OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 11.07.2007 - 1 A 224/07 - asyl.net: M11232
https://www.asyl.net/rsdb/M11232
Leitsatz:

1. Die Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG für politisch Verfolgte greift zumindest dann nicht mehr ein, wenn die Asylanerkennung bestandskräftig widerrufen worden ist.

2. Albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo ist es generell möglich und zumutbar, ihre Entlassung aus der serbischen Staatsangehörigkeit zu beantragen.

3. Für den Fall, dass sich die nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG relevanten Bestrebungen auf einen Konflikt bezogen haben, der zwischenzeitlich beendet worden ist, sind an das Abwenden von diesen Bestrebungen geringere Anforderungen zu stellen, als wenn der Konflikt noch andauert.

4. Einzelfall einer Abwendung von der Unterstützung des bewaffneten Konflikts im Kosovo.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Serbien, Kosovo, Albaner, Konventionsflüchtlinge, Flüchtlingsausweis, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Mehrstaatigkeit, Zumutbarkeit, Aufgabe der Staatsangehörigkeit, Einbürgerungszusicherung, verfassungsfeindliche Bestrebungen, Abwendung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen, UCK, DVAD, Demokratische Vereinigung der Albaner in Deutschland e.V., LPK, Spenden, Mitglieder
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; StAG § 12 Abs. 1 S. 1; StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 6; StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; VwVfG § 38; StAG § 11 S. 1 Nr. 2; StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Auszüge:

1. Die Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG für politisch Verfolgte greift zumindest dann nicht mehr ein, wenn die Asylanerkennung bestandskräftig widerrufen worden ist.

2. Albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo ist es generell möglich und zumutbar, ihre Entlassung aus der serbischen Staatsangehörigkeit zu beantragen.

3. Für den Fall, dass sich die nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG relevanten Bestrebungen auf einen Konflikt bezogen haben, der zwischenzeitlich beendet worden ist, sind an das Abwenden von diesen Bestrebungen geringere Anforderungen zu stellen, als wenn der Konflikt noch andauert.

4. Einzelfall einer Abwendung von der Unterstützung des bewaffneten Konflikts im Kosovo.

(Amtliche Leitsätze)

 

Nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens hat der Kläger keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Einbürgerung, aber auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung.

1. Einem Anspruch des Klägers auf Einbürgerung steht die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG entgegen. Danach ist Voraussetzung der Einbürgerung, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Dies ist beim Kläger nicht der Fall, da er die serbische Staatsangehörigkeit besitzt.

Die Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG für politisch Verfolgte greift zugunsten des Klägers nicht (mehr) ein. Diese Vorschrift stellt - anders als § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG - nicht auf den Status eines politisch Verfolgten oder Flüchtlings ab, sondern auf den - rechtmäßigen - Besitz (u.a.) eines Reiseausweises nach Art. 28 des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (so auch Bayerischer VGH, Urteile vom 17.02.2005 - 5 B 04.392 - EzAR-NF 076 Nr. 1 und - 5 BV 04.1225 - NVwZ-RR 2005, 856 = BayVBl 2006, 112 = EzAR-NF 073 Nr. 2 sowie vom 14.09.2006 - 5 BV 05.1698 - juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.11.2005 - 12 S 1695/05 - InfAuslR 2006, 230 = ESVGH 56, 189 (LS)).

Ob der Kläger einen solchen Reiseausweis derzeit noch besitzt, kann dahin gestellt bleiben, da der Besitz auf jeden Fall nicht mehr rechtmäßig wäre. Denn durch Urteil der 10. Kammer des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 23.05.2006 - 10 K 27/04.A - wurde die Klage des Klägers gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26.01.2004, mit dem seine Asylanerkennung und die Feststellung des Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG widerrufen wurde, rechtskräftig abgewiesen.

Außer Betracht muss bleiben, dass der Kläger früher den Status eines anerkannten Asylberechtigten innegehabt und damit den Reiseausweis rechtmäßig besessen hat. Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG erfüllt sind, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat (ebenso Bayerischer VGH, Urteile vom 17.02.2005 und vom 14.09.2006, a.a.O.).

Auch die übrigen Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 StAG liegen nicht vor. Insbesondere ist der Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG nicht erfüllt. Hierzu gehen der VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 24.11.2005, a.a.O.), und der Bayerische VGH (Urteile vom 17.02.2005 und 14.09.2006, a.a.O.), übereinstimmend davon aus, dass es albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo generell möglich und auch zumutbar ist, ihre Entlassung aus der serbisch-montenegrinischen - inzwischen serbischen - Staatsangehörigkeit zu beantragen (a.A. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.10.2005 - 7 A 10700/05 -, InfAuslR 2006, 92).

Dieser Einschätzung schließt sich der erkennende Senat an.

2. Der vom Kläger deshalb gestellte Hilfsantrag auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass für den Fall, dass eine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit nicht in Betracht kommt, der Einbürgerungsbewerber die Möglichkeit hat, seinen Klageantrag auf die Verpflichtung zur Erteilung einer Einbürgerungszusicherung zu beschränken (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.07.1994 - 13 S 2147/93 - InfAuslR 1995, 116 = EzAR 273 Nr. 2).

Das Rechtsinstitut der Einbürgerungszusicherung ergibt sich aus dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht und stellt eine Zusicherung im Sinne des § 38 VwVfG dar (vgl. Hailbronner/Renner, StAngR, 4. Aufl., § 8 StAG RdNrn. 85 und 122; Marx in GK-StAR, § 8 StAG Rn. 315).

Auf die Erteilung einer solchen Zusicherung besteht jedenfalls dann ein Rechtsanspruch, wenn im Übrigen die Voraussetzungen eines Einbürgerungsanspruchs vorliegen. Bezüglich einer etwaigen Befristung der Zusicherung verbleibt der Behörde ein nach Maßgabe ihrer Verwaltungspraxis und des Zwecks der Zusicherung begrenztes Ermessen (vgl. BVerwG, Urteile vom 31.05.1994 - 1 C 5/93 - BVerwGE 96, 86 = InfAuslR 1994, 405 = DVBl 1995, 37 = Buchholz 402.240 § 86 AuslG 1990 Nr. 1 = EzAR 278 Nr. 2 = DÖV 1995, 380 = NVwZ 1995, 1127 und vom 20.10.2005, a.a.O.; Marx, a.a.O., § 8 StAG Rn. 317).

Der vom Beklagten angenommene Ausschlussgrund gemäß § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG steht zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats einem Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung nicht entgegen.

Dabei ist nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 08.03.2006, a.a.O.), und anderer Obergerichte (u.a. Bayerischer VGH, Urteil vom 27.05.2003 - 5 B 01.1805 - juris zu § 86 Nr. 2 AuslG; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2005, a.a.O., zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG) sowie der Literatur (Berlit in GK-StAR, § 11 StAG Rn. 96) als tatbestandsmäßige Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG jede Handlung des Ausländers anzusehen, die für die dort genannten Bestrebungen objektiv vorteilhaft ist. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 28.03 - BVerwGE 123, 114 = DVBl 2005, 1203 = NVwZ 2005, 1091 = EzAR-NF 028 Nr. 2 = Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 25 = InfAuslR 2005, 374) zum Begriff des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG a.F. ist darunter jede Tätigkeit anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung auswirkt. Dazu zählt jedes Tätigwerden auch eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer inkriminierten Ziele fördert und damit ihre potentielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotential stärkt. Darunter fallen neben der Gewährung finanzieller Unterstützung oder der Teilnahme an Aktivitäten zur Verfolgung oder Durchsetzung der inkriminierten Ziele auch die öffentliche oder nichtöffentliche Befürwortung von gemäß § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG inkriminierten Bestrebungen. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es dabei nicht an.

Allerdings muss es für den Ausländer grundsätzlich erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein, dass sein Handeln die Vereinigung und ihre Bestrebungen unterstützt. An einem Unterstützen fehlt es, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die inkriminierten Ziele befürwortet und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung der inkriminierten Bestrebungen zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potentiell gefährliches Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG vor (vgl. zu alledem auch BVerwG, Urteil vom 22.02.2007 - 5 C 20.05 -; OVG Hamburg, Urteil vom 06.12.2005, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 11.07.2002, a.a.O. und vom 10.11.2005, a.a.O.; Bayerischer VGH, Urteil vom 27.05.2003 - 5 B 00.1819, a.a.O. und Beschluss vom 13.07.2005 - 5 ZB 05.901 - juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.07.2005 - 7 A 12260/04.OVG -; Berlit, a.a.O., § 11 StAG Rdnrn. 96 ff.).

Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 08.03.2006, a.a.O.) erfordert eine "Abwendung" von sicherheitsrelevanten Bestrebungen mehr als ein bloßes äußeres - zeitweiliges oder situationsbedingtes – Unterlassen, das hierfür indes ein Indiz sein kann. Vielmehr ist die Glaubhaftmachung eines inneren Vorgangs erforderlich, der sich auf die Gründe für die Handlungen bezieht und nachvollziehbar werden lässt, dass diese so nachhaltig entfallen sind, dass mit hinreichender Gewissheit zukünftig die Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen - auch in Ansehung der durch die Einbürgerung erworbenen gesicherten Rechtsposition - auszuschließen ist.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, ob der politische Konflikt, der gegebenenfalls Ursache für das inkriminierte Verhalten war, weiter andauert. Denn für den Fall, dass der entsprechende Konflikt abgeschlossen ist, so dass eine Fortsetzung der nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG relevanten Bestrebungen bereits auf Grund der tatsächlichen Voraussetzungen nicht mehr möglich ist, sind an das Abwenden geringere Anforderungen zu stellen, als wenn wegen der Fortdauer des Konfliktes eine Wiederaufnahme des entsprechenden Verhaltens jederzeit wieder möglich ist (so Berlit, a.a.O., § 11 StAG Rdnr. 154).

Je geringer das Gewicht der Aktivitäten ist und je länger sie zurückliegen, desto eher wird es dem Einbürgerungsbewerber gelingen, glaubhaft zu machen, dass er sich von den in § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG inkriminierten Bestrebungen dauerhaft abgewandt hat (so Berlit, a.a.O., § 11 StAG Rdnr. 158; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2005, a.a.O.).

Erforderlich ist eine würdigende Gesamtschau der für eine Abwendung sprechenden Faktoren (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.12.2005 - 13 S 1276/04 - InfAuslR 2005, 64).

Davon ausgehend kann auf Grund der Verwaltungsunterlagen und des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats ein Sich-Abwenden des Klägers festgestellt werden.

Der Kosovo-Konflikt, der Anlass für das politische Engagement des Klägers war, ist seit längerem beigelegt. Auch wenn der politische, insbesondere völkerrechtliche Status des Kosovo nach wie vor innerhalb der Staatengemeinschaft heftig umstritten ist - so lehnt insbesondere Serbien eine Unabhängigkeit des Kosovo kategorisch ab -, sind die bewaffneten Auseinandersetzungen innerhalb des Kosovo seit Juni 1999 beendet.

Das gesamte politische Handeln des Klägers während des Kosovo-Konfliktes war - sowohl unter Zugrundelegung seiner eigenen Angaben als auch nach den Erklärungen des Landesamtes für Verfassungsschutz - davon geprägt, dass er der albanischen Bevölkerung im Kosovo helfen wollte.

Auf jeden Fall ist festzustellen, dass der Kläger bereits nach dem Ende der Kampfhandlungen im Kosovo sein politisches Engagement deutlich vermindert hat.

Dass sich der Kläger nachhaltig von einem politischen Engagement für den Kosovo abgewandt hat, bestätigen seine Ausführungen, dass er für den Fall einer Unabhängigkeit des Kosovo und einer damit entstehenden Möglichkeit, eine kosovarische Staatsangehörigkeit zu erwerben, die deutsche Staatsangehörigkeit auf jeden Fall behalten wolle. Dies belegt, dass die politische Haltung des Klägers seit geraumer Zeit nicht mehr von einem kosovarischen Nationalismus geprägt ist, sondern vom Willen der deutschen Staatsgemeinschaft anzugehören.

Im Übrigen kann selbst dann eine Abwendung des Klägers von seinem früheren politischen Engagement nicht verneint werden, wenn eine fortbestehende Mitgliedschaft in der LPK, wie vom Beklagten behauptet, unterstellt wird. Denn nach dem sonstigen Vortrag des Beklagten und den Erklärungen des Landesamtes für Verfassungsschutz kann nicht festgestellt werden, dass die behauptete Mitgliedschaft des Klägers in der LPK in den letzten Jahre noch von einem irgendwie gearteten politischen Engagement für diese Vereinigung begleitet wurde.