VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2007 - 13 S 1059/07 - asyl.net: M11566
https://www.asyl.net/rsdb/M11566
Leitsatz:

Eine unbefristete Arbeitsgenehmigung kann einem algerischen Arbeitnehmer wegen des Diskriminierungsverbots in Art. 67 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Algerien ein Aufenthaltsrecht verschaffen, wenn das ihm zustehende ausländerrechtliche Aufenthaltsrecht befristet ist (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 14.12.2006 - C 97/05 -, Gattoussi).

 

Schlagwörter: D (A), Europa-Mittelmeer-Abkommen, Diskriminierungsverbot, Arbeitserlaubnis, Algerien, Algerier, Rücknahme, Aufenthaltsbefugnis, Aufenthaltserlaubnis, Arbeitsberechtigung
Normen: Europa-Mittelmeer-Abkommen EG/Algerien Art. 64; VwVfG § 48 Abs. 1
Auszüge:

Eine unbefristete Arbeitsgenehmigung kann einem algerischen Arbeitnehmer wegen des Diskriminierungsverbots in Art. 67 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Algerien ein Aufenthaltsrecht verschaffen, wenn das ihm zustehende ausländerrechtliche Aufenthaltsrecht befristet ist (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 14.12.2006 - C 97/05 -, Gattoussi).

(Amtlicher Leitsatz)

 

Der Rücknahme der dem Kläger am 30.3.2004 (erneut) erteilten Aufenthaltsbefugnis steht nämlich ein dem Kläger zustehendes anderweitiges Aufenthaltsrecht entgegen.

Der Kläger unterfällt als algerischer Staatsangehöriger dem Regelungsbereich des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Algerien zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der demokratischen Volksrepublik Algerien andererseits. Art. 67 Abs. 1 dieses Abkommens bestimmt, dass jeder Mitgliedstaat für algerische Arbeitnehmer, die in seinem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, eine Regelung gewährt, "die hinsichtlich der Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen beinhaltet". Der Kläger ist unstreitig seit Jahren Arbeitnehmer im Sinn dieser Regelung; er ist seit dem 8.9.2002 Inhaber einer unbefristeten Arbeitsberechtigung des (damaligen) Arbeitsamts Stuttgart, die auch nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes fortgilt (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

Was die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen solcher unbefristeter Arbeitsgenehmigungen angeht, hat der für die Auslegung der einzelnen Europa-Mittelmeer-Abkommen im Hinblick auf die jeweils verliehene Rechtsstellung letztlich maßgebende Europäische Gerichtshof zu vergleichbaren Antidiskriminierungsvorschriften (Art. 64 Abs. 1 Europa-Mittelmeer-Abkommen mit Tunesien vom 17.7.1995 und Art. 40 Abs. 1 des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Marokko vom 27.4.1976, jetzt Art. 64 Abs. 1 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko vom 26.2.1996) entschieden, dass die dort enthaltenen, auf die "Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen" bezogenen Antidiskriminierungsgrundsätze auch eine aufenthaltsrechtliche Wirkung haben; übersteigt der zeitliche Anwendungsbereich einer einem solchen Staatsangehörigen enthaltenen Arbeitserlaubnis die Dauer einer Aufenthaltserlaubnis, so führt dies dazu, dass der Arbeitnehmer aus der "zeitlich überschießenden" Arbeitserlaubnis auch ein entsprechendes (weitergehendes) Aufenthaltsrecht ableiten kann (siehe dazu EuGH, Urteil vom 2.3.1999 - C 416/96 - El Yassini, InfAuslR 1999, 218, und Urteil vom 14.12.2006 - C 97/05 - Gattoussi, InfAuslR 2007, 89, Rn 38 f.). Damit ist der Europäische Gerichtshof der anderslautenden deutschen Rechtsprechung (siehe BVerwG, Urteil vom 1.7.2003 - 1 C 18/02 -, NVwZ 2004, 241, 245; OVG Münster, Beschluss vom 25.7.2005 - 18 B 983/05 -, juris und vom 22.6.2007 - 18 B 722/07 -, DVBl. 2007, 983; BayVGH, Beschluss vom 23.3.2006 - 24 CS 06.514 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 6.4.2004 - 9 TG 864/04 -, NVwZ-RR 2005, 285) entgegengetreten. Der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs zur aufenthaltsrechtlichen Wirkung "überschießender" Arbeitserlaubnisse schließt sich der Senat, der als nationales Gericht im Interesse der einheitlichen Anwendung des Europarechts grundsätzlich gehalten ist, die vom EuGH vorgegebene Auslegung anzuwenden (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 6.10.1982 - Rs 283/81 - CILFIT -, Slg. 1982, 3415, Rn 16 ff.), jedenfalls für das hier streitige Abkommen mit Algerien an.