VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 12.07.2007 - 4 A 18/05 - asyl.net: M11164
https://www.asyl.net/rsdb/M11164
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Algerien, Algerier, Staatsangehörigkeit, verfassungsfeindliche Bestrebungen, Unterstützung, Islamische Gemeinschaft Al-Iman e.V., Muslimbruderschaft
Normen: StAG § 10; StAG § 11 S. 1 Nr. 2
Auszüge:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

Dem Anspruch auf Einbürgerung gemäß § 10 StAG steht auch nicht § 11 S. 1 Nr. 2 StAG entgegen, auf den die Beklagte ihren ablehnenden Bescheid nunmehr stützt.

Für das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte einer Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist ein tatsachengestützter hinreichender Tatverdacht erforderlich, aber auch ausreichend. Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers (zu dem entspr. § 86 AuslG, siehe BT-Drs. 14/533, S. 18 f.) angesichts der Nachweisprobleme gegenüber vielfach verkappt agierenden Aktivisten radikaler Organisationen unter Senkung der Nachweisschwelle die Einbürgerung auch dann verhindert werden, wenn entsprechende Bestrebungen nicht sicher nachgewiesen werden können. Die tatsächlichen Anhaltspunkte müssen sich auf die Person des Einbürgerungsbewerbers beziehen (Berlit in: Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, Stand: April 2007, § 11 StAG R 75).

Als Unterstützungshandlung des Einbürgerungsbewerbers ist jede eigene Handlung anzusehen, die für Bestrebungen i.S.d. § 11 S. 1 Nr. 2 StAG objektiv vorteilhaft ist; dazu zählen etwa die öffentliche oder nichtöffentliche Befürwortung von Bestrebungen i.S.v. § 11 S. 1 Nr. 2 StAG, die Gewährung finanzieller Unterstützung oder die Teilnahme an Aktivitäten zur Verfolgung oder Durchsetzung der inkriminierten Ziele (Berlit, a.a.O., Rn. 96). Bei Unterstützungshandlungen für Organisationen, die neben den in Nr. 2 genannten Zielen auch andere Ziele verfolgen oder Aktivitäten entfalten, welche nach Nr. 2 unschädlich sind, muss sich die Unterstützungshandlung gerade auf die nach Nr. 2 inkriminierten Bestrebungen beziehen (Berlit, a.a.O., Rn. 97).

Der Kläger ist nach eigenen Angaben im Jahre 2003 um Mitarbeit in der "Islamischen Gemeinschaft Al-Iman e.V." gebeten worden und hat sich in den Folgejahren - jedenfalls bis zum Beginn seiner Dissertation - innerhalb des Vereins um die Integration arabischer Studierender und Jugendlicher sowie um den Dialog der Gemeinschaft mit Behörden und der Öffentlichkeit bemüht.

Die "Islamische Gemeinschaft Al-Iman e.V." wird vom Nds. Landesamt für Verfassungsschutz der Muslimbruderschaft zugerechnet, die ihrerseits gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt und unterstützt. Hierzu hat das Landesamt für Verfassungsschutz ausgeführt, dass die Muslimbruderschaft und die ihr zugeordneten Gruppen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland die Abschaffung des Mehrparteiensystems zugunsten einer Islamischen Einheitsfront sowie die Einführung der Scharia als allein verbindliches Recht beabsichtigen. Derartige Aktivitäten stehen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegen (zur Definition s. § 4 Abs. 2 BVerfSchG), weil sie das Recht auf Bildung einer Opposition sowie das Recht des Volkes, durch Wahlen und Abstimmungen auf eine Änderung der Gesetzgebung hinzuwirken, ausschließen. Ob diese Einschätzung in Bezug auf die "Islamische Gemeinschaft Al-Iman e.V." zutrifft, braucht im vorliegenden Verfahren nicht abschließend geklärt zu werden. Bei der "Islamischen Gemeinschaft Al-Iman e.V." handelt es sich um eine Vereinigung, die neben den o.g. inkriminierten Bestrebungen, die sie möglicherweise verfolgt oder unterstützt, unstreitig religiöse und gesellschaftliche Aktivitäten entfaltet, die im Einklang mit der Verfassung stehen. So stellt sie eine Stätte zur Religionsausübung zur Verfügung, beteiligt sich am "Runden Tisch" der Abraham-Religionen und organisiert Freizeiten für Jugendliche, wie den von dem Kläger geleiteten Ausflug in den Zoo Hannover.

In Bezug auf den Kläger sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Unterstützung anderer als der verfassungskonformen Bestrebungen des Vereins erkennbar.

Zwar wird die Tätigkeit des Klägers in einem Schreiben vom 19.4.2005, das von dem Vertreter der Abteilung "Dialog/Kommunikation und Wissenschaft" des Vereins verfasst wurde, als integraler Bestandteil der Integrationsaktivitäten des Vereins bezeichnet. Der Kläger war danach - obgleich nicht Mitglied des Vereins - nicht nur in untergeordneter Weise tätig.

Eigene verfassungsfeindliche Aktivitäten des Klägers sind jedoch nicht ersichtlich. Die Organisation eines Tagesausfluges verfolgte lediglich soziale Ziele ohne erkennbaren politischen oder extremistischen Hintergrund. Auch mit der von ihm geschilderten Öffentlichkeitsarbeit - z.B. Beteiligung am "Runden Tisch" sowie an Behördengesprächen - waren keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen verbunden.

Allerdings kann sich grundsätzlich auch die (verfassungskonforme) Arbeit mit Jugendlichen als vorteilhaft für verfassungsfeindliche Bestrebungen einer Vereinigung erweisen. Denn sie bindet die Jugendlichen an den Verein und sichert ihm damit den Nachwuchs. Das gleiche gilt für die von dem Kläger geförderte Öffentlichkeitsarbeit. Derartige Aktivitäten können den Bestand und das Ansehen des Vereins fördern und sich deshalb mittelbar (die hierauf bezogenen Auskünfte des Landesamtes für Verfassungsschutz als richtig unterstellt) auch förderlich auf die verfassungsfeindlichen Aktivitäten des Vereins auswirken.

Ein tatbestandsmäßiges Unterstützen ist jedoch nicht gegeben, wenn sich die Handlung nur zufällig als für Bestrebungen i.S.d. § 11 S. 1 Nr. 2 StAG vorteilhaft erweist. Aus der Wortbedeutung des Unterstützens ergibt sich, dass nur solche Handlungen ein Unterstützen sind, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt. Hierfür ist erforderlich, dass die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Einbürgerungsbewerber regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar ist (BVerwG, Urteil vom 22.2.2007, - 5 C 20.05 -, juris).

Für dieses subjektive Element der Unterstützungshandlung haben sich weder nach Aktenlage noch nach den insbesondere vor dem Hintergrund seines persönlichen Werdegangs glaubhaften Angaben des Klägers im Rahmen seiner Vernehmung tatsächliche Anhaltspunkte ergeben.