VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 26.01.2005 - A 1 K 11012/03 - asyl.net: M11055
https://www.asyl.net/rsdb/M11055
Leitsatz:
Schlagwörter: Togo, Flüchtlingsfrauen, Frauen, geschlechtsspezifische Verfolgung, soziale Gruppe, Genitalverstümmelung, Misshandlungen, Vergewaltigung, Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Schutzbereitschaft, interne Fluchtalternative, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Klägerin hat jedoch Anspruch auf die Feststellung, dass hinsichtlich der ihr angedrohten Abschiebung nach Togo Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Angaben der Klägerin der Wahrheit entsprechen.

Danach ist sie – wie durch das vorgelegte gynäkologische Attest zweifelsfrei bewiesen – tatsächlich zwangsbeschnitten worden. Dass dies gegen ihren Willen geschah, nachdem bereits ihre Schwester bei einer solchen Beschneidung gestorben war und die Mutter, die sie bislang deshalb vor solcher Beschneidung beschützen konnte, gestorben war, ist nachvollziehbar und ohne Weiteres glaubhaft. Ferner ist glaubhaft, dass sie gegen ihren Willen von einem höherrangigen Gendarmerie-Offizier misshandelt, verprügelt und bedroht worden ist. Das Gericht nimmt der Klägerin auch ab, dass sie insoweit dreimal tatsächlich vergewaltigt worden ist.

Es ist auch durchaus glaubhaft, dass die Klägerin zunächst versucht hat, mit ihren Freundinnen zusammen eine Anzeige zu machen, nachdem sie von ihrem künftigen Ehemann derart zusammengeschlagen worden war. Wie sie bereits beim Bundesamt angegeben hat, war dies jedoch erfolglos, weil "gegen einen Gendarmen niemand Schutz gewährt." Der Umstand, dass er in der Lage war, ihrem Vater einen Traktor zu schenken, und dass er offenbar schon vier verschiedene Frauen gehabt hatte, zeigt ebenfalls, dass er nach togoischen und afrikanischen Maßstäben ein mächtiger und einflussreicher Mann in ... gewesen sein muss. Sie hat auch in der mündlichen Verhandlung spontan und ohne zu Zögern dessen Rolle beschrieben und dargelegt, dass er nicht nur in der Politik für die Regierungspartei aktiv war, sondern auch beste Kontakte zu dem berüchtigten Eyademas, Ernest Eyadema, pflegte. Das erscheint auch schon deshalb glaubhaft, weil tatsächlich dieser Sohn Ernest Eyadema in Kara als Hauptmann stationiert ist (siehe Auskunft des Auswärtigen Amts vom 23.07.1996 an VG Augsburg).

Der Klägerin steht zur Überzeugung des Gerichts auch keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Sie hat aber überzeugend dargelegt, dass ihr dies weder im Heimatort noch insbesondere in der Hauptstadt Lome möglich sein würde, ohne über kurz oder lang von einem Mitglied der weit verzweigten Verwandtschaft ihres Vaters entdeckt und identifiziert zu werden, was dann zwangsläufig weitere Verfolgungshandlungen des Vaters bzw. des Gendarmen auslösen würde. Auch vor dem Hintergrund, dass der Gendarm als hoher Polizeioffizier mit offenbar besten Kontakten zur Regierungspartei und zum Sohn Eyademas aktiv ist, ergibt sich eine solche Gefahr.

Da die Klägerin nach allem aufgrund erlittener Vorverfolgung aus Togo geflohen ist, kommt ihr insoweit ohnehin der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugute, was bedeutet, dass Abschiebungsschutz nicht erst dann zu gewähren ist, wenn eine Wiederholung der Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sondern bereits dann, wenn eine solche Wiederholung nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. So liegt es hier. Es mag zwar durchaus denkbar sein, dass es der Klägerin zeitweise gelingen mag, in Togo unentdeckt unterzutauchen. Würde sie aber in dem von ihr erlernten und ausgeübten Beruf und aufgrund ihres Namens und ihrer Stammeszugehörigkeit sowie Herkunft aus ... und auch mit einem entsprechenden Dialekt ausgestattet versuchen, sich zwecks Existenzsicherung wirtschaftlich zu betätigen, so würde sie als solche durchaus in jedem Stadtgebiet Lomes leicht zu identifizieren und aufzuspüren sein.

Bei der ihr somit nach dem herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab drohenden Verfolgung handelt es sich auch um eine Verfolgung i. S. d. § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG. Sie wird ohne die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative und nicht geschützt durch den schutzunwilligen togoischen Staat von ihrem Vater bzw. dem für sie ausersehenen Ehemann "wegen ihres Geschlechts", nämlich als Frau verfolgt. Anknüpfungspunkt dieser Verfolgung ist ihr weibliches Geschlecht, über das diese Verfolger meinen durch Zwangsbeschneidung und Verkupplung gegen den Willen der Betroffenen wie über eine Sache unbegrenzt verfügen zu können. Sie ist nicht nur auf Betreiben ihres Vaters bereits zwangsbeschnitten worden, sondern wurde von diesem ganz offenbar gegen erhebliche wirtschaftliche Gegenleistung (Traktor als Geschenk des Gendarmen für die Zuführung der Tochter) einem anderen Mann (einmal sogar gefesselt) als reines Objekt zur Befriedigung von dessen sexuellen Trieben dauerhaft ausgeliefert und zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich nicht, wie beispielsweise auch sonst bei einer Körperverletzung gegen andere Personen (z. B. auch gegenüber Männern) um bloße einmalige kriminelle Akte, denen gegenüber § 60 Abs. 1 AufenthG – anders als etwa § 60 Abs. 7 AufenthG – keinen Schutz gewähren würde. Vielmehr ist hier von einer durch die Tradition und die gesellschaftlichen Verhältnisse tolerierten und gebilligten dauerhaften Diskriminierung und Entrechtung der zwangsverheirateten Frau auszugehen, so dass auch der öffentliche Charakter dieser ausgrenzenden Maßnahmen klar ersichtlich ist, die selektiv nur Frauen treffen, da diese als solche minderwertig betrachtet werden. Nach den vorliegenden Auskünften ist häusliche Gewalt gegen Frauen in Togo nach wie vor ein Problem. Die Polizei interveniert in solchen Fällen praktisch nie. Frauen werden in Togo trotz verfassungsmäßiger Gleichstellung weithin diskriminiert, es gibt Frauenhandel, Ausbeutung von Frauen und weit verbreitete häusliche Gewalt, gegen die von der Polizei trotz bestehender gesetzlicher Handhabe nur selten eingeschritten wird. Es kommt zu illegalen oder heimlichen Eheschließungen nach dem traditionellen Gewohnheitsrecht. Frauen wagen es kaum, ihre Rechte vor Gericht durchzusetzen, da sie sich dort der Parteilichkeit männlicher Richter ausgesetzt sehen, die nur ungern zu ihren Gunsten entscheiden. Zudem werden solche Frauen gesellschaftlich geächtet. Junge Frauen zwischen 15 und 19 Jahren leben zu 27% in Togo in eheähnlichen oder polygamen Verhältnissen. Ihre traditionell weitgehend rechtlose Stellung setzt sie einem höheren Gesundheitsrisiko aus. Eltern sehen einen Ausbruch ihrer Töchter aus ihrer traditionell vermittelten Rolle als unmoralisch und als Schande für die Familie an. Aus diesem Grunde finden auch Zwangsverheiratungen statt (vgl. dazu Bundesamt – Togo – Information, Teil 2, Menschenrechtssituation August 2001 Seite 18 m.w.N. und Menschenrechtsbericht zu Togo für 2003 des Amerikanischen Außenministeriums datierend vom 25.02.2004, dort Sektion 5 Unterabschnitt Frauen; vgl. im Übrigen zur Situation der Frauen, zu sexueller Gewalt und Genitalverstümmelungen amnesty international, Auskunft vom 05.04.2000 an VG München; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 24.01.2001 an VG Aachen und Institut für Afrikakunde, Auskunft vom 09.01.2001 an VG Aachen). In der Literatur wird unter Hinweis auf einzelne Gerichtsentscheidungen und die Asylpraxis im westlichen Ausland ebenfalls vertreten, dass eine Verfolgung "wegen des Geschlechts" dann vorliegt, wenn neben der Eigenschaft, Frau zu sein, als weiters Merkmal noch die Weigerung hinzukommt, sich gesellschaftlich traditionellen Normen – wie hier etwa traditionell gebotener Zwangsverheiratungen – zu widersetzen (vgl. von Thenen, Geschlechtsspezifische Fluchtgründe, Forum Recht, Heft 4/2001 – www.forumrechtonline.de/2001/401/401Thenen.htm und Müller, Geschlechtsspezifische Verfolgung, in: amnesty international, Asylmagazin 1–2/2002). In der Schweizer Asylpraxis ist deswegen beispielsweise auch anerkannt, dass Verfolgung auch solche schwerwiegenden Nachteile darstellen, die spezifisch Frauen treffen. Das sind beispielsweise Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung sowie sonstige Verhaltensvorschriften, die einen unerträglichen psychischen Druck bei Frauen auslösen (vgl. dazu Kälin, ZAR 2000, 153 [156]).

Im vorliegenden Fall kann es nach allem dahinstehen, ob nun eine förmliche oder traditionelle Heiratszeremonie stattgefunden hat. Denn eine offenbar allseits gebilligte Zwangsverkuppelung einer bereits früh einem Mann versprochenen Frau führt diese faktisch in die gleiche "ausweglose" dauerhafte Zwangssituation, vor der sie § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. der GFK schützen soll. Dass eine drohende Beschneidung und die damit verbundene Behandlung der Frauen in Togo eine Verfolgung im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG bzw. von § 53 Abs. 6 AuslG darstellt, die dem togoischen Staat zurechenbar ist, haben schon zur alten Rechtslage Gerichte überzeugend bejaht (VG Oldenburg, Urt. v. 07.05.2004 - 7 A 92/03, Asyl-Magazin 9/2004, 32 und VG München, Urt. v. 03.08.2004 - 10 K 2238/02.A, Asyl-Magazin 11/2004,32).