BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 08.08.2007 - 10 B 74.07 - asyl.net: M11660
https://www.asyl.net/rsdb/M11660
Leitsatz:
Schlagwörter: Revisionsverfahren, Verfahrensrecht, rechtliches Gehör, mündliche Verhandlung, Berufungsverfahren, Verzicht, Beschluss, Dolmetscher, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Anhörung
Normen: VwGO § 130a; VwGO § 55; GVG § 185 Abs. 1; EMRK Art. 6 Abs. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
Auszüge:

Die allein auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde beanstandet, dass das Berufungsgericht der Berufung des Beklagten im vereinfachten Beschlussverfahren nach § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung stattgegeben habe, obwohl die Klägerin diesem Vorgehen widersprochen habe.

Mit diesem und dem weiteren Vorbringen der Beschwerde ist ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), nicht aufgezeigt.

Gemäß § 130a VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ob das Gericht den ihm nach § 130a VwGO eröffneten Weg der Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist (stRspr, etwa Beschluss vom 3. Februar 1999 - BVerwG 4 B 4.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 33). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass ein solcher Ermessensfehler hier vorliegt.

Es trifft zwar zu, dass der Gesetzgeber dem Rechtsschutzsuchenden jedenfalls einen mit einer mündlichen Verhandlung verbundenen Rechtszug gewährleisten wollte und das Berufungsgericht deshalb nicht im Wege des Beschlussverfahrens nach § 130a VwGO entscheiden darf, wenn das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft gänzlich ohne mündliche Verhandlung oder ohne Beteiligung des nicht ordnungsgemäß geladenen Klägers an der mündlichen Verhandlung entschieden hat (vgl. Beschluss vom 8. April 1998 - BVerwG 8 B 218.97 - Buchholz 340 § 15 VwZG Nr. 4 m.w.N.; ferner auch Urteil vom 14. März 2002 - BVerwG 1 C 15.01 - BVerwGE 116, 123 = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 58 m.w.N.). Ein solcher gravierender Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens liegt hier jedoch schon nach dem eigenen Vorbringen der Beschwerde nicht vor. Denn vor dem Verwaltungsgericht hat eine Verhandlung im Beisein der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten stattgefunden. Der Umstand, dass entgegen § 55 VwGO i. V. m. § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG bei dieser Verhandlung ein Dolmetscher für die Muttersprache der Klägerin nicht zugegen war, führt angesichts der anwaltlichen Vertretung der Klägerin nicht dazu, dass dieser Fall mit dem völligen Unterbleiben einer gebotenen mündlichen Verhandlung gleichzusetzen wäre. Die Klägerin hatte jedenfalls die Gelegenheit, sich durch ihren Prozessbevollmächtigten in mündlicher Verhandlung zu äußern, und hätte im Übrigen in diesem Rahmen auch auf eine Verhandlung mit einem geeigneten Sprachmittler – etwa durch einen Vertagungsantrag – hinwirken können.

Das Berufungsgericht war entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht schon im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen "der neueren Rechtsprechungstendenz des Bundesverwaltungsgerichts" oder "einer konventionskonformen Handhabung des § 130a VwGO" gehalten, im Berufungsverfahren mündlich zu verhandeln. Die Beschwerde übersieht dabei, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Art. 6 EMRK in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren der vorliegenden Art ohnehin keine Anwendung findet (vgl. Urteil vom 14. März 2002 - BVerwG 1 C 15.01 a.a.O. und Beschluss vom 20. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 67.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 69 unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – EGMR –; vgl. zuletzt Beschluss vom 4. Mai 2007 - BVerwG 1 B 8.07).

Die Beschwerde legt schließlich auch sonst nicht dar, dass das Berufungsgericht durch die Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 130a VwGO gegen Verfahrensrecht verstoßen hat. Einen generellen Anspruch auf eine persönliche Anhörung anwaltlich vertretener Kläger sieht die Prozessordnung entgegen der Ansicht der Beschwerde auch im Asylrechtsstreit nicht vor (Beschlüsse vom 4. Februar 2002 - BVerwG 1 B 313.01 - Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 31 und vom 4. März 2005 - BVerwG 1 B 131.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 71). Das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung kann allerdings je nach den Umständen des Einzelfalles verfahrensfehlerhaft sein, wenn es für die Entscheidung nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts auf den persönlichen Eindruck von dem Asylbewerber ankommt, etwa weil das Gericht auf seine Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben abstellt (vgl. etwa Beschlüsse vom 10. Mai 2002 - BVerwG 1 B 392.01 - und vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 B 37.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 und 260). Dass derartige Umstände im Falle der Klägerin vorliegen, zeigt die Beschwerde indes nicht auf.