VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 31.05.2007 - AN 9 K 06.30207 u.a. - asyl.net: M11376
https://www.asyl.net/rsdb/M11376
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Machtwechsel, Baath, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, alleinstehende Frauen, Versorgungslage, Sicherheitslage, Existenzminimum, Racheakte, geschiedene Frauen, Frauen, Flüchtlingsfrauen
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klagen sind zulässig, aber nur zum Teil begründet.

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze erweist sich der angefochtene Widerruf der vorangegangenen Schutzgewährung in jeder Hinsicht als rechtmäßig, er verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Rahmen der seit 1. Januar 2005 geltenden neuen Rechtslage, die dem vorliegenden Urteil zu Grunde zu legen ist (§ 77 Abs. 1 AsylVfG), nunmehr auch nichtstaatliche Verfolgung zu berücksichtigen ist (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG).

Eine entscheidungserhebliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Irak liegt vor. Der sich aus den allgemein zugänglichen Medien und den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen (vgl. insbesondere den in das Verfahren eingeführten aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes) ergebende Sturz des Regimes von Saddam Hussein stellt genau einen solchen politischen Systemwechsel dar, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht in seiner vorgenannten Entscheidung angesprochen hat.

In Anbetracht der derzeitigen persönlichen Situation der Klägerinnen und der sich nach den vorliegenden Auskünften ergebenden Lage im Irak, muss davon ausgegangen werden, dass hier Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen.

Eine erhebliche konkret individuelle Gefahrenlage ergäbe sich zum einen aus dem Umstand, dass die Klägerinnen im Irak allein für ihren Lebensunterhalt zu sorgen hätten. In Ermangelung eigener familiärer Bindungen im Irak könnten die Klägerinnen nicht mit finanzieller oder anderweitiger Unterstützung rechnen. Bereits unter Berücksichtigung dieser Tatsache kann bei der gegenwärtigen Lage im Irak, wie sie sich aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünften ergibt, davon ausgegangen werden, dass den Klägerinnen Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen. Wegen der äußerst instabilen Sicherheits- und Versorgungslage im gesamten Irak und insbesondere in der ethnisch wie religiös umstrittenen Stadt ..., aus der die Klägerin zu 1) stammt, wäre den Klägerinnen in ihrer konkreten Situation eine Existenzgründung praktisch unmöglich. Die Klägerin zu 1) hätte kaum eine Möglichkeit, sich und die minderjährige Klägerin zu 2) mit dem existentiell Notwendigsten zu versorgen. Dies belegt auch die der Beklagten bekannte Stellungnahme des Deutschen Instituts für Nahost-Studien (GIGA) vom 12. März 2007, in der es unter anderem heißt, im Nordirak könne eine allein stehende Frau "normaler Weise nicht leben". Das "Andocken" an familiäre Verhältnisse sei in diesem Fall unbedingt nötig. Hier aber fehlt es an jeglicher familiärer Bindung, auf die die Klägerinnen zurückgreifen könnten.

Den Klägerinnen droht im Falle ihrer Rückkehr eine Gefahr für Leib und Leben aber nicht nur wegen der praktischen Unmöglichkeit, sich das zum Überleben Unerlässliche zu beschaffen. Sie wären außerdem weitestgehend schutzlos Repressionen und Übergriffen seitens der Familie des geschiedenen Ehemannes ausgesetzt.