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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - asyl.net: M1118
https://www.asyl.net/rsdb/M1118
Leitsatz:

1. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Verwaltungsgerichte sind bei allgemeinen Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG nur dann befugt, Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG zu gewähren, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke erforderlich ist.

2. Die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ist nicht nur zu beachten, wenn Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 Satz 1 AuslG oder ein Abschiebestopp-Erlass nach § 54 AuslG besteht, sondern auch dann, wenn eine andere ausländerrechtliche Erlasslage oder eine aus individuellen Gründen erteilte Duldung dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermitteln.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Abschiebungshindernis, Abschiebungsstopp, Erlasslage, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, Rechtsschutzbedürfnis, Verfassungskonforme Auslegung, Schutzlücke, Duldung, Tatsächliche Unmöglichkeit, Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse
Normen: AsylVfG § 24 Abs. 2; AsylVfG § 31 Abs. 3; AsylVfG § 41; AuslG § 53 Abs. 6; AuslG § 54; GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3
Auszüge:

Die Revision der Beklagten ist begründet. Soweit das Berufungsgericht der Klage auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG stattgegeben hat, verletzt die Entscheidung Bundesrecht; sie ist deshalb aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG. Nur das ist noch Gegenstand des Revisionsverfahrens. Die Revision macht zutreffend geltend, dass der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ein unbedingter Anspruch auf widerrufliche Duldung mit einjähriger Geltungsdauer als Bürgerkriegsflüchtling aus Afghanistan nach Nr. 5 des Erlasses des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren vom 17. Juli 1998 - IMS IA 2 - 2086. 14-12 - in der Fassung vom 8. Februar 1999 zugestanden hat. Diese Erlasslage galt unabhängig von dem Erlöschen der asylverfahrensrechtlichen Aufenthaltsgestattung nach rechtskräftiger Abweisung der Klage im vorliegenden Asylverfahren (§ 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG). Die für die Durchführung der Abschiebung zuständige bayerische Ausländerbehörde hätte die Klägerin nicht nach Afghanistan abschieben dürfen. Unter diesen Umständen war das Oberwaltungsgericht nicht befugt, die Beklagte zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG unter der Durchbrechung der Sperrwirkung des Satzes 2 zu verpflichten.

Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG bei einer Fallkonstellation wie der vorliegenden nicht bereits am Rechtsschutzbedürfnis scheitert (vgl. im Einzelnen das gleichzeitige ergehende Urteil des Senats im Parallelverfahren BVerwG 1 C 5. 01). Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Afghanistan "als allein stehende Frau ohne familiäre Hilfe den sicheren Hungertod zu erwarten " hatte. Daraus hat es geschlossen, dass die Klägerin im Falle ihrer Abschiebung einer extremen allgemeinen Gefahrenlage in ihrem Heimatland ausgesetzt wäre. Das ist nicht zu beanstanden.

Auch die Revision wendet sich ausschließlich dagegen, dass das Oberverwaltungsgericht § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG außer Acht gelassen hat, obwohl die Klägerin nach der bereits zitierten Erlasslage in ihrem Wohnsitzland Bayern tatsächlich nicht mit ihrer Abschiebung in eine extreme Gefahrensituation habe rechnen müssen. Sie macht damit im Ergebnis zu Recht geltend, dass die Üerwindung der gesetzlichen Sperrwirkung des § 53 Abs.6 Satz 2 AuslG nicht zulässig gewesen ist, weil eine die verfassungskonforme Anwendung des Satzes 1 zugunsten der Klägerin rechtfertigende verfassungswidrige Schutzlücke nicht vorhanden war.