OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 18.04.2007 - 22 W 68/06 - asyl.net: M11011
https://www.asyl.net/rsdb/M11011
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Erledigung der Hauptsache, Feststellungsantrag, Feststellungsinteresse, Überhaft, Strafhaft, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Abgabebeschluss, Akten, Verfahrensmangel
Normen: AufenthG § 106 Abs. 2 S. 2; FreihEntzG § 12; ZPO § 281 Abs. 2 S. 3
Auszüge:

1. Das Rechtsmittel des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Bückeburg vom 25. August 2006 hat keinen Erfolg.

a) Die weitere sofortige Beschwerde ist nach §§ 27, 29 FGG i. V. m. § 7 FreihEntzG zwar grundsätzlich statthaft; sie ist jedoch mangels Rechtsschutzinteresses mit dem erhobenen Feststellungsbegehren unzulässig.

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 17. März 2006 - 22 W 10/06 - dargelegt hat, besteht an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der Abschiebungshaft kein Rechtsschutzinteresse, wenn diese nur als Überhaft angeordnet ist.

2. Die weitere sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Bückeburg vom 19. September 2006, mit dem die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stadthagen vom 22. August 2006 angeordnet worden ist, hat dagegen Erfolg.

a) Die Beschwerde ist mit dem Feststellungsbegehren zulässig und begründet.

Die Verlängerung der Sicherungshaft durch das Amtsgericht Stadthagen war rechtsfehlerhaft. Damit war die auf dieser Rechtsgrundlage erfolgte Inhaftierung des Betroffenen rechtswidrig.

(1) Das Amtsgericht Stadthagen war für die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungshaft nicht zuständig.

Die örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Anordnung von Maßnahmen nach § 62 AufenthG richtet sich gem. § 106 Abs. 2 AufenthG nach dem FreihEntzG. Dessen § 4 findet dabei nach § 12 FreihEntzG für Entscheidungen über die Fortdauer einer Freiheitsentziehung keine Anwendung. Dies bedeutet, dass für die Fortdauerentscheidung das Gericht zuständig ist, das über die Anordnung der Freiheitsentziehung entschieden hat (vgl. Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, Teil F, § 12, Rn. 1). Danach wäre das AG Stadthagen zuständig gewesen.

Ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit ist jedoch durch eine Abgabeentscheidung nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufentG möglich. Eine derartige Abgabeentscheidung hat das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 23. Mai 2006 getroffen. Die Wirksamkeit dieser Bestimmung unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Senats keinen rechtlichen Bedenken. Aufgrund dieser Anordnung ist mit der Aufnahme des Betroffenen in die Justizvollzugsanstalt Hannover das Amtsgericht Hannover für die weiteren Entscheidungen zuständig geworden.

(2) Daran ändert auch nichts, dass das Amtsgericht Stadthagen die Akten nicht an das Amtsgericht Hannover weitergeleitet hat. Maßgeblich für die Wirksamkeit der Abgabeentscheidung ist hier – wie allgemein bei gerichtlichen Entscheidungen – dass der Beschluss gefasst und verkündet worden ist. Die Übersendung der Akten ist entgegen der Auffassung des Landgerichts keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Zuständigkeitswechsel. § 281 Abs. 2 S. 3 ZPO findet keine entsprechende Anwendung.

Dagegen spricht bereits derWortlaut der einschlägigen Vorschrift. Die hier einschlägige Spezialnorm des § 106 Abs. Abs. 2 S. 2 AufenthG enthält gerade keinen entsprechenden Passus über die Anhängigkeit erst bei Akteneingang.

Auch aus gesetzessystematischen Gründen ist eine entsprechende Anwendbarkeit zu verneinen. Bestimmungen der ZPO sind, soweit ihre entsprechende Anwendung nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur dann heranzuziehen, wenn eine Regelungslücke besteht, der die Anwendung von Normen der ZPO ungeachtet der Besonderheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gebietet (BGH NJW 1990, 1794). Das ist hier nicht der Fall. Die Regelung der Abgabe in § 106 Abs. 2 AufenthG ist umfassend und abschließend.

§ 281 Abs. 2 S. 3 ZPO enthält auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken. Die Norm bezieht sich ausschließlich auf die örtliche und/oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte im Zivilverfahren, die von den Parteien beeinflusst werden kann, z. B. durch Gerichtsstandsvereinbarungen (§ 38 ZPO) oder Verweisungsanträge (§ 281 Abs. 1 ZPO). Demgegenüber sind die Vorschrift über die Zuständigkeit im FGG-Verfahren regelmäßig zwingender Natur (vgl. Keidel/Kunze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 7 Rdn. 24). Zwar mögen in echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die ZPO-Vorschriften über die Zuständigkeit herangezogen werden (vgl. BGHZ 139, 305 zur Anwendbarkeit von § 281 ZPO im WEG-Verfahren).

Das Verfahren über die Anordnung der Abschiebungshaft ist indes gerade kein echtes Streit-, sondern ein Antragsverfahren.

Auch Sinn und Zweck des § 281 Abs. 2 S. 3 ZPO gebieten nicht dessen entsprechende Anwendung. Diese Vorschrift soll mögliche Unklarheiten über die Zeit des – im Zivilverfahren in vielfacher Hinsicht rechtlich bedeutsamen – Anhängigkeitswechsels bei einem nicht verkündeten Verweisungsbeschluss vermeiden (Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 15). Der Beschluss über die Anordnung der Abschiebungshaft und die Abgabe sind hier aber – wie üblich – in Anwesenheit des Betroffenen und eines Vertreters der antragstellenden Behörde verkündet worden. Mit der Aufnahme des Betroffenen in die Justizvollzugsanstalt Hannover konnten daher keine Zweifel an der Zuständigkeit des Amtsgerichts Hannover bestehen.

(4) Dieser Rechtsfehler ist auch so schwerwiegend, dass die auf dieser Basis vollzogene Inhaftierung des Betroffenen als rechtswidrig anzusehen ist.

Denn hier hat das Amtsgericht erst ausdrücklich eine Entscheidung über die Abgabe getroffen, und dann aber dennoch weiter selbst entschieden. Dieses widersprüchliche Verhalten erscheint als so schwerwiegender Verfahrensfehler, dass hier die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft geboten ist.