VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 22.05.2007 - 3 K 5382/06.A - asyl.net: M11391
https://www.asyl.net/rsdb/M11391
Leitsatz:

§ 60 Abs. 7 AufenthG bei HIV-Infektion wegen Mängeln bei der Medikamentenversorgung in Kamerun

 

Schlagwörter: Kamerun, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, HIV/Aids, medizinische Versorgung, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

§ 60 Abs. 7 AufenthG bei HIV-Infektion wegen Mängeln bei der Medikamentenversorgung in Kamerun

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist begründet.

In der Person der Klägerin liegen hinsichtlich des Herkunftslandes Kamerun Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor.

Denn sie leidet nach den ärztlichen Bescheinigungen des St. K.-Hospitals C. vom 14. August und vom 8. Dezember 2006 an einer HIV-Infektion im Stadium CDC A2. Vor diesem Hintergrund ist nach aktuellen medizinischen Erkenntnissen eine ununterbrochene antiretrovirale Therapie der HIV-Infektion dringend geboten. Zwar gibt es nach den umfassenden Ausarbeitungen des Bundesamtes aus Dezember 2002 und März 2006 zum Gesundheitswesen in Kamerun dort sowohl ärztliche Behandlungs- als auch medikamentöse Versorgungsmöglichkeiten. Ebenfalls ist die Durchführung von sogenannten "Dreifach-Therapien" für HIV-Patienten möglich. Spezielle Blutuntersuchungen zur Verlaufskontrolle einer entsprechenden Behandlung können ebenfalls durchgeführt werden. Behandlungsmöglichkeiten sind insbesondere in mehreren Krankenhäusern der Hauptstadt möglich. Diese Behandlungsmöglichkeiten reichen unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse im Zeitpunkt seiner Entscheidung jedoch nicht aus, um bei der Klägerin eine lebensbedrohliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu verhindern. Dabei lässt es das Gericht offen, ob der Klägerin die finanziellen Mittel (knapp 4,60 Euro pro Monat) für eine solche Behandlung zur Verfügung stehen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Medikamente, die nicht ständig in Apotheken vorrätig sind, in Frankreich bestellt werden müssen, wobei die Bestelldauer zwischen 10 Tagen und 3 Wochen beträgt. Dabei können durchaus Lieferengpässe und Verzögerungen vorkommen. Dies hätte für die Klägerin fatale Folgen, da sie auf eine dauerhafte (fortlaufende und ununterbrochene) medikamentöse Therapie dringend angewiesen ist. Bei einer Unterbrechung der Medikation muss mit einer Verschlechterung ihres Immunsystems gerechnet werden, was zu einer deutlichen Verkürzung ihrer Lebenserwartung führen würde. So ist die Einnahme der Medikamente zwingend erforderlich. Bei einer Nichtbehandlung oder Verzögerung in der medizinischen Versorgung ist mit einer Lebensbedrohung und mit einer Verkürzung der Lebenserwartung zu rechnen. Bei einer fortlaufenden Behandlung ist demgegenüber von einer normalen Lebenserwartung auszugehen. Darüber hinaus ist aber besonders entscheidend, dass aufgrund des eingeschränkten Immunstatus der Klägerin eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber den im tropischen Heimatland der Klägerin vorherrschenden Erkrankungen wie insbesondere Malaria und Tuberkulose gegeben ist. So dürfte nach ärztlicher Beurteilung auch von einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber einer Malaria-Infektion auszugehen sein, wenngleich bisherige wissenschaftliche "Studien in den USA diesbezüglich keinen eindeutigen Hinweis" gezeigt haben. Mithin besteht die konkrete Gefahr einer lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin bei einer Rückkehr in ihr Heimatland (vgl. zu den vorstehenden Ausführungen allgemein auch Urteile Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 23. Mai 2000 - 3 K 6084/98.A - und vom 11. Mai 2001 - 3 K 4292/00.A -).

Die Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG steht dem Abschiebungshindernis nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift werden Gefahren in dem Abschiebezielstaat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei einer Entscheidung nach § 60 a AufenthG berücksichtigt. Es mag auf sich beruhen, ob eine allgemeine Gefahrenlage im Sinne dieser Vorschrift anzunehmen ist, weil nach Schätzungen derWeltgesundheitsorganisation ungefähr 5% der sexuell aktiven Bevölkerung Kameruns HIV-Infizierte sind. Jedenfalls gilt aufgrund verfassungskonformer Auslegung § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG dann nicht, wenn die Abschiebung dem Ausländer, dem ein anderweitiger Abschiebungsschutz nicht zur Verfügung steht, eine extremen Gefahrenlage ausgesetzt würde. Eine derartige Gefahrenlage ist dann anzunehmen, wenn der Ausländer bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Dabei wird allerdings nicht vorausgesetzt, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort eintreten (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29. Januar 2005 - 9 B 617/98 -; Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 23. Mai 2000 - 3 K 6084/98.A -; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 11. Mai 2001 - 3 K 4292/00.A - (jeweils zu § 53 AuslG)).