VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 08.05.2007 - 3 K 12/07.A - asyl.net: M10509
https://www.asyl.net/rsdb/M10509
Leitsatz:
Schlagwörter: Ghana, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, alleinstehende Personen, alleinstehende Minderjährige, Krankheit, psychische Erkrankung, Zwangsprostitution, Menschenhandel, Kinderhandel, Glaubwürdigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG.

Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von einer Abschiebung in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine derartige Gefahr droht der Klägerin im Falle einer Abschiebung nach Ghana. Dabei ist für die Kammer nicht entscheidungserheblich, ob die Klägerin aus Ghana oder aus Sierra Leone stammt.

Zum anderen ist die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin in ihrem Heimatland, sei es Sierra Leone oder Ghana, schlimme kinder- und frauenbezogene Gewalttätigkeiten erlitten hat, unter denen sie noch heute leidet und die unabhängig davon, ob sie aus Sierra Leone oder Ghana stammt, eine Überführung nach Ghana nicht zulassen. Sollten die Angaben der Klägerin über ihre Herkunft aus Sierra Leone nicht zutreffen, so kann daraus nicht geschlossen werden, dass auch ihre übrigen Angaben unglaubhaft sind. Denn die Kammer ist davon überzeugt, dass in diesem Falle die erwachsenen Personen, die sie nach Deutschland geschleust haben, ihr aufgegeben haben zu behaupten, aus Sierra Leone zu kommen, weil für Asylbewerber aus diesem Land die Chancen auf Anerkennung als Asylberechtigte größer sind als für Ghanaer. Auf eine solche Motivation wäre die damals 15-jährige Klägerin niemals von sich aus gekommen. Ihre sonstigen eigenen Berichte sind daher nicht deshalb als unglaubwürdig anzusehen, weil Zweifel an den Angaben über ihr Herkunftsland bestehen, die ihr von anderen aufoktroyiert worden sind.

In Auswertung der hier vorliegenden Erkenntnismittel sowie der Aussagen der Klägerin und der gutachterlichen Feststellungen des Dr. Gierlichs geht die Kammer auch unter Berücksichtigung, dass Ghana ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des Art. 16 a Abs. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) i. V. m. § 29 a Abs. 1 und 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) ist, auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles davon aus, dass die jetzt 16-jährige Klägerin in Ghana in die extreme Gefahr gerät, mangels jeglicher ausreichender Lebensgrundlage ein menschenunwürdiges Leben zu führen. In der Person der alleinstehenden, kindlichen Klägerin liegen besondere Erlebnisse und Krankheitssymptome vor, die eine abweichende Beurteilung vom Regelfall rechtfertigen. Besonders ungünstige Bedingungen, die die Betroffene deutlich von anderen abgelehnten Asylbewerbern unterscheidet, sind im Fall der Klägerin erkennbar vorhanden. Sie hat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dargelegt, dass eine konkrete individuelle Gefährdung im Fall ihrer Abschiebung nach Ghana alsbald besteht.

Es sei daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Klägerin geschlechtsspezifische Gewalterfahrungen vor ihrer Flucht gemacht habe; dies stelle eine schwere Traumatisierung in einem hoch vulnerablen Alter dar. Die Klägerin zeige auch Symptome der Traumatisierung, ihre Störung könne als so genannte "partielle PTSD" oder als vollständige leichte PTSD eingeordnet werden, da alle Kriterien (A-E), wenn auch in leichterer Form, nachweisbar seien. Sie leide unter generalisierter Angststörung, Panikstörung und leichten depressiven Episoden. Sie sei deutlich eingeschränkt belastbar. Sie habe kaum Bewältigungsstrategien für schwierige Lebenssituationen gelernt, wenig Selbstbewusstsein und Stabilität. Sie habe kaum stabile innere Strukturen aufgebaut, empfinde keine innere "Heimat". Die jetzt 16-jährige Jugendliche sei psychisch krank, körperlich und psychisch retardiert und sicher nicht altersentsprechend belastbar.

Das Gericht nimmt von der Einschätzung der Klägerin als gesundes fast 17-jähriges Mädchen in seinem Beschluss vom 7. Februar 2007 - 3 L 34/07.A - Abstand und folgt den nachvollziehbaren Ausführungen des Gutachters Dr. Gierlichs, denen die Beklagte nicht entgegengetreten ist. Dieses Gutachten beruht auf einer sorgfältigen Exploration und weist die Erlebnisweise der Klägerin in einfühlender Beurteilung ihres Zustandes auf, wie sie nur in der Psychiatrie und der Psychotherapie in der Arzt-Patienten-Beziehung verlässlich aufgezeigt werden kann. In der jetzigen Situation bestände für die 16-jährige, alleinstehende Klägerin, der nicht die in Afrika übliche Großfamilie zur Seite steht, die erhebliche Gefahr, ohne die Akzeptanz und Unterstützung von Familienangehörigen mit den besonders starken Belastungen ein Leben unterhalb des wirtschaftlichen Existenzminimums führen zu müssen und in die Prostitution getrieben zu werden. Denn Kinderhandel wird auch in Ghana in einem starken Umfang betrieben (vgl. Lagebericht Ghana vom 19. November 2005 (Stand: Oktober 2005)).

Danach werden Kinder innerhalb Ghanas, aber auch ins Ausland (vor allem Cote dI’voire, Togo, Nigeria, angeblich auch nach Europa und in die USA) als Haushaltshilfen, Bau-Handlanger, Landwirtschaftsarbeiter und Prostituierte verkauft. Umschlagplätze sind die größeren Städte (vor allem Accra und Kumasi).