VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 22.08.2007 - 24 CS 07.1495 - asyl.net: M11613
https://www.asyl.net/rsdb/M11613
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Visum nach Einreise, erforderliches Visum, Zumutbarkeit, Visumsverfahren, Minderjährige, alleinstehende Minderjährige, Verhältnismäßigkeit, Ermessen
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

Die Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Unrecht abgelehnt.

Als Rechtsgrundlage für eine Aufenthaltserlaubnis kommen § 25 Abs. 4 bzw. 5 oder § 36 AufenthG in Betracht.

Der Senat geht ebenso wie die Ausländerbehörde und das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Antragsteller nicht mit dem nach §§ 6, 99 AufenthG, §§ 31 ff AufenthV erforderlichen Visum eingereist ist. Er hatte lediglich ein Besuchsvisum, hätte aber für den beabsichtigten Aufenthalt zum Schulbesuch ein Visum für einen Daueraufenthalt benötigt.

Es drängt sich somit der Schluß auf, dass nicht die Inhaftierung des Vaters in der Bundesrepublik zu einem erst nach der Einreise geänderten Aufenthaltszweck führte, sondern der Daueraufenthalt von vornherein so geplant war. Es hätte im vorliegenden Fall deshalb ein Verfahren nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV (Zustimmung der Ausländerbehörde zur Visumerteilung) durchgeführt werden müssen. Weil dies nicht geschehen ist und die Voraussetzungen des § 39 AufenthV für eine Einholung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet nicht vorliegen, steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Antragsteller die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen, wonach die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraussetzt, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist bzw. die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.

Dagegen wurde vom Antragsteller glaubhaft gemacht, dass es ihm auf Grund besonderer Umstände nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG).

Die Vorschrift ist dem Zweck des Gesetzes entsprechend, die Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), als Ausnahmeregelung eng auszulegen. Ein besonderer Umstand in einem Einzelfall liegt dann vor, wenn sich der Ausländer in einer Sondersituation befindet, die sich deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet (Bäuerle in GK zum AufenthG Stand Juni 2007 RdNr. 170 zu § 5). Die Sondersituation des minderjährigen Antragstellers besteht hier – nach seinem Vorbringen – darin, dass ihn bei einer Rückkehr nach Serbien kein naher und sorgeberechtigter Angehöriger erwartet, der für ihn sorgen kann. Der sorgeberechtigte Vater ist in Deutschland in Haft und kann das Sorgerecht derzeit tatsächlich nicht ausüben. Die dem angefochtenen Bescheid und dem Beschluss des Verwaltungsgerichts zu Grunde liegende Annahme, die Mutter könne für den Antragsteller in Serbien sorgen, ist nicht hinreichend gesichert. Der Antragsteller trägt nämlich vor, die Mutter sei zur Sorge für ihn aus gesundheitlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Gründen nicht in der Lage. Dieses Vorbringen ist für die Entscheidung von Bedeutung und kann im Eilverfahren nicht als unzutreffend widerlegt werden. Es gibt mehrere Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter des Antragstellers nicht gesund ist.

Die so gekennzeichnete Situation des Antragstellers hebt sich deutlich von den vom Gesetzgeber als zumutbar vorausgesetzten Unannehmlichkeiten wie Kosten, Mühen, Zeitaufwand, vorübergehende Trennung von Angehörigen und Freunden ab (s. dazu Bäuerle a.a.O. RdNr. 170 zu § 5).

Die in dieser Ausnahmesituation anzustellende Zumutbarkeitsprüfung erfordert eine Güterabwägung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens ist mit den legitimen Interessen des Ausländers abzuwägen. Dabei sind die Wirkungen der Grundrechte als höherrangiges Recht zu beachten. Selbst wenn eine vorübergehende Trennung von Angehörigen auch unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK grundsätzlich hinnehmbar sein mag, gilt dies nicht, wenn das ausreisepflichtige Familienmitglied ein Kind ist und seine Betreuung im Ausland nicht gesichert ist (Bäuerle a.a.O. RdNr. 174 zu § 5). Um eine solche Ausnahmefallgestaltung handelt es sich hier, wenn sich im Hauptsacheverfahren die Richtigkeit des Beschwerdevorbringens ergeben sollte. Der Antragsteller wäre nicht nur für die Dauer der Durchführung des Visumverfahrens ohne verwandtschaftlichen Beistand, sondern für unabsehbare Zeit, wenn die Erteilung eines Visums für die Einreise zum Zwecke des Familiennachzugs zur Großmutter abgelehnt wird. Die weitere Zukunft des Minderjährigen wäre dann völlig ungewiss.

Wenn im Hauptsacheverfahren besondere Umstände im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG festgestellt werden, ist der Behörde ein Ermessen eröffnet, ob sie von der Durchführung eines Visumverfahrens vom Ausland aus absieht. Es liegt im vorliegenden besonders gelagerten Fall die Annahme nahe, dass die Antragsgegnerin ihr Ermessen dahin ausüben wird, von der Durchführung des Visumverfahrens abzusehen.