OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.09.2001 - 11 A 1360/01.A - asyl.net: M1169
https://www.asyl.net/rsdb/M1169
Leitsatz:

Regelmäßig keine Verfolgungsgefahr; keine extreme allgemeine Gefährdungslage in Sierra Leone.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Sierra Leone, Politische Entwicklung, Bürgerkrieg, Friedensabkommen, Waffenstillstand, UNAMSIL, Friedenstruppen, Entwaffnung, RUF, Amnestie, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, Medizinische Versorgung, UNHCR, Hilfsorganisationen, Flüchtlingslager, Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Für Staatsangehörige Sierra Leones besteht bei einer Rückkehr in ihr Heimatland regelmäßig nicht die Gefahr einer politischen Verfolgung oder eine Lage, in der ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen bestünde. Dies gilt auch für solche Ausländer, die etwa Mitglieder der "Revolutionary United Front" (RUF) sind oder waren.

Bei dieser Beurteilung ist von der veränderten innen- und außenpolitischen Situation Sierra Leones auszugehen. Der Bürgerkrieg, der seit 1991 geherrscht hat und bei dem sich maßgeblich Truppen der Regierung und ihr nahe stehende Milizen (u.a. sog. Kamajores-Kämpfer und Civil Defense Forces <CDF>) einerseits sowie die RUF-Rebellen andererseits gegenüber standen, ist beendet. Der im Juli 1999 in Lome geschlossene Friedensvertrag wurde zwar von keiner der Parteien eingehalten. Demgegenüber wird der im November 2000 in Abuja vereinbarte Waffenstillstand trotz anfänglich noch vorgekommener Gefechte respektiert.

Die Prognose, dass der in Sierra Leone eingeleitete Friedensprozess erfolgreich sein wird, ist gerechtfertigt.

In Sierra Leone besteht auch nicht landesweit eine derart extreme allgemeine Gefahrenlage, die jeden sierra leonischen Staatsangehörigen bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde.

Der Senat verkennt ebensowenig wie das Verwaltungsgericht, dass die Lebensumstände in Sierra Leone zur Zeit schwierig sind. Die Folgen der Bürgerkrieges sind für Sierra Leone und die dort lebende Bevölkerung eine erhebliche Belastung. Nach Schätzungen sind zwischen 30.000 und 45.000 Menschen im Krieg umgekommen, eine Vielzahl wurde verletzt oder verstümmelt und musste aus ihren angestammten Siedlungsgebieten fliehen. Bei der hier vorzunehmenden aktuellen Gesamtbeurteilung kann jedoch nicht übersehen werden, dass von den über 4,5 Millionen Einwohnern nur rund ein Viertel bis ein Drittel der Gesamtbevölkerung durch die Kriegsgeschehnisse vertrieben worden ist, sei es als sog. Binnenflüchtlinge (Intern displaced persons - IDP s -), sei es ins benachbarte oder weiter gelegene Ausland.

Mit dem Verwaltungsgericht ist die wirtschaftliche Situation Sierra Leones und die humanitäre Lage der dort lebenden Menschen trotz der mittlerweile herrschenden Waffenruhe nach wie vor als nicht zufriedenstellend zu bewerten. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser ist mancherorts nicht ausreichend, auch ist die medizinische Versorgung wegen der vielfach zerstörten Infrastruktur nicht stets und überall möglich.

Auf der anderen Seite darf nicht verkannt werden, dass in Sierra Leone viele internationale Hilfeträger, wie etwa der UNHCR, das World Food Programm, die World Health Organisation oder das Rote Kreuz, ebenso tätig sind wie eine große Zahl sog. Nichtregierungsorganisationen (Non governmental organisations - NGO s -). Diese Hilfsorganisationen kümmern sich um die Nahrungsmitteln und Frischwasser. Sie gewährleisten auch eine Erstversorgung mit medizinischen Diensten, die auch Impfungen einschließt.

Vor diesem Hintergrund können frühere negative Einschätzungen und Prognosen - etwa der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 21. Mai 2001, Position zu Sierra Leone, Asylmagazin 2001, 39 - nicht mehr geteilt werden.

Gegen die Annahme, ein sierra leonischer Staatsangehöriger müsse bei einer Rückkehr in sein Heimatland den sicheren Tod oder schwerste Verletzungen befürchten, spricht zudem die Tatsache, dass viele Staatsangehörige Sierra Leones, die vor dem Krieg in das benachbarte Guinea geflohen sind, bereits zurückgekehrt sind.

Auch Binnenflüchtlinge kehren in ihre angestammten Gebiete zurück. Organisiert und betreut werden die Rückkehrbewegungen durch die sierra leonische National Commission for Migration (IOM), die in Pressemitteilungen ständig über ihre erfolgreichen Aktivitäten berichtet (IOM, Press Briefing Notes vom 24. April 2001, vom 1. Mai 2001 und vom 8. Mai 2001).

Neben bereits bestehenden Flüchtlings-, Auffang- bzw. Transitlagern werden je nach Erfordernis neue Camps eröffnet. Allein der UNHCR betreut über 56.000 Flüchtlinge, die seit September 2000 aus Guinea zurückgekehrt sind (UNHCR, Press Briefing Note vom 10. August 2001).