VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 17.04.2007 - AN 18 K 06.30621 - asyl.net: M11140
https://www.asyl.net/rsdb/M11140
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für Angehörigen der Zeugen Jehovas aus Eritrea

 

Schlagwörter: Eritrea, Zeugen Jehovas, Folgeantrag, Dauersachverhalte, Drei-Monats-Frist, Kenntnis, neue Sachlage, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, religiös motivierte Verfolgung, Religion, religiöses Existenzminimum, subjektive Nachfluchtgründe
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 3; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für Angehörigen der Zeugen Jehovas aus Eritrea

(Leitsatz der Redaktion)

 

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu.

Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags hinsichtlich eines erneuten Asylantrags (Folgeantrag) ein weiteres Verfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Im Hinblick auf den Dauercharakter der vom Kläger als Begründung seines Folgeantrags angeführten Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas steht auch § 51 Abs. 3 VwVfG einer Berücksichtigung nicht entgegen; wegen des zeitlich gestreckten Dauersachverhalts kann die positive Kenntnis jedes im Sinne des § 51 Abs. 1 und Nr. 2 VwVfG beachtlichen Sachverhaltes bzw. neuen Beweismittels nicht über den konkreten Zeitpunkt fixiert werden, wobei ja hinzukommt, dass sich der Kläger bereits im ersten Asylverfahren auf eine Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas berufen hat.

Entgegen den Überzeugungen des Bundesamts ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger jedenfalls seit 1999 Mitglied der Zeugen Jehovas ist, auch wenn er das vom Bundesamt geforderte Taufzeugnis auch bisher nicht vorlegen konnte.

Dies bedeutet, dass dem Kläger daher eine Rückkehr nach Eritrea derzeit nicht zumutbar ist. Zur Einschätzung der Lage der Zeugen Jehovas in Eritrea, der sich das Gericht anschließt, führt der Bayer. Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 24. Juni 2005 aus: "Nach dem Dekret des eritreischen Präsidenten vom 25. Oktober 1994 und der Bekanntmachung des eritreischen Innenministeriums vom 1. März 1995 (Anlage zur Auskunft des UNHCR an das VG Darmstadt vom 18.7.2002) nimmt der eritreische Staat den Zeugen Jehovas übel, dass sie nicht am Unabhängigkeitskrieg teilgenommen haben, dass sie sich nicht am Referendum über die Loslösung Eritreas von Äthiopien im Frühsommer 1993 beteiligten, dass sie den Nationalen Dienst ablehnen, dass sie sich angeblich weigerten, den eritreischen Staat anzuerkennen, d.h., dass sie insgesamt den Geboten ihres Gottes mehr gehorchen als den Gesetzen des eritreischen Staates. Die Toleranz des Staates habe ihre Grenzen erreicht und die Zeugen Jehovas könnten deshalb nicht länger staatsbürgerliche Rechte genießen.

Infolge dieser Erlasse wurden und werden Zeugen Jehovas in Eritrea nicht in den Staatsdienst aufgenommen bzw. sie werden aus ihm entlassen, sie erhalten keine bzw. verlieren staatliche Wohnungen, ihre Kinder dürfen keine staatlichen Schulen besuchen, Geschäftslizenzen wurden ihnen entzogen, sie erhalten keine ID-Karten (vergleichbar Personalausweisen), Reisepässe, Lebensmittelmarken oder jegliche sonstige staatliche Dienstleistungen. In der staatlichen Radio- und Fernsehpropaganda wird gegen sie gehetzt. Private Arbeitgeber und Wohnungsgeber werden aufgefordert, Zeugen Jehovas keine Arbeit und keine Wohnung zu geben. Wenn sie es gleichwohl tun, haben sie staatliche Nachteile zu befürchten. Entsprechend schwierig ist es für Zeugen Jehovas deshalb, private Arbeit und private Wohnungen zu finden. Die Sicherheitskräfte haben die öffentlichen Gottesdienste der Zeugen Jehovas überfallen und die Gläubigen festgehalten und gezwungen, ihrer Religion abzuschwören (Institut für Afrika-Kunde - IAK - an VG Würzburg vom 8.2.1996; UNHCR an BAFl vom 25.6.1996; ai an VG Würzburg vom 27.6.1996; AA an VG Stuttgart vom 21.11.1997; US Dept. of State Annual Report an International Religious Freedom for 1999 - Eritrea -; Wachturm an VG Köln vom 7.12.1999; Zeugen Jehovas an VG Köln vom 27.2.2000; IAK an VG Kassel vom 19.1.2001; AA an VG Kassel vom 8.3.2001; ai an VG Kssel vom 20.8.2001; Zeugen Jehovas an VG Wiesbaden vom 18.10.2001; UNHCR an VG Darmstadt vom 18.2.2002; European Comission, Eurasil, UNHCR guidelines to the eligebility of asylum seekers from Eritrea, November 2002; AA an VG Aachen vom 31.3.2003; IAK an VG Aachen vom 15.7.2003; vgl. auch Urteil des BayVGH vom 24.2.2000, Az. 9 B 96.35177).

Diese missliche Lage der Zeugen Jehovas hat sich seit etwa dem Jahr 2002 nochmals deutlich verschlechtert. Seit dieser Zeit sind Gottesdienste solcher Religionsgemeinschaften untersagt, die nicht seit mindestens 40 Jahren im Land aktiv sind. Alle anderen Religionsgemeinschaften müssen sich erst registrieren lassen. Trotz Bemühungen ist es bisher noch keiner Religionsgemeinschaft gelungen, alle vom Staat für eine Registrierung vorgeschriebenen Unterlagen beizubringen. Die Zeugen Jehovas z. B. weigern sich, dem Staat die Listen mit den Namen und Adressen ihrer Mitglieder zu übergeben. Folglich wurde auch noch keine Registrierung vorgenommen. Bis zur Registrierung sind Aktivitäten der nicht registrierten kleineren Religionsgesellschaften weiterhin unzulässig (Lageberichte des AA vom 18.7.2003, S. 9 und vom 25.5.2004, S. 8).

Auch private Gebetszusammenkünfte in Privathäusern in kleinen Gruppen werden seither von den Sicherheitskräften aufgelöst, soweit sie ihnen bekannt werden. Die dabei ertappten Gläubigen werden vorübergehend verhaftet.

Es spricht viel dafür, dass diese Behandlung der Zeugen Jehovas durch den eritreischen Staat wegen ihrer Verfolgungsdichte eine Gruppenverfolgung im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 14.12.1995, DVBl. 1996, 611) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. BVerwGE 96, 2000) darstellt, weil auch das religiöse Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist (zum religiösen Existenzminimum vgl. z. B. BVerfG vom 1.7.1987, BVerwG 76, 143 ff.).

Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass der Kläger als Zeuge Jehovas bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Verfolgung aus politischen bzw. religiösen Gründen zu rechnen hat.

Vorliegend steht auch § 28 Abs. 2 AsylVfG der Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens nicht entgegen. Der Kläger hat bereits in seinem ersten Asylverfahren darauf Bezug genommen, dass er den Zeugen Jehovas angehört, bzw. sich für deren Lehre interessiert hat, auch wenn dies nicht zu einem Erfolg seiner Asylklage geführt hat.