VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 06.06.2007 - 5 K 1068/07.A - asyl.net: M11372
https://www.asyl.net/rsdb/M11372
Leitsatz:

Keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit für iranischen Staatsangehörigen allein wegen Konversion zum Christentum

 

Schlagwörter: Iran, Christen, Apostasie, Konversion, religiös motivierte Verfolgung, Religion, Anerkennungsrichtlinie, Missionierung, Strafrecht
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b
Auszüge:

Keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit für iranischen Staatsangehörigen allein wegen Konversion zum Christentum

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin hat auch ungeachtet der Frage, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen der bestandskräftig abgeschlossenen vorangegangenen Asylverfahren vorliegen oder nicht, keinen materiellen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte oder auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 oder Abs. 2–7 AufenthG. Denn bei einer Abschiebung in den Iran droht der Klägerin wegen des im Folgeverfahren allein geltend gemachten Verfolgungsgrundes

der Konversion zum christlichen Glauben nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dort eine Verfolgung.

Mit Erlass des § 60 Abs. 1 AufenthG wollte der bundesdeutsche Gesetzgeber im Hinblick auf die Anforderungen an die Anerkennung als Flüchtling der Qualifikationsrichtlinie entsprechendes Recht schaffen, so dass diese Norm des Aufenthaltsgesetzes unter Beachtung der Qualifikationsrichtlinie – und insbesondere im Lichte der Art. 2 lit. c) und 4–10 der Richtlinie – auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne: OVG NRW, Beschl. v. 18. Mai 2005 - 11 A 533/05.A, UA S. 5ff.; vgl. auch zur Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie BVerwG, Urt. v. 21. November 2006 - 1 C 10.06, UA S. 7f.).

Dies gilt um so mehr, nachdem die Frist für die Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie mit dem 10. Oktober 2006 abgelaufen ist (vgl. Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie), ohne dass der bundesdeutsche Gesetzgeber erneut tätig geworden wäre.

Ist die Bestimmung des § 60 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie auszulegen, hat dies zur Folge, dass die Prüfung des Anspruches auf Anerkennung als Flüchtling Feststellungen dazu umfasst, ob Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 9 der Richtlinie an Verfolgungsgründe im Sinne des Art. 10 der Richtlinie anknüpfen (vgl. Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie).

Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten als Verfolgung Handlungen, die (lit. a)) aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder (lit. b)) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass der Begriff der Religion insbesondere umfasst: theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten und öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Allerdings ist nicht jede Diskriminierung in dem so verstandenen religiösen Schutzbereich zugleich auch Verfolgung wegen der Religion. Sie muss vielmehr das Maß überschreiten, das lediglich zu einer durch die Diskriminierung eintretenden Bevorzugung anderer führt, sich mithin also als ernsthafter Eingriff in die Religionsfreiheit darstellt (dazu Marx, AsylVfG, 6. Auflage, zu § 1 Rn. 212 m.w.N.).

Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die auf die – häuslich-private, aber auch öffentliche – Religionsausübung gerichtete Maßnahme zugleich auch mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit der Person verbunden ist oder zu einer dem entsprechenden "Ausgrenzung" führt (vgl. Marx, AsylVfG, 6. Auflage, zu § 1 Rn. 208 f. m.w.N.), die sich als schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt (vgl. zu diesem maßstabgebenden Intensitätsumfang der Verfolgungshandlungen: Art. 9 Abs. 1 lit. a) Qualifikationsrichtlinie).

Nach dem Strafrecht der islamischen Republik stellt der Religionswechsel eines Moslems keinen Straftatbestand dar. Die Konversion ist zwar als Abtrünnigkeit vom islamischen Glauben nach religiösem Recht strafbar (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes v. 02. August 2005 (508516.80/43948) und des Deutschen Orient-Instituts v. 06. Dezember 2004).

Selbst gegenüber örtlich im Iran missionierenden christlichen Kirchengemeinden richteten sich staatliche Maßnahmen bisher ganz überwiegend gegen Kirchenführer oder in der Öffentlichkeit besonders Aktive, aber nicht gegen einfache konvertierte Gemeindemitglieder, wie der Klägerin eines ist (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes v. 24. März 2006 und v. 21. September 2006 sowie Auskunft des Auswärtigen Amtes v. 15. Dezember 2004).

Dass einfache Konvertiten im Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit schwerwiegenderen Benachteiligungen ausgesetzt sind, erklärt sich wie folgt: Die Hinwendung zum christlichen Glauben und die christliche Missionstätigkeit wird im Iran nicht verfolgt, weil die Ausübung der persönlichen Gewissensfreiheit und die rein persönliche, geistig-religiöse Entscheidung für einen anderen Glauben bekämpft werden soll. Bekämpft werden soll die Apostasie, weil und soweit sie als Angriff auf den Bestand der Islamischen Republik Iran gewertet werden kann. Der politische Machtanspruch der im Iran herrschenden Mullahs ist absolut. Dieser Machtanspruch ist religiös fundiert, d.h. die iranischen Machthaber fassen ihre Ausübung der politischen Macht als gleichsam natürliche Konsequenz ihrer Religion auf. Deshalb ist zwar – weil dies den Gesetzen des Islam entspricht – religiöse Toleranz im Hinblick auf die bestehenden Religionsgemeinschaften der Buchreligionen Juden- und Christentum solange vorgesehen, wie deren Angehörige sich dem unbedingten politischen Herrschaftsanspruch für Muslime unterwerfen. Ein Ausbreiten dieser (Buch-) Religionsgemeinschaften in das "muslimische Staatsvolk" hinein würde jedoch den im Iran bestehenden Führungsanspruch der Mullahs in Frage stellen. Diese unterscheiden nämlich nicht zwischen Politik und Religion und sie machen diese Unterscheidung auch nicht im Hinblick auf andere Religionsgemeinschaften, sondern unterstellen diesen eben dasselbe, was sie selbst tun, nämlich Politik im religiösen Gewande zu betreiben (vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft v. 20. Dezember 1996).

Die Herausforderung an den beschriebenen Machtanspruch liegt aber nicht in der persönlichen, geistig-religiösen Entscheidung eines Einzelnen für einen anderen Glauben. Erst die den anderen Glauben erfolgreich ausbreitende Missionierung stellt eine Herausforderung für den Machtbehauptungswillen dar.

Es ist auch nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass zum christlichen Glauben übergetretene ehemalige Moslems im Iran nicht ungefährdet an christlichen Gottesdiensten und damit nicht im Sinne der Schutzintention der Qualifikationsrichtlinie ungefährdet an religiösen Riten im öffentlichen Bereich teilnehmen könnten. Denn eine Kontrolle des Teilnehmerkreises an christlichen Gottesdiensten durch staatliche Organe zur Verhinderung des Besuches derartiger Veranstaltungen durch Apostaten findet seit vielen Jahren grundsätzlich nicht mehr statt. Dies gilt selbst für Gottesdienste der evangelisch-freikirchlichen Pfingstgemeinden, wie sich aus Auskünften der Leitung dieser Gemeinden gegenüber dem Auswärtigen Amt ergibt, und sogar für die Gottesdienste der in Teheran ansässigen Gemeinden der "Assembly of God", zu denen auch Muslime ungehindert Zugang haben (vgl. Auskünfte des Auswärtigen Amtes v. 15. Juni 2005 und v. 15. Dezember 2004).

Zudem bestehen nach Darstellung der vom Auswärtigen Amt befragten christlichen Kirchen innerhalb der Islamischen Republik Iran ca. 100 christliche Hausgemeinschaften, an denen auch Apostaten teilhaben, und nach Angaben kirchlicher Würdenträger haben Apostaten, die keine Missionierung betreiben, keine staatlichen Repressalien zu befürchten (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes v. 15. Dezember 2004).

Eine Rückkehr ist Konvertiten auch nicht deshalb unzumutbar, weil sie im Iran auf seelsorgerische Betreuung verzichten müssten; denn eine solche Betreuung ist möglich.

Nach alledem sind schutzrelevante Maßnahmen gegenüber Apostaten und insbesondere auch Angehörigen missionierender Kirchengemeinden allenfalls dann mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu befürchten, wenn die Betroffenen zusätzlich durch ihre exponierte Stellung und/oder durch ihre in- oder ausländischen Aktivitäten mit Aktivitäten in Verbindung gebracht werden, die den Bestand der Islamischen Republik Iran gefährden, also etwa wegen exponierter öffentlichkeitswirksamer (Missionierungs-) Aktivitäten.

Ist eine politische Verfolgung so genannter Apostaten, die nicht öffentlich in herausgehobener Funktion für ihren christlichen Glauben tätig sind, im Iran nicht beachtlich wahrscheinlich, ergibt sich aus einer missionarischen Betätigung in Deutschland nichts anderes. Nach der oben dargestellten Erkenntnislage ist eine werbende Betätigung für den christlichen Glauben für den Iran erst dann erheblich, wenn sie der Betroffene in herausgehobener Position nach außen erkennbar entfaltet und nachhaltig mit Erfolg ausübt (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 06. Dezember 2004 - 5 A 4798/04.A und v. 30. Oktober 2003 - 5 A 4072/03.A - unter Bezugnahme auf den Beschl. v. 11. März 2003 - 5 A1081/03.A).