AsylbLG das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGBXII) entsprechend anzuwenden sind.

Die Bedeutung des Begriffs "Familienangehörige" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ist umstritten. Der engen Auffassung zufolge sind hiervon nur der Ehegatte und die minderjährigen Kinder der Leistungsberechtigten erfasst; während nach dem weiten Verständnis des Begriffes - über den Ehegatten und die minderjährigen Kinder hinaus - alle Verwandten und Verschwägerten der Leistungsberechtigten gleich welchen Grades erfasst sein sollen (vgl. zum Streitstand: Hohm in GK-AsylbLG § 7 Rn. 49 ff mwN).

Der Senat schließt sich der engen Auffassung des Begriffs der Familienangehörigen an (vgl. auch Hohm in GK-AsylbLG § 7 Rn. 50 mwN).

Der Begriff des Familienangehörigen ist in § 7 AsylbLG weder definiert noch näher bestimmt. Eine sprachliche Differenzierung enthält lediglich § 1a AsylbLG, der den Verweis auf den Begriff des "Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6" enthält. In § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG sind nur "Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder" genannt. Dem Wortlaut des AsylbLG lässt sich nicht entnehmen, ob der Gesetzgeber den Begriff der Familienangehörigen in § 7 AsylbLG im Sinne der "Kernfamilie" von § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG geregelt hat oder ob auch sonstige Familienangehörige - z.B. Onkel und Tanten oder auch volljährige Kinder - von dem in § 7 AsylbLG verwandten Begriff der Familienangehörigen erfasst werden. Der Vergleich beider Vorschriften unter systematischen Gesichtspunkten ist für eine eindeutige Begriffsbestimmung unergiebig, weil beide Vorschriften nicht vergleichbare Regelungsinhalte aufweisen.

Für die enge Auffassung des Begriffes ist vielmehr maßgeblich auf die Entstehungsgeschichte des AsylblG abzustellen. Das seit dem 1. November 1993 in Kraft getretene AsylbLG wurde aus dem BSHG (Nachfolgeregelung seit dem 1. Januar 2005 das SGB XII) entwickelt. Zuvor waren die Leistungsansprüche von Ausländern in § 120 BSHG (vgl. BSHG in der Neufassung vom 10. Januar 1991, BGBl I. S. 94, 113 f.) geregelt, so dass auch der dem BSHG zugrunde liegende Familienbegriff maßgebend war. § 120 BSHG war seit 1982 in seinen Grundzügen unverändert geblieben (vgl. auch BT-Drucksache 12/3686 (neu) Begründung allgemeiner Teil). § 11 Abs. 1 BSHG in der bis zum 31. Oktober 1993 geltenden Fassung (vgl. BGBl. I. 1991, S. 94, 97) ging von einer Bedarfsgemeinschaft allein zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern aus. In § 120 BSHG a.F. gab es insofern keine Sonderregelung; vielmehr erhielt auch der Personenkreis der Ausländer gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 BSHG "Hilfe zum Lebensunterhalt" nach §§ 11 ff. BSHG. Der Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG wurde aus dem Anwendungsbereich des § 120 BSHG herausgenommen und es wurde eine Leistungsart eigener Art geschaffen. Das bedarfsorientierte Grundsystem wurde jedoch übernommen, wie auch die vielfachen Verweisungen früher auf das BSHG, jetzt auf das SGB XII zeigen. Ziel des AsylbLG war eine Neuregelung der "Sozialhilfeleistungen" für Ausländer, wobei das Leistungsniveau für bestimmte Ausländergruppen um ca. 25 % der Sozialhilfesätze abgesenkt wurde (vgl. BT-Drucksache 12/3686 (neu) und 12/4451, vgl. auch Hohm in GK AsylbLG, II, Rn. 18 S. 22).

Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich aber nicht der Wille des Gesetzgebers herleiten, vom bisherigen sozialhilferechtlichen System der Bedarfsgemeinschaft abzuweichen.

Im Übrigen hat der Gesetzgeber - wozu er im Rahmen der mehrfachen Änderungen des AsylbLG hinreichend Gelegenheit gehabt hätte - nicht durch die Formulierung in § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG oder durch tragfähige Ausführungen in den Gesetzesbegründungen hinreichend deutlich gemacht, dass er im Gegensatz zu den sozialhilferechtlichen Regelungen von einem weiten Begriff des Familienangehörigen in § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG im Rahmen der Bedarfs- bzw. Einstandsgemeinschaft ausgehen wollte.

Wenn der Gesetzgeber den Kreis der zu berücksichtigenden Familienangehörigen in dieser Vorschrift mithin weder festgelegt noch näher bestimmt hat, so ist es auch mit Rücksicht auf den Bestimmtheitsgrundsatz geboten, die hier getroffene Eingrenzung des Personenkreises vorzunehmen. Das in § 7 Abs 1 Satz 1 AsylbLG enthaltende Regelungskonzept beruht auf einer weitgehend ungeschützten Anrechnung von Einkommen und Vermögen (vgl. in diese Richtung auch Nds. Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Mai 1999, 4 L 2032/99 Rn 25 in juris). Nach diesem Regelungskonzept kann der Kläger nicht mit dem Einwand gehört werden, dass dem volljährigen Sohn der Unterhalt des Vaters angesichts des geringen Ausbildungsgehaltes nicht zuzumuten ist. Schutzvorschriften wie im Bereich der Sozialhilfe (z.B. § 36 SGB XII) existieren im AsylblG nicht. Die Eingrenzung auf die "Kernfamilie" ist sachgerecht, weil mit dem Eintritt der Volljährigkeit das Kind grundsätzlich für sich selbst sorgen muss (§ 1602 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Auch das BVerfG differenziert zwischen dem Zusammenleben von Eltern mit minderjährigen Kindern als sog. Lebens- und Erziehungsgemeinschaft einerseits und dem durch zunehmende Selbständigkeit geprägtem Zusammenleben von Eltern mit volljährigen Kindern als sog. Haus- oder Beistandsgemeinschaft andererseits (vgl. BVerfGE 80, 81, 90).

Die Begrenzung des Personenkreises der Familienangehörigen auf die "Kernfamilie" widerspricht auch nicht dem in der Vorschrift zum Ausdruck kommenden Zweck der Nachrangigkeit von Leistungen nach dem AsylblG. Es werden auch dann nur Leistungen gewährt, wenn der Leistungsberechtigte durch den vorrangigen Einsatz von verfügbarem Einkommen und Vermögen nicht mehr zur Selbsthilfe imstande ist, und zwar auch im Verhältnis zum Ehegatten und den minderjährigen Kindern.

Die hier erfolgte Auslegung der Norm widerspricht schließlich auch nicht dem mit dem AsylblG verfolgten Zweck, etwa den Anreiz zur Einreise von Ausländern aus wirtschaftlichen Gründen zu verringern, ein eigenes Konzept zur Sicherung des Lebensbedarfs zu entwickeln und Regelungen über die Gewährung von Leistungen abweichend vom Recht der Sozialhilfe zu treffen (vgl hierzu BVerfG vom 11. Juli 2006 a.a.O. Rn 39, 41). Auch so wird verhindert, dass der Leistungsempfänger über eigene Geldmittel verfügt, mit Hilfe derer er seinen Verbleib in der Bundesrepublik verfestigen kann. Die deutlich unter das Sozialhilfeniveau abgesenkten Leistungen, der Vorrang von Sachleistungen, die weitgehend ungeschützte Anrechnung von Einkommen und Vermögen nach dem AsylblG unterscheiden sich auch dann noch erheblich von den Regelungen des Sozialhilferechts.