VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 26.07.2007 - 11 TG 1414/07 - asyl.net: M11257
https://www.asyl.net/rsdb/M11257
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Türken, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte, Familienangehörige, Auslandsaufenthalt, Ausreise, ordnungsgemäßer Wohnsitz, Erlaubnisfiktion, Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, Recht auf Wiederkehr, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Ausweisungsgründe, Ermessen, Visum, Familienzusammenführung, Kindernachzug
Normen: ARB Nr. 1/80 Art. 7; AuslG § 69 Abs. 3 S. 1; AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 37 Abs. 3 Nr. 2; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Die Beschwerde ist begründet.

Die aufschiebendeWirkung der Klage des Antragstellers ist anzuordnen, weil der Bescheid des Landrats des Wetteraukreises vom 31. Januar 2006 über die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der Androhung der Abschiebung des Antragstellers offensichtlich rechtswidrig ist mit der Folge, dass dem Interesse des Antragstellers, ein weilen im Bundesgebiet bleiben zu dürfen, der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung seiner Ausreisepflicht einzuräumen ist.

Die Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbescheides ergibt sich entgegen der Beschwerde nicht schon daraus, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis aus Art. 7 Satz 1, 1. Gedankenstrich ARB 1/80 zusteht. Ein wohl vorher erworbener Anspruch aus dieser Vorschrift ist dadurch erloschen, dass der Antragsteller das Bundesgebiet in den Jahren 1997/98 für die Dauer von ca. zwei Jahren verlassen hat, ohne einen Grund dafür mitzuteilen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (vgl. z.B. Urteil vom 07.07.2005, C373/03, juris, Rdnr. 27, m.w.N.) tritt der Verlust der Rechte aus Art. 6 und 7 ARB 1/80 ein, wenn der türkische Staatsangehörige die Bundesrepublik Deutschland für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigten Grund verlässt. Ein in diesem Sinne berechtigter Grund lässt sich hier schon deshalb nicht ermitteln, weil der Antragsteller keine Angaben zu dem Zweck der Ausreise gemacht hat.

Nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland hat der Antragsteller auch nicht, wie er meint, die Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1, 1. Gedankenstrich ARB 1/80 erneut erworben. Insoweit fehlt es an einem dreijährigen ordnungsgemäßen Wohnsitz im Sinne dieser Bestimmung. Die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes bestimmt sich wie die Ordnungsmäßigkeit einer Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nach den nationalen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen des Aufnahmestaates (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.1995, InfAuslR 95, 265, 267). Hierzu bedarf es einer Aufenthaltserlaubnis, die hier dem Antragsteller am 28. März 2001 – zumindest auch zum Zwecke der Familienzusammenführung – erteilt worden ist. Mit dem Ablauf dieser Erlaubnis am 10. Februar 2003 endete aber auch die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes (BVerwG, a.a.O. S. 267). Allein der Umstand, dass der Antragsteller am selben Tag die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt hat und sein Aufenthalt deshalb bis zu der Entscheidung über den Antrag als erlaubt galt (zunächst nach § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG und später nach § 81 Abs. 4 AufenthG), begründet keinen ordnungsgemäßen Wohnsitz im Sinne des Art. 7 Satz 1, 1. Gedankenstrich ARB 1/80.

Der Bescheid über die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers ist jedoch deshalb offensichtlich rechtswidrig, weil die Ausländerbehörde das ihr eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat. Sie hat den Antrag allein am Maßstab der §§ 34 Abs. 2 und 3 i. V. m. 5 Abs. 1 AufenthG geprüft und festgestellt, dass der Antragsteller einen Ausweisungstatbestand erfüllt hat und keine Veranlassung besteht, von den Regelvoraussetzungen abzuweichen. Demgegenüber erfüllt der Antragsteller nach summarischer Prüfung die Voraussetzungen des § 37 AufenthG, der eine erleichterte Wiederkehr in die Bundesrepublik Deutschland nach einem Auslandsaufenthalt ermöglicht. Abweichend von § 5 Abs. 1 AufenthG stellt das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes im Rahmen des § 37 AufenthG keinen (Regel-) Versagungsgrund dar, sondern eröffnet der Ausländerbehörde lediglich die Möglichkeit, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Rahmen einer Ermessensentscheidung abzulehnen (§ 37 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG).

Der Senat teilt nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass ein Rückgriff auf § 37 AufenthG hier deshalb ausgeschlossen sei, weil dem Antragsteller nach seiner Rückkehr, nämlich am 28. März 2001, eine Aufenthaltserlaubnis für den Kindernachzug (nach dem damals geltenden § 20 AuslG) erteilt worden sei. Denn zum einen lässt sich nicht sicher feststellen, zu welchem Zweck und auf welcher Rechtsgrundlage die Aufenthaltserlaubnis am 28. März 2001 erteilt worden ist; immerhin hatte die Ausländerbehörde auch neue Nachweise über den Schulbesuch des Antragstellers angefordert, was auf eine Prüfung des § 16 AuslG hindeutet. Zum anderen würde eine für den Kindernachzug nach § 20 AuslG erteilte Aufenthaltserlaubnis nicht der späteren Anwendung des § 37 AufenthG entgegenstehen. Die Intention der Vorschrift, jungen Ausländern, die hier aufgewachsen sind und die Schule besucht haben, nach einem Auslandsaufenthalt die Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland zu erleichtern, wird auch dann erreicht, wenn ihnen zwischenzeitlich vorübergehend eine Aufenthaltserlaubnis für einen anderen Zweck erteilt worden ist. Die – auch zeitlichen – Grenzen für die Anwendbarkeit dieser Privilegierung ergeben sich vielmehr aus dem Tatbestand der Vorschrift selbst.