VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Urteil vom 13.08.2007 - 3 K 309/07.KO - asyl.net: M11544
https://www.asyl.net/rsdb/M11544
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, zwingende Ausweisung, besonderer Ausweisungsschutz, Türken, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Arbeitnehmer, besonderer Ausweisungsschutz, atypischer Ausnahmefall, Vergewaltigung, Straftaten, Spezialprävention, Generalprävention, Wiederholungsgefahr, Schutz von Ehe und Familie, Privatleben, Deutschverheiratung
Normen: AufenthG § 53 Nr. 1; AufenthG § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 56 Abs. 2 S. 3; GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8; ARB Nr. 1/80 Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Beklagte hat den Kläger zu Recht aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm unter Ablehnung seines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis die Abschiebung in die Türkei angedroht.

Die Ausweisung des Klägers findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 53 Nr. 1; 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Satz 4 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – (sog. Regelausweisung).

Diese Bestimmungen sind im Falle des Klägers anwendbar. Insbesondere steht der Anwendbarkeit dieser Regelungen nicht die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften – EuGH – vom 29. April 2004 (Rs. C-482/01 und C-493/01 – Orfanopoulos und Oliveri –, DVBl. 2004, 876) und des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 3. August 2004 – 1 C 29.02 –; BVerwGE 121, 315 ff.) entgegen, wonach türkische Staatsangehörige, die sich auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 EWG-Türkei berufen können, grundsätzlich nur aufgrund einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden können. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers genießt er nicht den Rechtsstatus eines Assoziationsberechtigten, weil er nicht die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 EWG-Türkei erfüllt.

Nach § 53 Nr. 1 AufenthG wird ein Ausländer unter anderem ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Der Kläger wurde mit rechtskräftig gewordenem Urteil des Landgerichts Koblenz vom 8. April 2005 – 2060 Js 67491/04 – 1 Kls – wegen Vergewaltigung zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Damit erfüllt er dem Grunde nach die Voraussetzungen der Ist-Ausweisung. Allerdings ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG genießt, weil er mit seiner deutschen Ehefrau in familiärer Lebensgemeinschaft lebt.

Bleibt es demnach bei dem besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG, so folgt hieraus, dass der Kläger gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Solche schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen jedoch nach § 56 Abs. 2 Satz 3 AufenthG in den Fällen des § 53 – und damit auch im Falle des Klägers – in der Regel vor.

Bezogen auf die vom Kläger verwirklichte Anlasstat ergeben sich vorliegend keine atypischen Umstände, die schon im Hinblick darauf geeignet wären, das ansonsten ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel zu beseitigen. Bei der vom Kläger begangenen Vergewaltigung handelt es sich um ein Verbrechen im Sinne des § 12 Strafgesetzbuch – StGB –, das mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr geahndet wird. Es handelt sich zudem um einen Deliktstyp, der in erheblichem Maße gegen die physische und psychische Integrität des Opfers gerichtet ist, was dazu führt, dass bei Vergewaltigungsopfern häufig auch Langzeitschädigungen auftreten. Entgegen der Auffassung des Klägers kann zu seinen Gunsten nicht gewertet werden, dass er mit dem Opfer zuvor eine mehrmonatige Beziehung unterhalten hat, in deren Verlauf es auch zu regelmäßigen einvernehmlichen sexuellen Kontakten gekommen ist. All dies ändert nichts daran, dass der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts Koblenz in seinem Urteil vom 8. April 2005 – 260 Js 67491/04 -1 Kls – den Geschlechtsverkehr gegen den erklärten und erkennbaren Willen seines Opfers ausgeübt hat.

Schließlich führt auch der Umstand, dass der Kläger erstmalig in einschlägiger Weise verurteilt worden ist, nicht zu der Annahme eines Ausnahmefalles. Ausgehend vom Wortlaut der gesetzlichen Regelung der §§ 53 Nr. 1; 56 Abs. 1, Satz 1 Nr. 4 AufenthG reicht auch eine einmalige Verfehlung grundsätzlich zur Begründung eines Ausweisungstatbestandes aus.

Liegen nach alledem schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vor, die die Ausweisung des Klägers grundsätzlich erlauben, so ist allerdings wegen des gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG eingreifenden besonderen Ausweisungsschutzes gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG zu berücksichtigen, dass sich die an sich gegebene Ist-Ausweisung in eine Regelausweisung verwandelt. Aber auch deren Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

In spezialpräventiver Hinsicht ergeben sich in seinem konkreten Fall zunächst – wie bereits dargelegt – aus den Umständen, die zu der strafrechtlichen Verurteilung geführt haben, keine Gründe für die Annahme eines atypischen, die Ausweisung als ungerecht und insbesondere unverhältnismäßig erscheinen lassenden Sachverhaltes.

Hieran anknüpfend ist weiter zu Lasten des Klägers die erhebliche Wiederholungsgefahr zu gewichten. Diese ist gerade bei Sexualdelikten nach kriminalistischer Erfahrung sehr hoch.

Muss nach alledem von einer beachtlichen Wiederholungsgefahr im Falle des Klägers ausgegangen werden, so ergibt sich ein Ausnahmefall auch nicht unter Berücksichtigung des in Art. 6 GG verankerten Schutzes von Ehe und Familie. Derartige Besonderheiten sind hier nicht ersichtlich, geschweige denn vorgetragen. Dabei ist insbesondere zu sehen, dass die Ehefrau des Klägers berufstätig und selbst auf eine wirtschaftliche Unterstützung seitens des Klägers nicht angewiesen ist, zumal sie darauf auch während der Inhaftierung des Klägers verzichten musste, ohne dass dadurch ihre Existenz gefährdet gewesen wäre.

Auch aus Art. 8 EMRK kann der Kläger keine weitergehenden Rechte herleiten. Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt neben dem Recht auf Achtung des Familienlebens auch das Recht auf Achtung des Privatlebens.