VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 07.03.2007 - 10 K 7/07 - asyl.net: M10402
https://www.asyl.net/rsdb/M10402
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland, Geheimdienste, Demonstrationen, Folter, Grenzkontrollen, abgelehnte Asylbewerber, Antragstellung als Asylgrund, Auslandsaufenthalt, Christen, Assyrer, Assyrischer Kulturverein, Assyrisch-Demokratische Organisation
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässige Klage, mit der der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Syrien, sowie hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, begehrt, ist zulässig aber unbegründet. Der Kläger hat weder Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten.

Vorliegend macht der Kläger ein Folgeantragsbegehren geltend, auf das er sich nur dann berufen kann, wenn sein Folgeantrag, nachdem seine bisherigen Asylverfahren abgeschlossen sind, nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt. Hierzu beruft er sich auf eine exilpolitische Betätigung im Assyrischen Kulturverein des Saarlandes, die, wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt hat, ungeachtet der formellen Voraussetzungen für die Stellung eines Folgeantrages die Durchführung eines erneuten Asylverfahrens nicht rechtfertigen.

Der Kläger erfüllt nämlich die Voraussetzungen eines beachtlichen subjektiven Nachfluchtgrundes, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichtes entwickelt worden sind und in § 28 AsylVfG ihren Niederschlag gefunden haben, nicht.

Zwar ist nach der Auskunftslage davon auszugehen, dass der syrische Geheimdienst Informationen über in der Bundesrepublik Deutschland tätige syrische oppositionelle Gruppierungen und hier lebende Regimegegner sammelt und sich dabei eines ausgedehnten Netzes von Spitzeln und Informationszuträgern bedient. Es gibt auch Anhaltspunkte dafür, dass die syrischen Sicherheitskräfte Geheimdienstagenten nach Europa schleusen, um die Exilopposition auszuspionieren und dass sie versuchen, in Europa lebende Syrer zur Mitarbeit für die syrischen Geheimdienste zu gewinnen.

Belege dafür, dass jegliche - auch nur untergeordnete - exilpolitische Betätigung den syrischen Behörden zur Kenntnis gelangt, gibt es indes nicht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass nicht jede exilpolitische Tätigkeit eine die Syrer interessierende Opposition ist, bzw. diese nur dann interessieren dürfte, wenn es sich um im Ausland vorgenommene Aktivitäten handelt, die einen konkreten Bezug zu Syrien haben und in irgend einer Weise auch nach Syrien hineinzuwirken geeignet sind. Die syrischen Machthaber wissen angesichts der sehr zahlreichen Asylbewerber aus Syrien genau zwischen wirklicher, aus dem Ausland heraus gezielt nach Syrien hinein - oder doch wenigstens in konkreter derartiger Absicht - unternommener politischer Aktivität und einer allein "ausländischen Zwecken" halber unternommenen Aktivität zu unterscheiden, da sie die ausländerrechtlichen Gegebenheiten der Bundesrepublik Deutschland durchaus realistisch einzuschätzen imstande sind (so die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts des Saarlandes, vgl. z. B. Urteile vom 12.10.2000, 11 K 52/99.A, vom 04.12.2003, 2 K 51/02.A, jeweils unter Hinweis auf entsprechende Auskünfte und Gutachten, sowie Urteile vom 22.06.2004, 5 K 37/04.A, und vom 20.07.2005, 5 K 56/04.A).

Eine relevante exilpolitische Betätigung liegt dementsprechend nach der Rechtsprechung sowohl des Verwaltungsgericht als auch des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes nicht bereits etwa in der bloßen Teilnahme an Demonstrationen. Das Oberverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass man nicht schon durch allgemeine Exilpolitik einschließlich der Teilnahme an großen Demonstrationen zu einem von Syrien ernst genommenen Regimegegner wird (vgl. Beschlüsse vom 04.07.2003, 3 Q 56/02, und vom 21.06.2002, 3 Q 2/02).

Gefährdet und damit schutzbedürftig ist hiernach nur derjenige, der exilpolitisch - entweder als exponierte Persönlichkeit und/oder in exponierter Weise - in Erscheinung tritt. Dies gilt in erster Linie für die Führungsebene der Exilpolitik, zu der man gehört, wenn man als Politiker die aktuellen Ziele der Opposition in leitender Tätigkeit prägt, besondere Kenntnisse über politische Querverbindungen hat und dadurch eine Zielscheibe für den syrischen Geheimdienst bei der Rückkehr wird (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 21.06.2002, 3 Q 2/02).

Darüber hinaus kann auch im Einzelfall eine ungewöhnliche Einzelaktion oder eine ungewöhnliche Kumulation von untergeordneten Aktionen zur Einstufung als Regimegegner führen.

Dieser Bewertung folgt die Kammer unter Berücksichtigung auch der zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse (vgl. ai, Berlin, vom 25.01.2006 an VG Schleswig; Dt. Orient-Institut vom 07.03.2006 an VG Göttingen und vom 20.03.2006 an VG Bayreuth; AA vom 21.02.2006 an VG Koblenz; Lagebericht Syrien des AA vom 17.03. 2006, Stand: Februar 2006, 508 - 516.80/3 SYR, und vom 26.02.2007 (Stand: Januar 2007)).

Nach der Auskunftslage ist weiter davon auszugehen, dass Syrien kein demokratischer Rechtsstaat ist. In Syrien wird gefoltert. Schon im normalen Polizeigewahrsam sind Misshandlungen an der Tagesordnung, ohne dass dabei politische rassische oder religiöse Ursachen einflössen. Insbesondere bei Fällen mit politischem Bezug wird (häufig bevor Verhöre überhaupt beginnen) physische und psychische Gewalt in erheblichem Ausmaß eingesetzt. Die Folter dient der generellen Gefügigmachung ebenso wie der Erzwingung von Geständnissen, der Nennung von Kontaktpersonen und der Abschreckung. Allerdings reichen im Allgemeinen bloße politische Missliebigkeit oder ein untergeordnetes Engagement für eine als oppositionell eingestufte Gruppe nicht aus, um umfangreiche und andauernde Folter auszulösen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Sicherheitskräfte in den letzten Jahren verstärkt angewiesen worden sind, sicherzustellen, dass Verhöre nicht mit dem Tod oder gravierenden erkennbaren Dauerschäden enden. Offensichtlich bedienen sich die Geheimdienste eines abgestuften Systems, orientiert am Tatvorwurf, an der Schwere des Tatverdachtes, etc. Bei wenig gravierenden Vorwürfen bleibt es bei Belästigungen, Schikanen im täglichen Lebensablauf, ohne Gefahr für Leib und Leben des Betreffenden. Generell ist zwischen den Handlungen der ordentlichen Strafvollzugsorgane und dem Vorgehen der Geheimdienste oder der Militärs bei politischem (oder vermutetem politischem) Hintergrund zu unterscheiden.

Die Einreisekontrollen (wie auch die Ausreisekontrollen) an den syrischen Grenzen sind umfassend. Die Grenzkontrolleure sind neben der Grenzpolizei stets auch Angehörige der Geheimdienste. In aller Regel erfolgt die Einreise - auch Abgeschobener - abgesehen von Befragungen unbehelligt. Eine vorangegangene Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt sind für sich allein kein Grund für ein Einschreiten der Geheimdienste.

Hiervon ausgehend ist eine Gefährdung des Klägers wegen seiner Betätigung im Assyrischen Kulturverein bei seiner Rückkehr nach Syrien nicht zu erwarten, da es sich bei ihm weder um eine exponierte Persönlichkeit handelt, noch sonst vorgetragen oder ersichtlich ist, dass er in exponierter Weise in Erscheinung getreten ist und dadurch die Aufmerksamkeit der syrischen Behörden, insbesondere der syrischen Auslandsbeobachtung auf sich gelenkt hat. Zwar ist der Kläger im Saarland Mitglied des Assyrischen Kulturvereins und am 18.05.2001 zum Beisitzer sowie am 11.10.2003 zum stellvertretenden Vorsitzenden dieses Vereines gewählt worden und hat diese Funktion nach seinen Angaben auch heute noch inne. Bei diesem Verein handelt es sich nach seinem Vereinszweck um eine Vereinigung von hier lebenden assyrischen Christen, die gemeinsam ihre Sitten und Bräuche pflegen und sie ihren Kindern beibringen wollen, damit sie nicht verloren gehen. Von diesem Ansatz her ergibt sich bereits kein Zweck des Vereines, der nicht mit den syrischen Interessen vereinbar wäre, zumal sich aus den vorliegenden Erkenntnisquellen ergibt (vgl. etwa den Lagebericht des AA vom 17.03.2006, a.a.O., S. 11; Berliner Zeitung vom 05.09.2006), dass die assyrischen Christen in Syrien von dem dort herrschenden Regime nicht als Regimegegner betrachtet werden.