VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 05.07.2007 - AN 16 K 03.30309 - asyl.net: M11767
https://www.asyl.net/rsdb/M11767
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, PKK, Verdacht der Unterstützung, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, exilpolitische Betätigung, Mesopotamisches Kulturzentrum, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Retraumatisierung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.

I. Soweit im Bescheid des Bundesamtes vom 24. Februar 2003 in Ziffer 2 das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG verneint wurde, ist die Klage begründet.

Allein wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit geschieht den Klägern nichts (siehe Lagebericht vom 11.1.2007 Seite 18). Dies gilt auch für den Fall einer Abschiebung. In diesem Fall werden die Abgeschobenen nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zweck einer Befragung festgehalten werden. Schwierigkeiten für Abgeschobene können aber eintreten, wenn Befragung oder Durchsuchung des Gepäcks bei den Grenzbehörden oder Recherchen bei den Heimatbehörden den Verdacht der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung der PKK oder anderer illegaler Organisationen begründen.

Diese Voraussetzungen liegen bei den Klägern vor, weil sie sich in der Bundesrepublik Deutschland hervorgehoben konkret für die kurdische Sache eingesetzt haben. Aus diesem Grund drohen ihnen bei einer Abschiebung in die Türkei wegen ihrer politischen Überzeugung Gefahren für ihr Leben und ihre Freiheit.

Nach gefestigter Rechtsprechung und insoweit übereinstimmender Auskunftslage ist eine Verfolgungsgefahr kurdischer Volkszugehöriger aus der Türkei nur im Falle hervorgehobener exilpolitischer Tätigkeit gegeben. Bei exilpolitischen Aktivitäten niedrigeren Profils ist die Gefahr politischer Verfolgung dagegen nicht beachtlich wahrscheinlich. Lediglich in seltenen Ausnahmefällen kann es unter ganz besonderen Umständen auch bei niedrig profilierten exilpolitischen Tätigkeiten nach der Rückkehr zu asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen kommen. Diese Situation ist im Falle der Kläger gegeben. Zutreffend ist, dass politische Aktivitäten kurdischer Asylbewerber in Deutschland auch heute noch von den türkischen Sicherheitskräften überwacht werden. Der Kläger zu 1) ist auf den Zeitungsfotos vom ... 2002 an einem Informationsstand sehr deutlich zu erkennen. Bei der anderen Veranstaltung ist er ebenfalls zu erkennen, auch wenn er ein Tuch vor dem Mund getragen hat. Weitere größere Aktivitäten hat er weder vorgetragen noch belegt. Die Klägerin zu 2) ist in den Vorstand des Mesopotamischen Kulturzentrum gewählt worden, worüber in der Zeitung berichtet worden ist, somit auch den türkischen Sicherheitskräften bekannt sein dürfte. Dass sie inzwischen aus Krankheitsgründen aus dem Vorstand ausgeschieden ist, ändert daran nichts. Weit maßgeblicher ist jedoch, dass sie im Mesopotamischen Kulturzentrum bei der von ... aufgezeichneten und ausgestrahlten Sendung unter Namensnennung mit einem Redebeitrag aufgetreten ist, in dem sie sich über die Unterdrückung in der Türkei beschwert und ausdrücklich zu Öcalan bekannt hat. Dass über diese Veranstaltung im Juni 2002 im Mesopotamischen Kulturzentrum in ... in der kurdisch-nahen Presse in der Türkei berichtet worden ist, wird selbst im Gutachten des Auswärtigen Amtes vom 29. November 2006 bestätigt. Somit muss davon ausgegangen werden, dass die einschlägigen Aktivitäten der Klägerin zu 2) den türkischen Sicherheitsbehörden mit Sicherheit bekannt geworden sind. Dass prokurdische Zeitungen und Fernsehsender ohnehin von türkischen Sicherheitskräften beobachtet werden, ist allgemein bekannt. Dass in der Türkei fortlaufend Ermittlungsverfahren gegen Personen eingeleitet wurden und werden, die sich in Beiträgen auf Sendern wie ... oder ... geäußert haben und es in vielen dieser Fälle zu Anklageerhebungen und Verurteilungen kommt, wird im Gutachten von amnesty international vom 29. Oktober 2006 unter Anführung einer Vielzahl von Beispielsfällen nachhaltig belegt. Daraus ergibt sich auch, dass diese Sender von der türkischen Regierung und Justiz als Sprachrohr der PKK angesehen werden. Derartige öffentlichkeitswirksame Auftritte werden als Unterstützung der PKK gewertet und nach wie vor strafrechtlich nachhaltig verfolgt. Entgegen der zuvor erfolgten Liberalisierung wurden durch die am 18. Juli 2006 in Kraft getretene Verschärfung des Anti-Terror-Gesetzes, insbesondere durch die Wiedereinführung des abgeschafften Artikel 8 Anti-Terror-Gesetz die Möglichkeiten wieder erweitert, gegen mutmaßliche oder tatsächliche PKK-Anhänger bzw. -Unterstützer vorzugehen.

Unter diesen Umständen muss zur Überzeugung des Gerichtes vor allem die Klägerin zu 2) bei einer Rückkehr in die Türkei damit rechnen, schon nach der Landung auf dem Flughafen von der Polizei festgenommen zu werden. Gleiches gilt aber auch für den Kläger zu 1), dessen politische Aktivitäten den türkischen Sicherheitsbehörden bekannt geworden sind und der durch den Auftritt seiner Ehefrau noch weiter in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden gerückt ist. Beiden drohen mit großer Wahrscheinlichkeit nachhaltige Befragungen mit der sehr großen Gefahr zumindest strafrechtliche Verfolgung, die alleine an politische Überzeugungen anknüpft und eine politische Verfolgung darstellt.

II. Hinsichtlich der Klägerin zu 2) liegen auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Sie leidet, wie sich aus dem vorgelegten nervenärztlichen Attest vom 3. Juli 2007 und dem ärztlichen Attest vom 25. Juni 2007 zweifelsfrei ergibt, an einem schweren chronifizierten, depressiven Syndrom mit schwerer Angst- und Panikstörung, sowie an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit bestehender Suizidalität, zurückzuführen auf ihre Erlebnisse in der Türkei. Unabhängig von der Frage, ob dieses Krankheitsbild in der Türkei überhaupt hinreichend behandelbar wäre, muss davon ausgegangen werden, dass bei einer Rückkehr eine Retraumatisierung mit massivsten Folgen für die Klägerin zu 2) eintreten würde, die für sie eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben darstellt.