OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 07.06.2007 - 2 LA 416/07 - asyl.net: M10567
https://www.asyl.net/rsdb/M10567
Leitsatz:

Keine mittelbare Gruppenverfolgung von Yeziden in Syrien

 

Schlagwörter: Syrien, Jesiden, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, mittelbare Verfolgung, religiös motivierte Verfolgung, Religion, Anerkennungsrichtlinie, Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 S. 1 Bst. B; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1
Auszüge:

Keine mittelbare Gruppenverfolgung von Yeziden in Syrien

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Die Klägerin kann die Zulassung der Berufung nicht unter Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verlangen.

Eine Rechtssache hat i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine tatsächliche oder rechtliche Frage von allgemeiner fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Berufungsrechtszug entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Die von der Klägerin zur Prüfung gestellte Frage, ob nunmehr bei Zugrundelegung der Regelung des Art. 10 Abs. 1 Satz 1 b der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie) von einer Verfolgung der Yeziden in ihren Hauptsiedlungsgebieten in Syrien auszugehen sei, erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Diese Frage kann bereits auf der Grundlage der nach der Qualifikationsrichtlinie geltenden Rechtslage und der bisherigen Rechtsprechung beantwortet werden, ohne dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Im vorliegenden Fall führt die Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie zu keinem anderen Ergebnis als die bisherige Rechtslage.

Im Ansatz ist der Klägerin zwar zuzugeben, dass der Schutzbereich der asyl- und abschiebungsschutzrelevanten Religionsfreiheit durch Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie, in der Regel von dem privaten auf den öffentlichen Bereich erweitert wird. Nach dieser Vorschrift umfasst der Begriff der Religion u. a. auch die Teilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Der so umschriebene Schutzbereich ist damit auf religiöse Riten gerade auch im öffentlichen Bereich erweitert worden, die der Glaubensüberzeugung der betreffenden Religion entsprechen. Aber dieser letztere Umstand begrenzt zum einen den Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Bei der Auslegung des Art. 10 Abs. 1 Satz 1b der Qualifikationsrichtlinie ist zum anderen ihr Art. 9 Abs. 1 a in den Blick zu nehmen. Hiernach ist Verfolgungshandlung nur eine "schwerwiegende Verletzung" von Menschenrechten. Mithin setzt im Rahmen der Religionsfreiheit eine Verletzung der Qualifikationsrichtlinie voraus, dass ein schwerwiegender religiöser Konflikt entsteht (so auch OVG Saarlouis, Beschl. v. 26.3.2007 - 3 A 30/07 -, juris).

Nach diesen Grundsätzen wirft die von der Klägerin aufgeworfene Frage keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf, der eines Berufungsverfahrens bedarf. Denn bei der gebotenen generellen Betrachtungsweise ist die Glaubensüberzeugung der Yeziden zu beachten, wonach ihre religiösen Rituale nicht vor den Augen Ungläubiger praktiziert werden dürfen (OVG Saarlouis, Beschl. v. 26.3.2007 - 3 A 30/07 -, a. a. O. m. w. N.). Mithin handelt es sich bei der yezidischen Religion von ihrem Wesen her um eine Art "Geheimreligion" (vgl. hierzu Nds. OVG, Urt. v. 25.2.1993 - 11 OVG A 14/83 -. S. 18 UA m. w. N.; Ilhan Kizilhan, Die Yeziden, Frankfurt 1997, S. 119). So sollen Yeziden bei Sonnenaufgang und -untergang an einem Platz beten, an dem sich keine Moslems, Christen und Juden befinden, und sie sollen zuhause fasten (Kizilhan, a.a.O., S. 48). Damit einher geht der Umstand, dass der yezidischen Religion das Bekehren Andersgläubiger und das damit einhergehende öffentliche Missionieren für ihre Religion fremd ist, da die Zugehörigkeit zu ihrer Religionsgemeinschaft allein von Geburt an begründet werden kann, eine Konversion zum yezidischen Glauben mithin nicht möglich ist. Ein schwerwiegender Konflikt im beschriebenen Sinn ist damit von vornherein auszuschließen. Für ihre pauschal aufgestellte Behauptung, dass die Yeziden in einer gesellschaftlichen Umgebung ohne Verfolgungsdruck ihren Glauben auch öffentlich bemerkbar leben würden, hat die Klägerin keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt.