VG Sigmaringen

Merkliste
Zitieren als:
VG Sigmaringen, Beschluss vom 10.10.2007 - 9 K 1516/07 - asyl.net: M11791
https://www.asyl.net/rsdb/M11791
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, beabsichtigte Eheschließung, Schutz von Ehe und Familie, Ehefähigkeitszeugnis, Befreiung, Ausweis, Pass, Ausländerbehörde, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; VwGO § 123
Auszüge:

Der Antrag ist auch begründet. Die Antragsteller haben sowohl das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dies ergibt sich der Absicht der Eheschließung, die - soweit ersichtlich - unmittelbar bevorsteht.

Unter gewissen Voraussetzungen kann in Fällen einer beabsichtigten und unmittelbar bevorstehenden Eheschließung eines Ausländers mit einem deutschen Staatsangehörigen von einer zeitweisen Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen zum Zwecke des Schutzes der Eheschließungsfreiheit eines Ausländers und seiner deutschen Verlobten ausgegangen werden. Insoweit führt der VGH Baden- Württemberg in seinem Beschluss vom 13.11.2001 - 11 S 1848/01 - folgendes aus:

"Die Aussetzung einer - grundsätzlich rechtlich zwingend gebotenen - Abschiebung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers (vgl. § 49 Abs. 1 AuslG) wegen einer beabsichtigten Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen im Bundesgebiet kommt aus Rechtsgründen jedoch nicht allein wegen des Verlöbnisses und auch dann nicht in Betracht, wenn die Eheschließung völlig ungewiss ist. Diese Ungewissheit kann sowohl wegen fehlender formeller (s. dazu insbesondere die §§ 4 ff PStG; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.1.2001 - 11 S 2717/00 -) und/oder materieller Voraussetzungen für die Eheschließung bestehen als auch wegen nicht absehbarer zeitlicher Dauer des Eheschließungsverfahrens, wenn der Standesbeamte aus Gründen, die in den Zurechnungsbereich der Verlobten fallen (vgl. dazu auch SächsOVG, Beschluss vom 20.12.1995, SächsVBl. 1996, 119), einen Termin zur Eheschließung nicht festsetzen kann. Dementsprechend ist anerkannt, dass im Hinblick auf eine beabsichtigte Eheschließung nur dann ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Duldung wegen zeitweiser Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen (§ 55 Abs. 2 AuslG) bestehen kann, wenn im konkreten Einzelfall die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht (vgl. dazu u.a. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 18.12.1997 - A 14 S 3451/97 - und vom 24.1.2001 - 11 S 2717/00 -; SächsOVG, Beschluss vom 20.12.1995, SächsVBl. 1996, 119; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 17.8.1999, NVwZ-RR 2000, 641; VG München, Beschluss vom 11.3.1996, InfAuslR 1996, 178; auch Nr. 55.2.3 AuslG-VwV). Insoweit gibt es keine allgemein gültige, feste zeitliche Grenze - etwa sechs bis acht Wochen -; vielmehr ist jeweils unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände im Einzelfall zu entscheiden, ob eine Eheschließung ernsthaft beabsichtigt ist und unmittelbar bevorsteht. Dabei ist in erster Linie der grundrechtliche Schutz der Eheschließungsfreiheit zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG als wesentlichen Bestandteil das Recht oder die Freiheit, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen; insbesondere soll durch Art. 6 Abs. 1 GG auch der ungehinderte Zugang zur Ehe garantiert und die Eheschließung nicht gefährdet werden. Das Recht der Eheschließungsfreiheit, das weder durch einen Gesetzesvorbehalt noch auf andere Weise beschränkt ist, sowie das daraus erwachsende Recht zur Abwehr staatlicher Behinderungen gelten sowohl für Deutsche wie für Ausländer (vgl. insbesondere BVerfG, Beschlüsse vom 7.10.1970, BVerfGE 29, 166, 175 ff, vom 4.5.1971, BVerfGE 31, 58, 67 ff, und vom 14.11.1973, BVerfGE 36, 146, 161 ff). Diese grundrechtliche Schutzpflicht des Staates aus Art. 6 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Gewährleistung der Eheschließungsfreiheit ist jedoch im Zusammenhang mit der - ebenfalls auf Art. 6 Abs. 1 GG beruhenden - Pflicht zu sehen, eine bereits geschlossene, bestehende Ehe und Familie eines Ausländers mit einem Deutschen bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu berücksichtigen, wie dies regelmäßig durch eine Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Beendigung des Aufenthalts mit den entgegenstehenden privaten Belangen des Ausländers und seines Ehepartners nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen muss (...). Dabei sind jedoch auch die Unterschiede zu berücksichtigen, die sich daraus ergeben, dass eine im Bundesgebiet gelebte eheliche und familiäre Gemeinschaft grundsätzlich auf unbestimmte Dauer angelegt ist, die beabsichtigte Eheschließung aber als zeitlich bestimmbarer Vorgang zunächst lediglich die Grundlage einer danach erst beginnenden ehelichen Lebensgemeinschaft bildet. Diesem Unterschied ist besonders im Hinblick auf einen erstrebten vorläufigen Rechtsschutz in dem - durch den gesetzlichen Sofortvollzug geprägten - Vollstreckungsverfahren der Abschiebung Rechnung zu tragen.

Unter Beachtung dieser rechtlichen Anforderungen ergibt sich für die Beantwortung der Frage, ob eine Eheschließung unmittelbar bevorsteht und deshalb ein Rechtsanspruch auf Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG bestehen kann, dass nach den Umständen des Einzelfalls außer den zeitlichen Anforderungen an eine hinreichende Bestimmbarkeit eines Termins zur Eheschließung besonders die formellen und materiellen Voraussetzungen für die beabsichtigte Eheschließung vorliegen müssen, deren Erfüllung in die Sphäre der Verlobten fällt. Es bedarf im vorliegenden Verfahren keiner abschließenden Beurteilung, ob eine Eheschließung immer dann schon unmittelbar bevorsteht, wenn - wie dies beim Antragsteller zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts der Fall war - das erforderliche Ehefähigkeitszeugnis für den Ausländer vorliegt oder - was ersichtlich in gleicher Weise ausreichend sein soll - dem zuständigen Standesamt sämtliche für die Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses erforderlichen Unterlagen vorliegen (so die Regelung in Nr. 18.0.1 AuslG-VwV, auf die in Nr. 55.2.3 AuslG-VwV ausdrücklich verwiesen wird)."

An dieser Rechtslage hat sich infolge des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes nichts geändert; auch § 60a Abs. 2 AufenthaltsG sieht - jedenfalls - die Aussetzung der Abschiebung vor, solange die Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich ist.

Die nach der zitierten Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen für eine zeitweilige Aussetzung der Abschiebung liegen vor.

Die Antragsteller haben gegenüber dem Standesamt auch alle Erklärungen und Unterlagen vorgelegt, soweit ihnen dies bisher möglich war und in ihrer Macht gestanden hatte. Zwar fehlt noch die Vorlage eines Ausweispapieres zur Einholung der Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisse, die vom Oberlandesgericht Stuttgart ausgesprochen werden muss, doch verfügt der Antragsteller zu 1 derzeit selbst nicht über ein solches Papier. Auf einen von den Antragstellern gerichtlich gestellten Antrag wurde jedoch der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom heutigen Tage (VG Sigmaringen - 9 K 1389/07 -) verpflichtet, dem Standesamt eine Kopie des beim Antragsgegner befindlichen Ersatzpapieres zu übersenden. Da mit einer Entscheidung des Oberlandesgerichts - nach Auskunft der zuständigen Standesbeamtin gegenüber dem Gericht - innerhalb von vier bis sechs Wochen nach Übersendung der Unterlagen zu rechnen ist und nach Aktenlage auch nichts erkennbar ist, was gegen die Erteilung der genannten Befreiung sprechen könnte, ist von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung i.S.d. zitierten Rechtsprechung auszugehen.